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Ein Jahr Syriza

Konstantinos Symeonidis25. Januar 2016

Seit einem Jahr regiert in Athen die Syriza-Partei mit Alexis Tsipras an der Spitze.Doch seine Popularität sinkt, die politische Zukunft hängt vom Erfolg der Reformen ab, meint Politikwissenschaftler Lazaros Miliopoulos.

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Griechenland Alexis Tsipras (Foto: REUTERS/Alkis Konstantinidis)
Bild: Reuters/A. Konstantinidis

Deutsche Welle: Syriza und Premier Tsipras sind schon seit fast einem Jahr an der Macht. Wie sieht die Zwischenbilanz aus?

Lazaros Miliopoulos: Syriza begann als unreife, unerfahrene, amateurhafte neue Kraft am politischen Firmament. Eine Mehrheit des griechischen Volkes setzte aus einer Mischung aus Sparüberdruss und verletztem Stolz in Syriza viele Hoffnungen und Kalkül. Beides stelte sich am Ende als schmerzhaft unrealistisch heraus. Von einem Gros der Wähler wurde zudem die neue Regierung – die wohlgemerkt nicht nur aus der linken Syriza besteht, sondern auch aus der rechtspopulistischen Anel – nicht nur als Symbol der Rebellion, sondern auch der nationalen Selbstbehauptung des griechischen Volkes verstanden. Das ist ein Gefühl, das von Syriza wie von Anel nach Kräften gefördert wurde. Es wurde gegen alles, was nicht auf Linie des sogenannten "Nein"-Lagers gegen die "Memorandum-Politik" war, in polarisierender Manier gewettert.

Nach anfänglichem Elan sah sich Syriza schlussendlich mit einer harten politisch-ökonomischen Realität konfrontiert und zerstritt sich innerlich zusehends, nachdem klar wurde, dass sich Tsipras mehr und mehr als machtpolitisch versierte Politiker herausstellte, der er als langjähriger Parteivorsitzender ja bereits im Kleinen gewesen war. Die Folge: die "Memorandum-Politik" wurde nach sechsmonatiger Unterbrechung nicht nur wieder aufgenommen, sondern sie hat sich sogar intensiviert.

Premier Tsipras hat viele seiner Wahlversprechen nicht eingelöst. Dementsprechend sinken auch seine Umfragewerte. Kann er das Ruder noch herumreißen?

Premier Tsipras hat in seiner gesamten politischen Karriere sehr viel Machtinstinkt bewiesen. Ihm ist durchaus zuzutrauen, dass er das Ruder auch wieder herumreißen kann. Aber solange die Krise in Griechenland anhält – was unter seiner Führung nicht unwahrscheinlich ist – wird es auf Dauer immer schwerer für ihn.

Dr. Lazaros Miliopoulos Politikwissenschaftler Uni Bonn (Foto: Privat)
Politikwissenschaftler Lazaros MiliopoulosBild: privat

Mit dem Politiker Kyriakos Mitsotakis an der Spitze der konservativen Neuen Demokratie, hat Tsipras mittlerweile einen ernsthaften Konkurrenten. Das zeigen Umfragen. Stellt Mitsotakis tatsächlich eine Gefahr für Tsipras dar?

Mit der Wahl von Mitsotakis zum ND-Vorsitzenden ist die Gefahr für Tsipras tatsächlich gewachsen. Kurzfristig zeigt sich die mögliche Schwächung von Tsipras in den jüngsten Umfragewerten, die nach der Wahl von Mitsotakis für Syriza noch deutlicher als bisher gesunken sind. Diese Entwicklung hat durchaus tiefere Gründe: Von Mitsotakis Gegenkandidaten Meimarakis hätte sich Tsipras leicht als Politiker einer "unverbrauchten" jüngeren Generation absetzen können, was seit der Krise von großer symbolischer Bedeutung in Griechenland ist und auf absehbare Zeit so bleiben wird. Zudem hätte sich Meimarakis in einem sehr wichtigen Punkt – der Staatsgläubigkeit von Syriza – nicht derart deutlich als Anti-Tsipras profilieren können wie Mitsotakis das nun tun wird, der mit seinem marktliberalen Kurs ohne Frage eine klare inhaltliche Gegenposition abgibt. Dass Mitsotakis einer alten griechischen Politikerdynastie angehört, kann von Tsipras ebenfalls kaum mehr ausgenutzt werden, seitdem der Ruf von Syriza als Partei mit "weißer Weste" aufgrund von aufgeflogenen Fällen von Vetternwirtschaft in den eigenen Reihen großen Schaden erlitten hat. Insoweit ist es zu früh, hier eine sichere Einschätzung vorzunehmen.

Nach erfolgreichem Abschluss der ersten Überprüfung des neuen Hilfsprogramms, soll auch die Diskussion über die Schuldentragfähigeit beginnen. Wie könnte da der Kompromiss aussehen?

Es wird auf eine weitere Verlängerung der Kreditlaufzeiten, Zinskürzungen, Stundungen und auf buchhalterische Tricks hinauslaufen, letzteres nach dem Motto: "Wir rechnen uns die Schulden schön nach Schuldendienst statt Schuldenquote". Falls langfristig geringere reale Wirtschaftswachstumsraten oder geringere Primärüberschüsse erzielt werden als geplant, wird auch die Diskussion über einen "echten Schuldenschnitt" wieder an Fahrt aufnehmen.

Nach den turbulenten Zeiten der vergangenen Jahre, ist in den deutsch-griechischen Beziehungen etwas Ruhe eingekehrt. Das hat sicherlich auch mit der Flüchtlingskrise zu tun, die zurzeit alles überschattet. Glauben Sie, dass die Grexit-Debatte nochmal aufflammen und die Beziehungen auch belasten könnte?

Dies könnte durchaus passieren. Allerdings reicht es außerhalb Griechenlands nicht mehr, dass die Diskussion über einen "echten Schuldenschnitt" wieder an Fahrt aufnimmt, damit der Grexit wieder die öffentliche Meinungsbildung bestimmt. Erst wenn die Flüchtlingskrise wieder an Schärfe verliert, wird Grexit dort zu einem bestimmenden Thema. Dies ist angesichts der drohenden Dimension der Flüchtlingskrise aber unwahrscheinlich. Ein "echter Schuldenschnitt" könnte dann plötzlich stiller und leiser debattiert werden. Hingegen ist es nicht auszuschließen, dass das Thema in Griechenland neue Brisanz gewinnt, etwa falls Varoufakis in die aktive Politik zurückkehren sollte. Aber in der Sache ist es ja so: Je mehr Griechenland mit Strukturreformen vorankommt, das Wirtschaftswachstum zurückkommt und Primärüberschüsse generiert werden, desto unwahrscheinlicher wird eine Grexit-Diskussion wiederkehren.

Das Gespräch führte Konstantinos Symeonidis

Lazaros Miliopoulos (40) ist Politikwissenschaftler an der Uni-Bonn. Seine Spezialgebiete sind unter anderem Extremismus- und Parteienforschung, politische Ideologien sowie Europaforschung.