1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Auf dem Weg zur Demokratie

18. Oktober 2011

Die Tunesier wählen am Sonntag eine Verfassungsgebende Versammlung. Viele hoffen, dass eine politische Ordnung der Wirtschaft zu neuem Schwung verhilft.

https://p.dw.com/p/RrWK
Wahlplakate in Tunis (Foto: Ibtihel Zaatouri)
Mehr als 100 Parteien stehen in Tunesien zur WahlBild: Ibtihel Zaatouri

Mitte-Links, wissenschaftlicher Sozialismus, maghrebinischer Liberalismus - die Entscheidung dürfte nicht ganz einfach werden: Mehr als 100 Parteien stehen den Tunesiern am Sonntag (23.10.2011) zur Wahl. Beobachter rechnen damit, dass am Ende etwa zehn von ihnen in der Verfassungsgebenden Versammlung vertreten sein werden - wobei auch unabhängige Kandidatenlisten dazu gehören können, also Einzelpersonen, die nicht in Parteien organisiert sind. 217 Abgeordnete sollen dann eine neue Verfassung ausarbeiten und die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen organisieren.

Dass so viele Parteien zur Wahl stehen, sei nicht ungewöhnlich für eine politische Übergangszeit, sagt Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Das ist eigentlich eine ganz normale Entwicklung nach 30 Jahren Diktatur", meint der Tunesien-Experte. "Es gibt in Tunesien noch keine politische Kompromisskultur. Aber am Ende werden vermutlich größere politische Blöcke entstehen."

Gute Chancen für den politischen Islam

Spitzenkandidatin Suad Abdel Rahim (Foto: DW)
Suad Abdel Rahim ist die Spitzenkandidatin der Ennahda-ParteiBild: DW

Seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1956 und der Umwandlung des Landes in eine Präsidialrepublik im darauffolgenden Jahr gibt es nun zum ersten Mal ein wirklich freies politisches Leben in Tunesien. Gesellschaftspolitisch galt das Land bereits unter der Diktatur Ben Alis als eines der fortschrittlichsten Länder der arabischen Welt - zum Beispiel, was die Stellung der Frau betrifft.

Trotz der vielen Parteien sind drei politische Haupt-Strömungen zu erkennen. Da sind zum einen die jungen Revolutionäre und politischen Aktivisten. Von sozialdemokratischen oder sozialistischen Ideen beeinflusst, fordern sie ein fortschrittliches und modernes Tunesien, haben aber zuvor noch nie in einer Partei gearbeitet - geschweige denn eine gegründet. Dann gibt es einen Flügel um ehemalige Regierungsmitglieder. Sie waren unter dem Ben Ali-Regime in der inneren Opposition und befürworten einen liberalen, weltlichen Staat, den sie modernisieren wollen. In ihren Reihen befinden sich finanzkräftige Unternehmer, die sich einen teuren Wahlkampf leisten können.

Besonders einflussreich ist aber der politische Islam, vertreten vor allem von der Ennahda-Partei, die unter der Herrschaft Ben Alis unterdrückt wurde und praktisch als einzige politische Organisation im ganzen Land über Organisationsstrukturen verfügt. Ihr werden bei der Wahl gute Chancen eingeräumt. Doch die Partei sei gespalten, erklärt Klaus Loetzer von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Die einen folgen mehr dem türkischen Modell und wollen die Trennung von Kirche und Staat", sagt der Leiter des Auslandsbüros Tunesien. "Die anderen wollen die Einheit von Staat und Religion - also die Scharia als Grundlage für staatliches Handeln und den Rechtsrahmen der Bürger."

Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung

Amal Nasr, Kandidatin des 'Demokratisch-Modernistischen Pols' für die Verfassunggebende Versammlung in Tunesien (Foto: DW/Michael Gessat)
Amal Nasr kandidiert für den "Demokratisch-Modernistischen Pol"Bild: DW/Michael Gessat

Unabhängig davon, welche Parteien bei der Wahl besonders gut abschneiden: Klar ist, dass sie sich um die Wirtschaft kümmern müssen. Tunesiens Wirtschaftsleistung ist durch den politischen Umbruch geschrumpft, die Tourismus-Branche hat stark gelitten. Arbeitsplätze, eine der Hauptforderungen der Revolutionäre, gibt es nach wie vor zu wenig, und die Devisenreserven sind zurückgegangen. Eine schnelle Besserung ist nicht in Sicht; Fluchtwellen über das Mittelmeer zeugen davon.

Die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, sei die größte Herausforderung für die tunesische Politik, meint Asiem El Difraoui. "Es geht allen parteiübergreifend um eine schnelle wirtschaftliche Besserung", sagt er. Vor allem in den ländlichen Gebieten, dort, wo der Aufstand gegen die Herrschaft Ben Alis begonnen hat, liegt die Wirtschaft brach. In dieser Hinsicht hat der politische Wandel den Menschen auf dem Land wenig gebracht. Die Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung ist der erste Test, ob die Hoffnungen der tunesischen Revolution erfüllt werden können,

Autorin: Anne Allmeling

Redaktion: Daniel Scheschkewitz/Tamas Szabo