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Handelsabkommen im EP von der Tagesordnung gekippt

Elisa Rheinheimer (Brüssel) 10. Juni 2015

Nach heftigem Wortwechsel wurde im Europäischen Parlament das Handelsabkommen TTIP von der Tagesordnung gekippt. Nicht nur die geplante Resolution fiel aus, sondern die ganze Debatte. Aus Brüssel Elisa Rheinheimer.

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Bild: Reuters/W. Rattay

"Mir macht es Angst, wenn ich sehe, wie die Links- und Rechtsradikalen hier im Haus sich gegenseitig in Rage reden", das sagte der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei Manfred Weber (CSU). Linke und Konservative warfen sich gegenseitig mangelndes Demokratieverständnis vor. Mit 183 zu 181 Stimmen stimmten die Abgeordneten für eine Verschiebung der TTIP-Debatte. Die Streitpunkte waren einfach zu groß.

Wohl kaum ein Thema ist in Deutschland und Europa derzeit so umstritten wie TTIP, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Vor Chlorhühnchen, Genfleisch und einem Ausverkauf der Demokratie warnen die Gegner. Als überzogene Ängste und Halbwahrheiten tun die Befürworter solche Einwände ab.

Heute sollte das Europäische Parlament über eine Resolution zum Transatlantischen Freihandelsabkommen diskutieren und abstimmen. Doch in letzter Minute zog Parlamentspräsident Martin Schulz die Reißleine und verschob Debatte wie Abstimmung auf unbestimmte Zeit. Mehr als 200 Änderungsanträge waren kurzfristig bei ihm eingegangen - der Streit unter den Parlamentariern ist nicht zu überbrücken.

Viel mehr als ein Stimmungsbild wäre die Resolution ohnehin nicht gewesen, bindend ist sie zum jetzigen Zeitpunkt weder für die Kommission, noch für die Mitgliedstaaten. Aber sie hätte ein Signal gesandt: So und nicht anders will das Parlament das Freihandelsabkommen! Doch es zeigte sich, dass die Einigkeit über den richtigen Weg nicht herzustellen war.

Martin Schulz
Parlamentspräsident MArtin Schulz diskutiert mit TTIP GegnernBild: imago/CommonLens

Der Abgeordnete Bernd Lange, der als Vorsitzender des Handelsausschusses maßgeblich für die Resolution verantwortlich ist, war eigentlich ganz zufrieden mit dem Zwischenergebnis: Zentrale Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, etwa bei Trinkwasserversorgung oder Bildung, sollten von TTIP ausgeschlossen sein, so der geplante Vorschlag des Parlaments. "Außerdem haben wir ein klares Bekenntnis zur kulturellen Vielfalt. Fragen zur Medienlandschaft beispielsweise müssen in der Verantwortung der Nationalstaaten bleiben“, erklärt Lange. Auch Regeln zum Datenschutz und zum Schutz der Arbeitnehmer seien Teil der Resolution, betont der Sozialdemokrat.

Investorenklagen und Schiedsgerichte sind der größte Streitpunkt

Einigen Abgeordneten geht das jedoch nicht weit genug. Insbesondere grüne und linke Europaparlamentarier fordern eine Kehrtwende in der Diskussion um TTIP. "Wenn man es ernst meint, müsste man das Verhandlungsmandat neu definieren", sagt Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament. Das bedeutet: Zurück auf "Los", nochmal ganz von vorne beginnen. Nur in den Text hineinzuschreiben, dass europäische Standards nicht gesenkt werden dürfen, genüge nicht, "wenn man dabei mit einem Partner wie den USA verhandelt, der genau das in Frage stellt."

TTIP Protest Augsburg
Die Protestbewegung hat inzwischen zwei Millionen Unterschriften gesammeltBild: picture-alliance/dpa/Stefan Puchner

Es sei blauäugig und vermessen zu glauben, die EU-Kommission ginge am Ende aus den Verhandlungen heraus und verkünde, die Amerikaner hätten alle europäischen Forderungen akzeptiert. Dafür seien die Standards viel zu unterschiedlich - gerade im Bereich der Landwirtschaft. So fordert Häusling, Agrar- und Lebensmittelpolitik dürfe überhaupt nicht Teil von TTIP sein.

Ein besonderer Streitpunkt sind nach wie vor private Schiedsgerichte, die es ausländischen Investoren erlauben würden, einen Staat zu verklagen. Solche Investorenklagen, über die ein privates Gericht hinter verschlossenen Türen verhandelt, wollen die Parlamentarier in Straßburg keinesfalls. Doch was dann? Die sozialdemokratische Fraktion hatte ein öffentliches Schiedsgericht vorgeschlagen. Aber wie genau das aussehen soll, ist wohl vielen Abgeordneten noch nicht klar.

Martin Häusling befürchtet, dass es am Ende sein wird wie bei CETA, dem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. "Da hat Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor einem Jahr noch lautstark verkündet, es werde kein CETA-Abkommen geben, das den Investorenschutz, also private Schiedsgerichte, beinhalte", erinnert Häusling. "Und schwupps ist er dann doch drin." Vor wenigen Tagen habe dann Gabriel erklärt, man müsse das akzeptieren, Deutschland könne das nicht ändern, kritisiert Häusling. "So wird es auch bei TTIP sein - denn warum sollten sich die US-Amerikaner auf einen anderen Standard einlassen als die Kanadier?"

Die Resolution als Beruhigungspille?

So sieht Häusling die Resolution als "große Beruhigungspille", als "Versuch der parlamentarischen Mehrheit, die Wogen etwas zu glätten, ohne ernsthaft etwas verändern zu wollen." Er befürchtet, die konservative Mehrheit im Parlament wolle zusammen mit den Liberalen nur die Öffentlichkeit ruhig stellen. Bernd Lange hingegen ist zuversichtlich, dass ein geschlossenes Auftreten des Parlaments ein wichtiges Signal wäre - wenn denn eine solche Geschlossenheit herzustellen wäre.

"Ich bin mir sicher, dass die Europäische Kommission sich sehr genau anguckt, was das Parlament will - weil es das Parlament ist, das am Ende des Tages über TTIP abstimmen wird", erklärt Lange. Am Ende des Tages bedeutet: Wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind, also frühestens Ende dieses Jahres, wahrscheinlich aber deutlich später. Zu dem Zeitpunkt aber kann das Parlament dann keine Änderungen zu dem Handelsabkommen mehr vorschlagen, sondern nur noch Ja oder Nein sagen.

Berlin - Sigmar Gabriel bei einer Diskussionsveranstaltung
Wirtschaftsminister Gabriel hält die Einwände gegen das Handelsabkommen für übertriebenBild: picture-alliance/dpa

Bis dahin aber hat das Europas Parlamentarier durchaus eine gewisse Gestaltungsmacht in punkto TTIP. Der Sozialdemokrat Bernd Lange meint, wenn die Kommission die Vorschläge des Parlaments ignoriere, könnten die Abgeordneten am Ende das Abkommen durchfallen lassen. "In der vergangenen Legislaturperiode hat das Parlament immerhin zwei Handelsabkommen abgelehnt, weil sie unseren Anforderungen nicht genügt haben". Kritiker Häusling dagegen hält die Idee für unrealistisch und warnt vor dem enormen Druck, den die Industrie auf die Parlamentarier ausübt. Derzeit jedoch ist das Hauptkennzeichen der Debatte die generelle Uneinigkeit.