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Tunesiens neuer Tourismus

Sarah Mersch4. März 2014

Weg vom billigen Strandtourismus, hin zu mehr Kultur - so soll sich Tunesiens Tourismus aus der Krise befreien. Dafür engagiert sich eine Ministerin, die in Deutschland ausgebildet wurde.

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Die historische Altstadt der tunesischen Stadt Tozeur (Foto: Mersch/DW)
Bild: DW/S. Mersch

Zwischen Dünen und einem Set der Star-Wars-Filme, das langsam von Sand überdeckt wird, liegt Ong Jemal, wörtlich "der Rücken des Kamels" - daran soll die große Düne zwischen der Kleinstadt Nefta und der algerischen Grenze erinnern. An einem Wochenende Ende Februar sind Tausende hierher gepilgert zu den Dunes Electroniques, den "Elektronischen Dünen". Von Mittag bis Mitternacht tanzen hier junge Leute zur Musik internationaler DJs im Wüstensand. "Wenn ihr Tunesien nicht verändert, dann wird sich nichts ändern. Tunesien braucht euch", ruft Amel Karboul dem Publikum in einer Mischung aus Arabisch, Französisch und Englisch zu. Die Menge jubelt begeistert. Aber Karboul ist nicht etwa Animateurin, sondern Ministerin, und in den Süden Tunesiens gekommen, um den Tourismus in der Region anzukurbeln. Der Stil der 40-jährigen Ingenieurin, die eigentlich als Coach arbeitet und seit rund einem Monat im Amt ist, kommt gut an. Doch auf ihr lasten große Erwartungen: Besonders als Fachfremde wird sie sich als eine von nur zwei Frauen der neuen Ministerriege beweisen müssen.

Die tunesische Tourismusministerin Amel Karboul (Foto: Mersch/DW)
Auf Tourismusministerin Karboul lasten große ErwartungenBild: DW/S. Mersch

Karboul hat in Deutschland studiert, gearbeitet und dort eine Familie gegründet. Jetzt ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt, weil Premierminister Mehdi Jomaa sie im Januar gebeten hat, ein Amt in der neuen Übergangsregierung zu übernehmen. Viel Zeit wird sie nicht haben, noch vor Ende des Jahres sollen reguläre Wahlen stattfinden. "Auch wenn ich nur eine oder zwei Wochen hätte, ich würde immer langfristig arbeiten", sagt sie - und hat einen Plan aufgestellt, der Tunesien aus der Tourismuskrise führen soll.

Instabilität und Strukturprobleme

Die Zahl der ausländischen Touristen ist seit 2011 massiv eingebrochen, zeitweise kamen 60 Prozent weniger Besucher als vor dem politischen Umbruch in Tunesien. Vielen macht die instabile Situation Angst, auch wenn in Tunesien nie Ausländer zur Zielscheibe von Gewalt wurden. "Weil in Libyen und Ägypten viel passiert, schreiben die Leute die ganze Region ab", meint Karboul. "Das ist, als ob man sagen würde: In Nordirland ist eine Bombe hochgegangen, deshalb fahre ich nicht nach Italien in den Urlaub."

Hinzu kommen strukturelle Probleme: In den 1960er und 70er Jahren wurden am Strand Bettenburgen gebaut, Kulturtourismus gab es kaum. Vierzig Jahre später verfallen die Hotels und Tunesien haftet das Image des billigen Strandtourismus an. Dieses Image zu verändern und eine andere Klientel anzuziehen, ist jetzt die erste Priorität von Amel Karboul. "Tunesien hat ganz viel kulturellen und historischen Reichtum zu bieten - und darüber reden wir nicht genug."

"Noch nie so etwas gesehen"

Bertrand ist extra aus Kamerun zum Musik-Festival gekommen. "Ich habe tunesische Freunde, kenne das Land seit drei Jahren, aber so etwas habe ich noch nie gesehen." Stephane aus Frankreich kommt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. "Das ist unglaublich, wir sind sehr froh, dass wir gekommen sind. Das Star-Wars-Set ist toll, die Musik ist super, und das Hotel auch." Festivals wie die Dunes Electroniques sollen dabei helfen, Tunesien wieder in den Blick der Öffentlichkeit zu bringen. Rund zehntausend Gäste sollen es gewesen sein, die das Wochenende in der Region im Süden nahe der Grenze zu Algerien verbracht haben.

Partygäste auf dem Festival Dunes Electroniques in Tunesien (Foto: Mersch/DW)
"Unglaublich froh, dass wir gekommen sind": Partygäste auf dem Festival "Elektronische Dünen"Bild: DW/S. Mersch

Auch die lokale Bevölkerung ist froh, dass in der Region wieder etwas Leben zu spüren ist. Außer dem Dattelanbau in den Oasen gibt es hier nur den Tourismus. Seit der Revolution haben in der Region von Tozeur und Nefta 13 Hotels geschlossen, die Kosten für Personal und Instandhaltung waren zu hoch. Selmi Chokri, Direktor des Hotel Hafsi in Tozeur, ist einer der wenigen, der versucht, der Krise standzuhalten. Er ist glücklich, denn sein Hotel mit 300 Betten war an diesem Wochenende ausgebucht. Im Vorjahr hatte er um diese Jahreszeit gerade einmal ein Zehntel so viele Gäste. Er verspricht sich davon ein Umsatzplus von zehn Prozent für dieses Jahr "Dank dieses Festivals, dank der neuen Ministerin und der politischen Veränderung ist die Familie des Tourismus in Tunesien optimistisch", sagt er lächelnd. Um gleich hinterher zu schieben: "Wir können nicht mehr Geld bezahlen. Sozialversicherung für die Mitarbeiter, die Stromrechnung: Die Kosten sind zu hoch. Wir haben niemanden entlassen, aber wir leiden unter den Folgen."

Hoffen auf ein Wunder

Im nahe gelegenen Tamerza, einer Kleinstadt mit einer malerischen Oase und einem spektakulären Canyon mitten in den rauen Bergen, sitzen Männer vor dem geschlossenen Luxushotel Tamerza Palace - vor "ihrem Hotel", wie sie betonen. Seit Januar stehen die 57 Mitarbeiter auf der Straße, vom Eigentümer keine Spur. Mit einem Sit-in wollen sie auf ihre Situation aufmerksam machen. "Ich bin 47 Jahre alt, habe 25 Jahre lang im Tourismus gearbeitet, ich finde doch keine andere Arbeit. Was soll ich jetzt machen? Ich habe vier Kinder. Es ist eine Katastrophe", sagt Barmann Abdelbaki auf Deutsch und zuckt hoffnungslos die Schultern.

Arbeitslose, die früher in der Tourismus-Branche tätig waren, protestieren in Tunesien (Foto: Mersch/DW)
Ehemalige Angestellte aus dem Tourismus-Sektor machen auf ihre schwere Lage aufmerksamBild: DW/S. Mersch

In der Stadt mit 5000 Einwohnern sieht er keine Zukunft, er überlegt jetzt, nach Algerien auszuwandern. Er und seine Kollegen hatten sogar angeboten, für den halben Lohn zu arbeiten, doch selbst das war dem Hoteldirektor zu teuer. Der zaghafte Aufschwung, den sich der tunesische Tourismus 2014 erhofft, wird wohl an ihnen vorbeigehen. Auch wenn sie immer noch auf ein kleines Wunder und die Hilfe der Ministerin hoffen.