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PolitikEuropa

Tschechien: Mahnmal statt Schweinefarm

25. Juli 2022

Auf dem Gelände des ehemaligen Nazi-Konzentrationslagers Lety für tschechische Roma wurde nach langem Hin und Her mit dem Abriss einer Schweinefarm begonnen. Nun entsteht dort ein Mahnmal für den Völkermord an den Roma.

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Tschechien Lety | Ehemaliges Internierungslager:  Symbolischer Abbau ehemaliger Schweinefarm beginnt
Abriss der Schweinefarm: Gedenkfeier auf dem Gelände des ehemaligen Nazi-Konzentrationslagers für tschechische Roma Lety südlich von Prag am 22.07.2022Bild: Vaclav Pancer/CTK/dpa/picture alliance

Es hat viele Jahrzehnte gedauert - eine entwürdigend lange Zeit für die Opfer und ihre Nachkommen. Doch nun ist es endlich so weit: Am Montag (25.07.2022) wurde auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Lety für tschechische Roma, rund 80 Kilometer südlich von Prag, mit dem Bau einer Gedenkstätte begonnen. Hier kamen während der deutschen Nazi-Besatzung Böhmens und Mährens Hunderte tschechischer Roma um. Die meisten, die das KZ Lety überlebten, wurden von hier aus in deutsche Vernichtungslager transportiert. Und - hier errichtete der realsozialistische Staat in den 1970er Jahren eine Schweinemastfarm. Ein schwer fassbarer Affront gegen die Opfer.

Tschechien Schweinemastfarm
Die Schweinemastfarm auf dem Gelände des ehemaligen KZs LetyBild: Lubos Palata/DW

Nach dem Ende der Diktatur 1989 wurde um den Abriss der Farm immer wieder gestritten. Es waren im Wesentlichen politisches Desinteresse und Ignoranz, die bisher verhinderten, dass in Lety eine Gedenkstätte errichtet werden konnte. Am vergangenen Freitag (22.07.2022) begann der Abriss der Schweinemastanlage nun schließlich. An diesem Tag versammelten sich in Lety tschechische Politiker, Diplomaten, Vertreter der tschechischen Roma und Anwohner zu einer Zeremonie, um den Beginn des Gedenkstättenbaus zu würdigen.

Überreste Dutzender Roma-Kinder

Zwar erwarb die tschechische Regierung die Schweinefarm bereits im Jahr 2017. Dennoch vergingen weitere fünf Jahre bis zum Baubeginn der Gedenkstätte. "Ich entschuldige mich an dieser Stelle aus tiefstem Herzen für diese politische Trägheit und bringe gleichzeitig meine Freude darüber zum Ausdruck, dass sie heute symbolisch beendet wird", sagte der tschechische Kulturminister Martin Baxa dazu am Freitag in Lety.

Tschechien Lety | Ehemaliges Internierungslager:  Symbolischer Abbau ehemaliger Schweinefarm beginnt
Gedenkfeier im ehemaligen KZ Lety am 22.07.2022: Tschechiens Kulturminister Martina Baxa (r.) und Jana Horvathova (2.v.r.), die Direktorin des Museums für Roma-KulturBild: Vaclav Pancer/CTK/dpa/picture alliance

Er erinnerte daran, dass auf dem Gelände der ehemaligen Schweinefarm auch die sterblichen Überreste von Dutzenden Roma-Kindern liegen, die dort während ihrer Gefangenschaft ums Leben kamen. "Zofie Janeckova und Tonicka Serynkova erlebten ihren ersten Geburtstag nicht mehr. Jozef Serynko war ein Jahr alt und Frantisek Serynko zwei Jahre alt, als sie alle hier starben. Die neue Gedenkstätte wird dafür sorgen, dass ihre Namen nicht vergessen werden", sagte Baxa.

Zentrale Bedeutung für tschechische Roma

Jana Horvathova, die Direktorin des tschechischen Museums für Roma-Kultur, das die Gedenkstätte verwalten wird, betonte die enorme Bedeutung des Erinnerungsortes für die rund 250.000 Menschen der Roma-Minderheit in der Tschechischen Republik. "Dies ist ein bahnbrechender Moment für uns. Die Gedenkstätte soll an die historischen Fakten erinnern und gleichzeitig aufklären. Sie soll über die Geschichte der Roma und Sinti in der Tschechischen Republik informieren und die Wurzeln des Hasses und der Diskriminierung erläutern", so Jana Horvathova.

Tschechien, Lety | Nazi-Konzentrationslagers für Roma Lety in der Nähe von Písek
Antonin Lagrin, Nachkomme von Opfern, die im KZ Lety umkamen,während der Gedenkfeier am 22.07.2022Bild: Luboš Palata

Auch viele Nachkommen der Opfer waren zu der Zeremonie am Freitag angereist. "Meine Großmutter und mein Großvater kamen hier um, der Rest meiner Familie wurde von hier nach Auschwitz gebracht. Nur mein Vater hat überlebt", erzählt Antonin Lagrin, 77, der DW. "Mein Vater hat mir erzählt, dass die Polizei des tschechischen Protektorats schlimmer war als die Naziwachen in Auschwitz."

