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Tunesiens Regierung in der Krise

Sarah Mersch12. Juli 2012

Die Verfassung ist weitgehend geschrieben und die Parlamentswahlen sind fürs Frühjahr angesetzt. In Tunesien läuft eigentlich alles nach Plan. Das Mutterland der arabischen Revolte steckt dennoch in der Krise.

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Tunesiens Präsident Marzouki (l.) und Premierminister Hamadi Jbeli (Foto: dapd)
Bild: AP

Anderthalb Jahre nach der friedlichen Revolution vom 14. Januar durchlebt Tunesien seine erste große Regierungskrise. Präsident und Premierminister stehen sich unversöhnlich gegenüber. Begonnen hatte die jüngste Eskalation mit einem Streit über den Umgang mit dem früheren libyschen Premierminister Baghdadi Mahmoudi, den die Regierung Ende Juni ausweisen ließ - ohne Staatspräsident Moncef Marzouki darüber vorab zu informieren. Weil Mahmoudi in Libyen Folter oder sogar die Todesstrafe droht, musste Marzouki - selbst lange Jahre Chef der tunesischen Menschenrechtsliga - diesen Schritt als Affront auffassen.

Porträt von Tunesiens Staatspräsident Moncef Marzouki (Foto: dapd)
An Ansehen verloren: Staatspräsident Moncef MarzoukiBild: AP

Spott und Häme für den Präsidenten

Die Affäre um den libyschen Politiker machte eine Entfremdung zwischen den Staatsorganen sichtbar, die sich mittlerweile weiter verstärkt hat. Als Staatspräsident Marzouki den Gouverneur der tunesischen Zentralbank absetzen wollte, verhinderte dies sein Premierminister. Ein Minister und der Pressesprecher von Marzouki traten deswegen zurück.

Der Verlierer dieses Machtspiels steht für die Öffentlichkeit fest: der anfangs hoch geachtete Staatspräsident. Über Marzouki ergießt sich derzeit eine Welle von Spott und Häme in der Öffentlichkeit - bei einem Konzertbesuch buhte ihn das Publikum aus. Seine Rettungsversuche wirken hilflos: "In Anbetracht dieser Krise rufe ich alle Beteiligten dazu auf, den Konsens zu suchen", schrieb Marzouki der politischen Klasse ins Stammbuch. Mit Vertrauensverlust im Volk kämpft derweil aber nicht nur der Präsident, sondern auch die Regierung unter Führung der islamistischen Ennahda-Partei, die vor gut einem Jahr an die Macht kam. Die hohen Erwartungen konnte die Regierung bislang nicht erfüllen. Die sie tragenden Parteien sind mittlerweile zerstritten.

Sucht den Konflikt mit dem Präsidenten: Premier Hamadi Jebali (Foto: dapd)
Sucht den Konflikt mit dem Präsidenten: Premier JebaliBild: AP

Hürden auf dem Weg zur Demokratie

Für den Journalisten Slaheddine Jourchi sind die Machtkämpfe ein Zeichen für die langsame Entwicklung der Demokratie in Tunesien. "Das ist alles noch sehr vage. Es gibt keine klare Vision für das Land. Sowohl Regierung als auch Opposition handeln sehr zweideutig“, kritisiert Jourchi, der früher selbst Mitglied der Ennahda war, die Partei der Islamisten aber inzwischen mit kritischer Distanz betrachtet. "Es mangelt der Regierung nicht nur an Erfahrung, sondern auch an einem klaren Ziel. Tunesien hat sich mit der neuen Verfassung aus allen Möglichkeiten den schwierigsten Weg ausgesucht."

Proteste gegen die tunesische Übergangsregierung im April 2012 (Foto: dapd).
Auch gegen die Übergangsregierung gehen die Tunesier regelmäßig auf die StraßeBild: AP

Die neue Verfassung, die im Herbst vom Volk angenommen werden soll, ist nicht die einzige Herausforderung, vor der Tunesien steht. Die schleppende wirtschaftliche Entwicklung und die hohe Arbeitslosigkeit stärken die politischen Ränder. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit salafistischen Gruppierungen. Die Aufarbeitung der Diktatur des ehemaligen Machthabers Zine el Abidine Ben Ali gerät ins Stocken. Ben Alis früherer Premierminister Beji Caid Essebsi hat gerade eine neue Partei gegründet: "Ich bin im Hinblick auf die kommenden Wahlen sehr besorgt, dass es zu einer möglichen Rückkehr der Kräfte des alten Regimes kommen könnte“, sagt Richter Mokhtar Yahyaoui.

Die Zersplitterung der demokratischen Parteien und die schleppende Aufarbeitung der tunesischen Geschichte gäben den rückwärtsgewandten Kräften Auftrieb. Yahyaoui, der unter Ben Ali Arbeitsverbot als Richter hatte, weil er zu regimekritisch war, setzt dennoch auf eine Stärkung der demokratischen Kräfte: "Ich hoffe, dass sie sich bis zu den Wahlen zusammentun werden und wir es dann mit einer stärkeren, glaubwürdigen Opposition zu tun haben werden.“ Mit der derzeitigen Lage im Land ist der Richter unzufrieden: "Ich bin wirklich enttäuscht. Wir haben keine unabhängige Justiz, die das Machtgleichgewicht garantiert, und der Justizminister macht ein bisschen was er will."

Foto des früheren tunesischen Premierministers Beji Caid Essebsi (Foto: ddp)
Die alten Kader wollen zurück: Ex-Premier Beji Caid EssebsiBild: AP

Ohne Demokratie keine Investitionen

Deutschland sichert unterdessen dem Mittelmeerstaat weiterhin Unterstützung auf dem Weg zur Demokratie zu. Private Investitionen und politische Anstrengungen erwartet Gudrun Kopp, Staatssekretärin im deutschen Entwicklungsministerium: "Ohne gute Regierungsführung, ohne eine stabile Verfassung und ohne die Einhaltung von Menschenrechten wird das nicht gelingen", forderte sie bei einem Besuch in Tunis ihre Partner auf.