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'Es ist eine Zeitbombe'

Gesine Dornblüth6. Januar 2007

Oppositionsparteien sind in Turkmenistan nicht zugelassen, und außer den Vereinten Nationen und der OSZE haben sich auch alle internationalen Organisationen aus der zentralasiatischen Republik zurückgezogen.

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Mitglieder der Wahlversammlung (Quelle: AP)
Die turkmenische Wahlversammlung wird am 11. Februar einen neuen Präsidenten wählenBild: AP

Mit Saparmurad Nijasow, dem Präsidenten von Turkmenistan, starb kurz vor Weihnachten eine der wohl bizarrsten Figuren der ehemaligen Sowjetunion. Er nannte sich "Turkmenbaschi", "Führer aller Turkmenen" und schrieb Bücher, die jeder Turkmene kennen und achten musste. Von Menschenrechten und Demokratie hielt er dagegen wenig.

Wer sich daher für Menschenrechte in Turkmenistan einsetzen möchte, kann das nur vom Ausland aus tun, alles andere wäre lebensgefährlich. Tadschigul Begmedova lebt seit drei Jahren im Exil in Bulgarien, betreibt dort die "Turkmenische Helsinki-Stiftung für Menschenrechte" und versucht, über die Lage in ihrer Heimat zu informieren.

Informationsreise nach Berlin

Ein abgedunkelter Saal im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin. Tadschigul Begmedova sitzt auf einem Stuhl, von Scheinwerfern hell beleuchtet. Beinahe schüchtern folgt die schlanke Frau den Anweisungen des Kameramanns, nimmt das geblümte Tuch ab, das sie sich salopp um die Schultern gelegt hatte, lässt sich ein Mikrophon anstecken, legt ihre Lesebrille weg. Es ist das dritte Interview an diesem Tag.

Dabei wirkt die Menschenrechtlerin nur nach außen ruhig, wie sie sagt: "In Wirklichkeit brennt meine Seele. Ich kannte nur Schule, Arbeit am Institut und Familie. Plötzlich wurden 19 meiner Verwandten unter Druck gesetzt, verloren Arbeit und Wohnung, einige wurden verhaftet. In Turkmenistan selbst ist keine Menschenrechtsarbeit möglich. Deshalb müssen wir das im Ausland tun. Viele unserer Bekannten hoffen auf uns."

Kampf für mehr Demokratie

Ogulsapar Muradowa (Quelle: Amnesty International)
Ogulsapar MuradowaBild: amnesty international

Tadschigul Begmedova hat in Turkmenistan 20 Jahre lang Wirtschaft unterrichtet, bis sie 2002 nach Bulgarien ausreiste. Dort hatte ihr Mann Freunde. Mittlerweile ist die 47-Jährige zum Medienprofi geworden. Sie will aufklären, zum Beispiel über die drei Journalisten, die 2006 in Turkmenistan verhaftet und zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Die drei hatten einem französischen Filmteam bei Dreharbeiten geholfen.

Eine der Häftlinge, Ogulsapar Muradowa, starb in der Haft, offenbar an den Folgen von Folter. "Die Leiche hatte tiefe Wunden am Kopf, Würgemale am Hals, ein Bein war gebrochen, und an Arm und Bein waren Spuren zahlreicher Injektionen", sagt Tadschigul Begmedova. "Die Angehörigen von Muradowa haben internationale Organisationen um Hilfe gebeten. Ihnen wird nun mit Verhaftung gedroht."

Humanitäre Katastrophe zeichnet sich ab

Marktfrauen vor Obstständen (Quelle: AP)
Markt in AschchabatBild: AP

Von der nach dem Tod des Präsidenten Nijasov eingesetzten Interimsregierung erwartet Begmedova keine grundsätzlichen Veränderungen zum Besseren. Zu gefestigt sei das Regime, und die neuen politischen Führer lediglich Kopien von Turkmenbaschi. "Turkmenistan ist eine Zeitbombe. Dort zeichnet sich eine humanitäre Katastrophe ab. Schon jetzt werden Krankenhäuser geschlossen, Renten nicht mehr ausgezahlt."

Auch das Bildungssystem liege am Boden. Junge Leute seien völlig ungebildet. "Sie kennen nur noch eins: die Ruchnama, die Sprüchesammlungen des Präsidenten. Im letzten Jahr vor meiner Ausreise haben meine Studenten auf jede Frage, egal, ob es um Wirtschaft oder Umweltschutz ging, mit einem Verweis auf die Politik von Turkmenbaschi geantwortet", so Begmedova. "Und sie haben nicht einfach vom 'Präsidenten' gesprochen, sondern vom 'großen, lebenslangen Führer, dem Vater der Nation', denn nur so durfte man ihn nennen."

Eine Blume im Gefängnis

Tadschigul Begmedova fährt sich über die kurzen Haare. Tadschigul heißt "königliche Blume". Begmedova erzählt, wie es zu diesem Namen kam: "Wir sind drei Schwestern, und meine Eltern haben uns nach Blumen benannt: Meine ältere Schwester heißt Aktschagul: 'Weiße Blume', meine jüngere 'Annagul': 'Heilige Blume'."

Die "Weiße Blume" sitzt im Gefängnis. Sie wurde, nachdem ihre Schwester in Bulgarien die Helsinki-Stiftung gegründet hatte, zu neun Jahren Haft verurteilt. Tadschigul Begmedova hat seitdem nichts mehr von ihr gehört. Die jüngste Schwester verlor ihren Arbeitsplatz. Der Vater wurde aus der Hauptstadt an den Rand des Landes zwangsumgesiedelt. Tadschigul Begmedova geht von Racheakten des Regimes aus. Seit Nijasovs Tod sind die Telefone ihres Vaters und anderer Menschenrechtsaktivisten abgeschaltet.

Hoffen auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Das Regime wolle offenbar jede Chance eines Machtwechsels im Keim ersticken, sagt Begmedova. Trotz allem glaubt sie an einen Wechsel - irgendwann. "Es gibt junge Turkmenen, die uns aufsuchen, wenn sie im Ausland sind. Unsere Informanten sprechen mit ehemaligen Gefangenen und mit Anwälten, sogar mit einigen Beamten, die das Regime kritisch sehen, aber das nicht offen sagen können. All das sind Erfolge."

Tadschigul Begmedova hofft außerdem auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Die Bundesregierung plant für diese Zeit eine europäische Zentralasien-Offensive. Menschenrechte sollen dabei eine wichtige Rolle spielen, heißt es aus dem Außenministerium. "Leider zeigt die Praxis der letzten Jahre, dass ausländische Vertreter schöne Worte über Demokratie und Menschenrechte oft nur für ihr Image benutzen und sie dann nicht umsetzen. Davor haben wir Angst." Aber, sagt sie in Anspielung auf die Zentralasien-Reise von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang November 2005 und seine Versprechen, sich für das Land zu engagieren: "wir hoffen, dass Herr Steinmeier ein Mann ist, der sein Wort hält."