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Boykott

Susanne Güsten13. Oktober 2008

Die Türkei ist in diesem Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Doch herrschen Unstimmigkeiten unter den Eliten des Landes. Die Literaten der Türkei streiten sich.

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Bild: AP

Rund 20 türkische Schriftsteller wollen die Frankfurter Buchmesse (ab 14.10.2008) boykottieren: Sie haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet – einige von ihnen sind die Autoren von Klassikern der modernen türkischen Literatur, alle sind überzeugte Kemalisten.

Die Literaturkritikerin Füsun Akatli begründet den Boykott mit ihrer Abneigung gegen die fromm-konservative Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan. Diese Regierung könne die türkische Kultur und Literatur nicht vertreten. Sie wolle die Türkei von ihrer 80jährigen Linie des Fortschritts und der Modernität abbringen, erklärt Akatli. "Unter der Schirmherrschaft eines Kulturministeriums von dieser Regierung will ich persönlich nicht an der Frankfurter Buchmesse teilnehmen", sagt die Kritikerin.

Die Buchmesse als Chance für die türkische Literatur

Logo Frankfurter Buchmesse 2008

Vergeblich verweisen die türkischen Schriftstellerverbände und das Organisationskomitee darauf, dass es sich bei der Frankfurter Buchmesse nicht um eine Veranstaltung der türkischen Regierung handelt. Auch viele türkische Schriftsteller kritisieren den Boykott als widersinnig.

Der Autor Ahmet Ümit, dessen sozialkritische Polit-Krimis zu den meistverkauften Büchern des Landes zählen, hält den Boykott darum auch für falsch. Für ihn ist die Buchmesse mit ihrem internationalem Publikum eine große Chance für die türkische Literatur. "Diese Chance aus Protest gegen die AKP-Regierung auszuschlagen, das kommt mir nicht sinnvoll vor. Wir sollten im Gegenteil lieber diese Chance nutzen und unsere Literatur dort vorstellen und bekannt machen. Sie ist nämlich eine große Literatur und viel zu wenig bekannt in der Welt", sagt Ümit.

Kritik bleibt unkonkret

Die Boykottierer bezweifeln aber, dass sie ihr Land und seine Kultur in Frankfurt angemessen darstellen können. Das Kulturministerium wolle das Image der Türkei durch das Rahmenprogramm und die Auswahl der Teilnehmer manipulieren, argwöhnt Literaturkritikerin Akatli.

"Man wird das dort so darstellen, als gebe es in der Türkei eben Schriftsteller aller möglichen Ansichten, darunter auch solche, die den gemäßigten Islam unterstützen. Wir werden es erleben, dass diese Leute in Frankfurt gleichbehandelt und als ebenbürtig dargestellt werden. So ein Bild soll dort vorgespiegelt werden, und ich persönlich will auf einem solchen Bild nicht erscheinen", sagt sie. Wen sie mit ihrer Kritik an der Auswahl der Autoren für die Buchmesse meinen, wollen die Boykotteure nicht sagen. Namen nennt auch Füsun Akatli nicht.

Kritiker bemängeln fehlende Transparenz

Ähnlich unkonkret bleibt auch ihre Kritik an den türkischen Vorbereitungen für die Messe und das Rahmenprogramm. "Das ist ganz im Geheimen gemacht worden", kritsiert Akatli. Erst nach der Messe würden sie erfahren, wer teilgenommen habe und über welche Themen diskutiert wurde. Transparenz gebe es nicht.

Diese mangelnde Transparenz werfen die Boykotteure den Organisatoren auch in ihrer schriftlichen Protesterklärung vor. Allerdings ist das Programm der Buchmesse schon seit Wochen auf der Internetseite des Organisationskomitees veröffentlicht, mitsamt allen Symposien, Teilnehmern und Themen.

Breites Themenspektrum im Programm der Buchmesse

Über Frauenbefreiung, Migration und Meinungsfreiheit sind Podiumsdiskussionen anberaumt, über Vergangenheitsbewältigung und Modernisierung, über Fußball, Musik und Humor, und – tatsächlich – auch eine Podiumsdiskussion über den Islam in der Türkei ist vorgesehen.

Während manche der rund 200 eingeladenen Schriftsteller zwischen den beiden Lagern schwanken, haben sich angesichts dieses Programms viele andere zur Teilnahme entschlossen und verteidigen ihre Entscheidung. Schließlich bedeute die Teilnahme an der Buchmesse ja nicht den Verzicht auf Kritik an der Regierung, sagt Ahmet Ümit. "Was es an der AKP zu kritisieren gibt, das kann ich da auch sagen. Ich werde unser Land dort mit allen seinen Schwächen und Stärken erklären – nicht nur schwarz oder weiß, sondern in all seinen Grautönen. Das ist ein Beitrag zur Demokratisierung und Modernisierung der Türkei."