Kommunisten wollten Geschichte verschweigen

Im Gegensatz zu anderen nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurde des KZs Lety während der kommunistischen Ära nicht gedacht. Der Grund dafür war, dass die Einrichtung des Lagers während der Zeit der unabhängigen Tschechoslowakei im März 1939 durch eine Prager Regierungsverordnung beschlossen wurde. Dies war nur eine von vielen diskriminierenden Maßnahmen, die die damalige politische Vertretung der Tschechoslowakei gegen tschechische Juden und Roma ergriff. Das Lager in Lety wurde von den Nazis ab 1940 ausschließlich für die Inhaftierung tschechischer Roma genutzt, die auf der Grundlage der NS-Rassengesetze vernichtet werden sollten. Etwa 1300 Roma kamen hier ums Leben. Insgesamt überlebten von rund 6500 tschechischen Roma nur etwa 600 den Porajmos, den Völkermord an den europäischen Roma.

Tschechien Lety | Ehemaliges Internierungslager:  Symbolischer Abbau ehemaliger Schweinefarm beginnt
Cenek Ruzicka, Überlebender des Porajmos, des Völkermordes an den europäischen Roma und Sinti, beim Beginn des Abrisses der Schweinfarm in LetyBild: Vaclav Pancer/CTK/dpa/picture alliance

Obwohl die Ruinen des KZs Lety noch in den 1970er Jahren sichtbar waren, errichteten die kommunistischen Behörden hier eine große Schweinemastanlage. Erst Anfang der 1990er Jahre wurde ein größerer Teil der tschechischen Öffentlichkeit auf diesen Skandal aufmerksam - durch den US-Journalisten und Historiker Paul Polansky. Er hatte in einem Archiv in der südböhmischen Stadt Trebon Zehntausende von Dokumenten aus dem Lager entdeckt und schrieb ein Buch über Lety.

Gedenkstätte und Museum ab 2024

Nach einer stürmischen Debatte, auch über den tschechischen Beitrag zur Errichtung und zum Betrieb des Lagers, wurde 1995, auch dank der Bemühungen des damaligen Präsidenten Vaclav Havel, in der Nähe der Schweinefarm eine Gedenkstätte eingerichtet. "Das totalitäre System der Nazis hat die Roma fast ausgerottet. Das totalitäre kommunistische Regime sorgte dafür, dass die Erinnerung an die Roma in Vergessenheit geriet. Der Ort der Tragödie in Lety wurde sogar von einer Schweinemastanlage verdeckt", sagte Havel damals. Doch es dauerte weitere 22 Jahre, bis die tschechische Regierung die Schweinezuchtanlage 2017 kaufte und die Planung einer Gedenkstätte einleitete.

Tschechien Schweinemastfarm
Karolina Spielmannova, Sprecherin des tschechischen Museums für Roma-KulturBild: Lubos Palata/DW

In den kommenden zwei Jahre werde hier nun ein Mahnmal für den Porajmos, die Vernichtung der Roma und Sinti in Böhmen, errichtet, sagt Karolina Spielmannova, Sprecherin des Museums für Roma-Kultur, das die Gedenkstätte in Lety verwalten wird, der DW. "Das Mahnmal wird nicht nur ein Ort des Gedenkens sein, sondern auch eine Innen- und Außenausstellung umfassen", so Spielmannova. Das gesamte, rund 100 Hektar große Gelände soll der Öffentlichkeit ab 2024 zugänglich gemacht werden.

Verbesserungen für Roma?

Die Roma-Minderheit in der Tschechischen Republik steht immer noch weitgehend am Rande der Gesellschaft. Ihr Status verbessert sich nur sehr langsam, was sich in der massiven Auswanderung nach Westeuropa, in den vergangenen Jahren, vor allem nach Großbritannien, widerspiegelt, wo Roma nicht so stark mit ethnischer Diskriminierung konfrontiert sind. In Tschechien äußern sich selbst hochrangige Politiker immer wieder rassistisch über Roma, allen voran Staatspräsident Milos Zeman, der Roma mehrfach als arbeitsscheu darstellte.

"Ich hoffe, dass diese Veranstaltung der Beginn einer Verbesserung der Gesamtsituation der Roma ist", sagte Jana Horvathova am Freitag vor den Gästen der Feier in Lety. "Die Erkenntnis, was unseren Roma in unserem Land, das auch ihr Land war, widerfahren ist, ist eine notwendige Voraussetzung dafür."

Porträt eines Mannes mit blondem Haar, er trägt ein weißes Hemd und ein blau-schwarz kariertes Sakko
Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag