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Gesellschaft

Hochqualifiziert, aber schlecht bezahlt

Aysegül Ilgin
25. April 2021

Immer mehr junge, gut ausgebildete Menschen aus der Türkei versuchen ihr Glück in Deutschland. Sie sehnen sich nach Freiheit und gut bezahlten Jobs. Doch der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt steckt voller Hindernisse.

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Deutschland Arbeitsmarkt Paketbote
So mancher Arbeitnehmer aus der Türkei wird in Deutschland trotz eines oder sogar mehrerer Universitätsabschlüsse im Niedriglohnsektor beschäftigt.Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Die politische und wirtschaftliche Lage in der Türkei ist so schwierig, dass immer mehr Menschen ihrem Land den Rücken kehren - oder zumindest ernsthaft darüber nachdenken. Besonders beliebt unter den Auswanderungswilligen ist Deutschland. Anders als noch die erste türkische Einwanderergeneration vor rund 50 Jahren zeichnet diese Generation aus, dass ihre Vertreter überwiegend jung und gut ausgebildet sind. Unter ihnen befinden sich Akademiker, Künstler, Journalisten, Studenten oder Ärzte. 

Selten gab es in Deutschland so viele Asylbewerber aus der Türkei. Lag ihre Zahl 2015, ein Jahr vor dem gescheiterten Putschversuch, noch bei rund 1700, waren es im Jahr 2019 bereits mehr als 11.000. Andere Türken versuchen, nach Abschluss ihres Studiums in Deutschland einen Job zu finden und so im Land bleiben zu dürfen. Doch auf welchem Wege sie auch nach Deutschland kommen:  Aller hohen Schulbildung, fachlicher Qualifikationen und Berufserfahrungen zum Trotz fassen viele von ihnen beruflich in Deutschland kaum Fuß. 

"Keine Rückmeldung auf Bewerbungen"

Die Deutsche Welle sprach mit jungen Menschen aus der Türkei, die mittlerweile in Berlin leben. Unter ihnen befindet sich Aysegül Tezcan, die nach ihrem Journalistikstudium nach Berlin gekommen ist, um einen Master zu absolvieren. "Nach meinem Studienabschluss hatte ich 18 Monate lang Zeit, um einen neuen Job zu finden." Andernfalls wäre ihre Aufenthaltserlaubnis in Deutschland abgelaufen. "Ich habe richtig Angst bekommen", so Tezcan. "Ich habe zahlreiche Bewerbungen geschrieben, aber eine Rückmeldung bekam ich nie."

Ayşegül Tezcan
Ayşegül Tezcan arbeitet bekam nach ihrem Master-Abschluss einen Job im KundenserviceBild: Privat

Schließlich betreute sie drei Jahre lang türkischsprachige Kunden in einem Call-Center. Eigentlich wollte sie dort nur "vorübergehend" arbeiten, doch sie blieb deutlich länger als geplant. Eigentlich, so Tezcan, habe sie immer davon geträumt, als Journalistin zu arbeiten. Doch "die Sprachkurse und Schulungen, die ich absolvieren musste, um einen Job zu finden, nahmen kein Ende". Erschwerend komme hinzu, dass sich ihre Familie momentan nicht leisten könne, finanzielle Unterstützung zu leisten, da die türkische Lira zurzeit so schwach sei, klagt sie.

Kaffee kochen, telefonieren, Pizzen ausliefern

Jeyan Aslan kann sogar zwei Master-Abschlüsse vorweisen: einen in Sozialwissenschaften, den anderen in Internationalen Beziehungen. Zudem hatte sie bereits sechs Jahre Berufserfahrung unter anderem als Office-Managerin in der Türkei. "Meine Abschlüsse und meine Berufserfahrung waren hier gar nichts wert", klagt Aslan. Sie hätte nach Dutzenden Bewerbungen ohne Rückmeldungen einen Job auf der niedrigsten Ebene beginnen müssen. "Ich hatte Aufgaben wie Kaffee bestellen und ans Telefon gehen. Dabei war ich besser ausgebildet als die Leute, mit denen ich gearbeitet habe". Erst nach einiger Zeit und nur dank ihres Durchhaltevermögens sei sie dann doch befördert worden. 

Jeyan Aslan
Kaffee kochen mit zwei Studienabschlüssen: Jeyan Aslan Bild: Privat

Deniz (Name durch die Redaktion geändert) arbeitete in Istanbul als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der renommierten Bilgi-Universität, bevor er sich entschied, nach Berlin auszuwandern. Doch aufgrund der Corona-Pandemie habe er Schwierigkeiten gehabt, einen Job in seinem Berufsfeld - nämlich Kultur- und Kunstmanagement - zu finden. Also begann er einen Job, der von vielen Migranten ausgeübt wird: Er arbeitet für einen Restaurant-Lieferdienst. Aufgrund der schwierigen Arbeitsbedingungen und weil er oft schlecht behandelt wurde, fühle er sich manchmal wertlos, sagt Deniz.

"Vor allem Fachkräfte mit Berufsabschlüssen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften beklagen eine strukturelle Benachteiligung und ungenügende Anerkennung ihrer Erfahrungen und Qualifikationen", sagt Ulas Sener, Ökonom und Politikwissenschafter an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. "Ihre Situation wird auch dadurch erschwert, dass es keinen einflussreichen Berufs- oder Interessenverband gibt, der ihre Anliegen unterstützt."

"In der Türkei würde ich mein Leben verschwenden"

Auch Zeynep (Name durch die Redaktion geändert) kam zunächst für ein Soziologie-Masterstudium nach Berlin. Heute arbeitet sie für den gesetzlichen Mindestlohn bei einem Dienstleister, der für Facebook unerwünschte Inhalte in sozialen Medien entfernt. Zeynep berichtet, dass sie sogar Mobbing ausgesetzt gewesen sei, sich aber nicht habe wehren können, weil sie Ihre Vertragsverlängerung und somit ihre Aussicht auf eine Niederlassungserlaubnis nicht gefährden wollte. Sie ist von dem Unternehmen abhängig, um ein Visum im Rahmen des sogenannten Ankara-Abkommens zu erhalten. Das Assoziierungsabkommen, das 1963 zwischen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei abgeschlossen wurde, regelt bis heute die arbeitsbedingte Aufenthaltserlaubnis.

Deutschland türkische Gastarbeiter 1960/70
In den 1960er Jahren kamen die ersten türkischen Arbeitnehmer als "Gastarbeiter" nach DeutschlandBild: picture-alliance/CPA Media Co. Ltd

Hoffnungen setzen viele Einwanderer auf das neue, im vergangenen Jahr in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Bundesregierung. Doch auch nach einem Jahr habe dieses noch keine echten Fortschritte bei der Anerkennung von nicht im Inland erlangten Abschlüssen und Qualifikationen gemacht. "Betroffene beklagen hier noch immer hohe Hürden in der Umsetzung", sagt Ulas Sener. Entsprechend schwer tun sich viele noch immer damit, trotz ihrer Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.  

"Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Zeit, die ich in meine Ausbildung gesteckt hatte, umsonst war", berichtet Zeynep. "Es gibt überall aus der Türkei stammende, hochqualifizierte Einwanderer, die in der gleichen Situation sind. Die Sorge um die Verlängerung unserer Aufenthaltstitel lässt uns keine Spielräume."

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut.