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Offene deutsche Gesellschaft

Die Fragen stellte Klaudia Prevezanos25. Mai 2012

Der Österreicher Inan Türkmen schreibt in seinem Buch "Wir kommen", wie er im Alltag diskriminiert wird und welches Potenzial Türken in Europa haben. Seine Erfahrungen in Deutschland sind besser als in seiner Heimat.

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Inan Türkmen, Autor des Buches "Wir kommen" (Copyright: edition-a)
Bild: edition-a

Deutsche Welle: Sie sind Österreicher mit türkischen Wurzeln und haben ein Buch geschrieben, in dem Ihre Wut über die tägliche Diskriminierung von Türken in Ihrem Geburtsland zum Ausdruck kommt. Am Anfang von "Wir kommen" beschreiben Sie eine Situation, in der Sie in Berlin wegen Ihres Aussehens als Türke beleidigt werden. In wie weit ist die Situation von türkischen Migranten in Deutschland mit der in Österreich vergleichbar?

Inan Türkmen: Die Türken in Deutschland und Österreich kommen aus dem gleichen Land und haben die gleiche Kultur. Sie sind sich sehr ähnlich. Ich glaube aber, dass die Deutsch-Türken eine bessere Entwicklung gemacht haben. Sie sind ein bisschen weiter als die Türken in Österreich. Die sind noch zu sehr in ihrem türkischen Heimatland verankert. Das ist im Prinzip gut, denn man sollte nicht vergessen, wo man herkommt. Aber die Türken in Österreich lehnen teilweise noch stärker die Kultur und Sprache in Österreich ab.

Treten Deutsche ohne türkische Wurzeln Türken gegenüber anders auf als Österreicher?

Ja, ganz klar. Ich bin zwar nur Besucher in Deutschland, aber ich bin oft in Hamburg, München und Berlin. Und meine Freunde erzählen das auch. Die Gesellschaft nimmt sie hier anders auf als bei uns in Österreich. Wir haben auch eine sehr starke Rechts-Partei in Österreich, die es in Deutschland so nicht gibt. Und die hat in den vergangenen Jahren sehr viel dafür getan, dass Leute wie ich nicht gerade die beliebtesten sind in Österreich. Das ist in Deutschland nicht so krass.

Sie erzählen in Ihrem Buch auch davon, dass es für Sie und Ihre Freunde in Hamburg oder Berlin leichter sei, in Clubs und Kneipen zu kommen. Was denken Sie, warum das so ist?

Woran das liegt kann man nicht leicht beurteilen, vor allem ich nicht, der ich nicht hier lebe. Aber ich bin in Deutschland auch immer besser angenommen worden. Ich denke, das liegt an der Mehrheitsgesellschaft. Ich glaube, dass die Deutschen einfach offener sind und besser gelernt haben mit den Migranten aus der Türkei umzugehen. Aber die Türken in Deutschland sind auch weiter und beides kommt dann zusammen. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland offener ist, als die in Österreich. Ich bin kein Experte, ich gehe das Thema menschlich an, persönlich. Man vergleicht in seiner Jugend die Clubszene, die sehr wichtig ist und die immer unterschätzt wird. Da habe ich in Deutschland sehr viel bessere Erfahrungen gemacht als bei uns in Österreich. Ich komme in meinem eigenen Land in 90 Prozent der Clubs nicht rein, aber in Deutschland hatte ich das Problem eigentlich nie.

Wo liegt Ihrer Meinung nach bei diesem Thema der Hauptunterschied zwischen Deutschland und Österreich?

In meinem Land gibt es kaum Aufklärung über Minderheiten in Österreich: Wer sind die größten Gruppen? Wie viele gehören dazu? Ich rede hier zum Teil mit Leuten, die wirklich nichts wissen. Das ist in Deutschland anders.

Was ist das Anliegen Ihres Buches "Wir kommen"?

Es wurde so viel über das Buch geschrieben und geurteilt. Die Leute haben so viel daraus gemacht. Zum Teil hat mich das schockiert. Es war eigentlich nur ein Aufschrei. Ich wollte ein bisschen aufklären, den Menschen die Türkei näher bringen. Aber auch mein Leben: Wie es ist als Österreicher, auf einmal kein Österreicher mehr zu sein. Auf einmal anders zu sein in seinem eigenen Land, in dem man geboren und aufgewachsen ist. Und den Leuten ein bisschen die andere Seite zeigen: Dass die Türkei auch viel Positives hat, nicht nur Negatives - das war meine Absicht. Aber das ist nicht so angekommen.

Inan Türkmen und sein provokantes Werk
Der Autor und sein provokantes WerkBild: edition-a

Was war besonders schockierend?

Ich war alles in den letzten Wochen: Vom Anführer der Moslems bis zum Anführer der Nicht-Integrationswilligen. Vom Fundamentalisten bis zum Nationalisten. Und noch mehr. Es war hart, es war aber auch interessant und ich habe vieles daraus gelernt. Zum Beispiel über Medien. Wir haben in Österreich eine sehr starke Tageszeitung, die "Kronen Zeitung". Die hat über eine Studie berichtet, in der Moslems befragt wurden. Auf Seite zwei haben die mitten rein in einen Text über integrationsunwillige Moslems mein Bild gesetzt. Dabei bin ich nicht mal Moslem, das habe ich auch überall gesagt. Aber man wird abgestempelt, und alles, was mit der Türkei oder dem Islam zutun hat, wird negativ aufgenommen. So war das diesmal auch.

Es gibt wegen Ihres Buches nun Artikel und Berichte über Sie: Wie hat sich das bisher auf Ihren Alltag ausgewirkt?

Ich habe weniger Zeit und ich werde sehr oft auf der Straße angesprochen. Ich bin ein Mensch, der viel über sich nachdenkt und in den letzten zwei Monaten noch mehr. Teilweise war es auch kritisch, wenn man immer nur einsteckt. Ich glaube so viel, wie ich abbekommen habe, habe ich nicht verdient. Aber ich jammere nicht.

Bestätigt Sie die heftige Reaktion auf Ihr Buch darin, dass alles, was Türkisch ist, negativ aufgenommen wird?

Ja. Selbst wenn wir sagen, das Buch und alles, was ich gemacht habe, ist schlecht. Aber die Erkenntnis kann mir keiner nehmen: Dass egal, was man über die Türkei schreibt: wenn man es ein wenig provokant angeht, kann es nur negativ sein, man zerfetzt es gleich. Ich habe für eine Woche das Internet in Österreich fast gesprengt. Ich kann mich nicht erinnern, wann das letzte Mal ein Thema 900 Postings hatte in der Online-Ausgabe der Zeitung "Der Standard". Von den 900 Postings waren 850 einfach nur fremdenfeindlich und rassistisch. Ich habe sie alle gelesen. In deutschen Medien waren die Reaktionen von Lesern nicht so krass. Auch die Journalisten waren nicht so aggressiv. Medial gibt es da einen Unterschied, und das ist natürlich wichtig beim Thema Integration.

Eine Stärke Ihres Buches ist, wenn Sie berichten, wie Sie im Alltag Diskriminierung erleben. Daneben listen Sie Thesen darüber auf, warum Türken in allen möglichen Bereichen besser seien: z.B. beim Frauenanteil im Management von türkischen Firmen. Warum verstärken Sie die Abgrenzung zwischen "uns" Türken und "den" Österreichern bzw. Deutschen noch?

Weil ich so aufgewachsen bin. Ich habe gemacht, was die Gesellschaft mit mir gemacht hat. Das ist das wichtigste an dem Buch. Wenn ich es mache, ist es schlecht, und wenn die es mit mir machen, ist es okay. Ich bin in Österreich geboren und aufgewachsen, aber ich war nie ein "wir". Außer in der Volksschule bis ich acht oder neun Jahre alt war, da war ich noch ein "wir", weil ich österreichisch erzogen worden und aufgewachsen bin. Damals war ich der einzige Ausländer an der Volksschule und es gab keine Fremdenfeindlichkeit. Und auf einmal wirst du ein "ihr", und genau das wollte ich zeigen: Wie es ist, wenn man in seinem eigenen Land ausgegrenzt wird.

Sie machen auf das Potenzial und die Bedeutung der Türkei innerhalb Europas aufmerksam: ihre Wirtschaft und ihre Menschen. Allerdings in einer Weise, die als bedrohlich empfunden werden kann. Warum?

Das war nicht meine Absicht. Mir wurde vorgeworfen, dass ich mit Ängsten spiele. Aber man muss auch mal festhalten, dass in Österreich 8,4 Millionen Menschen leben. Davon sind 300.000 türkischer Herkunft. Die Hälfte von denen hat einen türkischen Pass, die anderen einen österreichischen. Wenn diese 8,1 Millionen Menschen vor den 300.000 Angst haben, dann tut es mir leid. Aber es war nicht meine Absicht. Ich habe den Spieß nur umgedreht: aus "uns Österreichern" wurden "die Österreicher".

Würden Sie das Buch trotzdem wieder so schreiben?

Auf jeden Fall. Nur um nochmals diese Reaktionen zu sehen. Vielleicht habe ich ja ein paar Leute zum Nachdenken gebracht: 'Haben wir wirklich Angst vor diesen Menschen, sind die tatsächlich so schlimm?' Ich würde es genauso wieder schreiben. Das Buch ist ein Aufschrei. Ich wollte ein bisschen aufklären und ein paar Sachen klarstellen. Nicht mehr und nicht weniger.

Inan Türkmen wurde 1986 im österreichischen Linz geboren und ging dort zur Schule. Seine Eltern waren vorher aus der Türkei nach Österreich gekommen. Der Vater arbeitete als Schweißer, die Mutter als Reinigungskraft. Nach dem Abitur (in Österreich: Matura) begann Türkmen 2010 Internationale Betriebswirtschaftslehre in der Hauptstadt Wien zu studieren. 2013 will er sein Studium beenden und für zwei Jahre nach Istanbul gehen. Türkmen, der die österreichische Staatsbürgerschaft hat, will dort eine Masterarbeit schreiben und sein Türkisch verbessern. Sein Buch "Wir kommen", das Ende Februar 2012 im Verlag edition a erschienen ist, wurde sofort sehr kontrovers diskutiert.