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Politik

Türkei will Nordsyrien nicht kontrollieren

30. Oktober 2019

Ist es ein Verbalmanöver, um westliche Gemüter zu besänftigen? Oder steckt mehr dahinter? Die Regierung in Ankara will die von türkischen Soldaten kontrollierten Gebiete an Syrien zurückgeben, nennt aber Bedingungen.

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Militärischer Konflikt in Syrien | Kurdenmiliz YPG
34.000 kurdische YPG-Kämpfer haben nach russischen Angaben mit ihren Waffen Nordsyrien verlassen Bild: picture-alliance/dpa/B. Ahmad

Die kurdische YPG-Miliz ist aus Nordsyrien abgezogen, türkische Soldaten kontrollieren Teile der Region. Doch das soll - wenn man der Regierung in Ankara Glauben schenkt - langfristig nicht so bleiben. Wenn die syrische Regierung in der Lage sei, ihr Territorium zu schützen und "Terrororganisationen" zu bekämpfen, "ich denke, dann sollten alle Gebiete wieder an Damaskus übergeben werden", sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu in Genf. Er ergänzte, die Türkei habe die Regionen in Nordsyrien sowohl von der Kurdenmiliz YPG als auch von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) "gesäubert".

Militärischer Konflikt in Syrien | Türkischer Außenminister Cavusoglu in Genf
Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu will "nie wieder" kurdische YPG-Kämpfer in Nordsyrien sehen Bild: picture-alliance/dpa/TASS/A. Shcherbak

Türkische Truppen hatten am 9. Oktober eine Militäroffensive gegen die kurdischen YPG-Einheiten begonnen, die Ankara wegen ihrer Nähe zu den kurdischen PKK-Rebellen in der Türkei als Terroristen ansieht. Für die USA waren die von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) dagegen ein wichtiger Partner im Kampf gegen den IS.

Zuletzt wurde den kurdischen Kräften sechs Tage Zeit gegeben, sich vollständig aus dem Norden Syriens zurückzuziehen. Noch vor Ablauf der Frist am Dienstagabend waren sämtliche YPG-Einheiten abgezogen, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte. Nun hätten syrische Grenztruppen und die russische Militärpolizei die Kontrolle übernommen. Weiter hieß es, die Kurden hätten insgesamt 34.000 Mann aus der 30 Kilometer tiefen Pufferzone entlang der Grenze zur Türkei abgezogen. Zudem hätten sie 3000 Waffen sowie Militärtechnik mitgenommen.

Militärischer Konflikt in Syrien | Russischen Militärpolizei und Kurdenmiliz YPG
Russische Militärpolizei eskortiert abziehende YPG-Einheiten Bild: picture-alliance/dpa/B. Ahmad

Cavusoglu meinte zu den Äußerungen aus Moskau, den russischen Partnern müsse man glauben, aber falls künftig YPG-Kämpfer in dem Gebiet auftauchen sollten, würden diese getötet. Fahrettin Altun, Kommunikationsdirektor des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan twitterte: "Wir werden durch gemeinsame Patrouillen feststellen, ob sich die Terroristen tatsächlich zurückgezogen haben oder nicht." Russland als Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und die Führung in Ankara hatten sich in der vergangenen Woche darauf verständigt, nordsyrische Grenzgebiete zur Türkei gemeinsam zu kontrollieren.

Mehr als 100.000 Menschen in Nordsyrien auf der Flucht

Die humanitäre Lage in Nordsyrien bleibt nach Angaben des Welternährungsprogramms (WFP) verheerend. "Viele Menschen mussten fliehen und ihr ganzes Hab und Gut zurücklassen." Sie bräuchten vor allem Nahrung, Medikamente, Garderobe und andere nötige Dinge des täglichen Bedarfs, erläuterte WFP-Sprecher Hervé Verhoosel in Genf. Von den 180.000 Anwohnern, die nach dem türkischen Einmarsch vertrieben worden waren, seien 106.000 weiter auf der Flucht. Die Hilfsorganisation habe seitdem in der Region mehr als 300.000 Menschen mit Nahrungsmitteln versorgt.

Irak Flüchtlinge aus Syrien nach Militäroffensive Türkei
Syrer, die durch die türkische Offensive vertrieben wurden, in einem Flüchtlingslager im nordirakischen Mossul Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Malla

Syrischer Verfassungsausschuss tagt erstmals

Doch es gibt auch einen kleinen Lichtblick in all dem Elend: Achteinhalb Jahre nach Beginn des Kriegs in Syrien setzen sich Regierung und Opposition nun zum ersten Mal an den Verhandlungstisch. Gemeinsam mit Vertretern der Zivilgesellschaft und mit Unterstützung der Vereinten Nationen wollen beide Seiten von diesem Mittwoch an in Genf an einer neuen Verfassung arbeiten. In dem Verfassungsausschuss sitzen je 50 Vertreter der Regierung, der Opposition und der Zivilgesellschaft.

Militärischer Konflikt in Syrien | Russischer Außenminister Lawrow in Genf
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hofft auf eine politische Lösung des Syrien-Konflikts Bild: picture-alliance/dpa/TASS/A. Shcherbak

Russland, die Türkei und der Iran sehen darin eine große Chance für eine Rückkehr zu einem politischen Prozess in dem Bürgerkriegsland. "Es gibt für die Syrien-Krise keine militärische Lösung", bekräftigte der russische Außenminister Sergej Lawrow nach einem Treffen mit seinen Kollegen aus der Türkei und dem Iran, Cavusoglu und Mohammed Dschawad Sarif, in Genf.

Während des Kriegs in Syrien wurden mehr als 400.000 Menschen getötet, Millionen Menschen wurden vertrieben. Weite Teile des Landes sind zerstört.

se/rb (rtr, dpa, afp)