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Technik

Tupolew Tu-154: "Lada der Lüfte"

27. Dezember 2016

Nach dem Flugzeugabsturz über dem Schwarzen Meer werten russische Ermittler den Flugschreiber der Tupolew aus. Die Tu-154 gehört zu einer überholten Generation von Jets. Ein Sicherheitsrisiko ist sie deshalb aber nicht.

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Russland Tupolev 154
Bild: Getty Images/AFP/A. Nemenov

Bisher liegen die Unglücksursachen völlig im Dunkeln: Schlechter Treibstoff, ein Fremdobjekt im Triebwerk oder ein Pilotenfehler könnten den Absturz ausgelöst haben. Auch einen technischen Defekt halten die Behörden für möglich. Eine Tupolew Tu-154 stürze jedenfalls nicht einfach so ab, zitiert die regierungsnahe Nachrichtenagentur Sputnik einen russischen Luftfahrtexperten.

Die Militärmaschine mit der Kennung RA-85572 war am Sonntag kurz nach dem Start ins Meer gestürzt. Alle 92 Insassen kamen dabei ums Leben. Der Flugzeugtyp Tu-154 wurde zwischen 1968 und 2013 mehr als 1000 Mal gebaut und war über Jahrzehnte eines der meist genutzten Mittelstreckenflugzeuge in Russland. Derzeit gibt es noch rund 300 Maschinen dieses Typs, 100 sind im regelmäßig im Einsatz - unter anderem beim russischen Militär. Die größte russische Fluggesellschaft Aeroflot musterte ihre letzten Tu-154 im Jahr 2009 aus.

Tu-154 - ein Sicherheitsrisiko?

Die Tu-154 verkörpert also nicht unbedingt den State-of-the-Art des Flugzeugbaus. So erreicht sie dank starker Triebwerke zwar höhere Reisegeschwindigkeiten, verbraucht aber auch mehr Treibstoff als die moderneren Mittelstreckenmaschinen. Wegen der höheren Lärmentwicklung sind überhaupt nur neuere Exemplare in der EU zugelassen, deren Triebwerke mit einer Art Schalldämpfer nachgerüstet wurden.

Auch im Cockpit habe man bei der Tu-154 eher auf konservative Lösungen gesetzt  als auf High-End-Technologien, erklärt Michael Santo, Luftfahrtexperte der deutschen Unternehmensberatung h&z: "Die Tu-154 ist dafür konstruiert, auch auf entlegeneren Flugplätzen zu landen, auf denen keine komplette Wartungsinfrastruktur verfügbar ist." Sie komme im Notfall sogar ohne befestigte Landebahn aus: "Ihr Fahrwerk ist robust genug, um auf Graspisten zu landen", sagt Santo.

Wenn auch russische Fluggesellschaften immer mehr auf neuere Modelle setzten, liege das also nicht an mangelnder Zuverlässigkeit der Tu-154, sondern habe eher etwas mit Komfort und Wirtschaftlichkeit zu tun. "Das ist schon so etwas wie der Lada der Lüfte", bringt Santo es scherzend auf den Punkt.

Ein grundsätzliches Sicherheitsrisiko jedenfalls ergebe sich aus der veralteten Technik der Unglücksmaschine nicht, sagt Santo: "Viel wichtiger als das schiere Alter eines Flugzeugs ist die Zahl der Flugstunden, der Starts und Landungen sowie - in allererster Linie - dass die Wartungen regelmäßig und konsequent durchgeführt wurden."

Deutschland Lufthansa Piloten Streik
Das digitale Cockpit eines Airbus A380 - auch keine Garantie gegen UnfälleBild: picture alliance/dpa/D. Reinhardt

Die nun abgestürzte Tupolew war 33 Jahre alt, andere Flugzeuge versehen noch nach 40 oder 50 Jahren regelmäßig ihren Dienst. Die Unglücksmaschine soll 6689 Flugstunden hinter sich gehabt haben. Auch der Hamburger Journalist und Luftfahrtexperte Cord Schellenberg sagt: "Dieses Flugzeug müsste eigentlich bei guter Wartung in einem technisch hervorragenden Zustand sein."

Auch alte Flugzeuge können sicher sein

Ist also all die Technik an Bord von Airbus, Boeing und Co. überflüssig? Keineswegs, sagt Santo, sie könne die Besatzung durchaus entlasten und zusätzliche Informationen bieten. Gerade aber grundlegende Instrumente wie Höhenmesser, künstlicher Horizont und Steigmesser seien weder besser noch schlechter, wenn sie digital statt analog angezeigt würden.

Die Tatsache, dass Flugunfälle trotz steigender Flugzahlen wesentlich seltener geworden sind seit der Zeit, aus der die Tu-154 stammt, habe relativ wenig mit dem Umstieg von analogen auf digitale Instrumente zu tun, sagt Santo. An Bord seien dafür insbesondere zwei Systeme: das GPWS (Ground Proximity Warning System), das den Piloten warnt, wenn er dem Boden zu nah kommt, und das TCAS (Traffic collision avoidance system), das Kollisionen zwischen zwei Flugzeugen verhindert, indem es beiden Crews Ausweichanweisungen gibt. Und damit, sagt Santo, seien heute praktisch alle Verkehrsflugzeuge ausgestattet - unabhängig vom Baujahr. Die mit Abstand häufigste Ursache für Flugzeugunglücke seien daher menschliche Fehler - sei es bei der Wartung, durch die Flugsicherung am Boden oder durch die Crew selbst.

Transparenz und Aufklärung wichtig

Nun gehe es darum, dass die Ermittler der wahren Unglücksursache auf den Grund gingen. Nicht nur für die Hinterbliebenen sei das wichtig, sondern es liefere auch Anhaltspunkte, Unglücke künftig zu vermeiden. Dies, da sind sich beide Experten einig, sei in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen. Gerade in Russland, habe man das Gefühl, seien solche Untersuchungen oft politisch geprägt, sagt Santo.

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Noch am Sonntag fanden Sucheinheiten das Wrack der abgestürzten Militärmaschine im Schwarzen MeerBild: picture-alliance/TASS

Auch im Falle der RA-85572 beeilten sich verschiedene Sprecher, diverse Gründe auszuräumen. "Wenn Maschinen des Verteidigungsministeriums vom Radar verschwinden und Menschen an Bord sterben, ist das natürlich nicht das Bild, das die stolze Militärmacht Russland abgeben möchte", sagt Schellenberg.

Die eingehende Untersuchung eines Flugzeugabsturzes dauert Monate oder gar Jahre. Doch die russischen Behörden wollen bereits jetzt einen Terroranschlag ausschließen. Bei Schellenberg läuten dabei die Alarmglocken: "Zunächst einmal sollten die Ermittler alle Puzzle-Teile einsammeln und untersuchen, bevor man sich entscheidet, bestimmte Möglichkeiten außer Betracht zu lassen."

 

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.