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Politik

Eine Präsidentenwahl als Lachnummer?

Roman Goncharenko
12. März 2019

Eigentlich ist Wolodymyr Selenskyj Komiker. Doch jetzt könnte er tatsächlich der nächste Präsident der Ukraine werden. Sein überraschender Aufstieg wirbelt die Politik des Landes durcheinander. Was ist sein Geheimnis?

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Wolodymyr Selenskyj
Wolodymyr Selenskyj Bild: picture-alliance/Pacific Press/A. Gusev

Der Zufall wollte es so, dass die Präsidentenwahl in der Ukraine am 31. März stattfindet. Das vorläufige Ergebnis wird damit ausgerechnet am Tag der Aprilscherze verkündet. Das freut einen Kandidaten ganz besonders. "Der 1. April ist ein fantastisches  Datum für mich, um zu siegen. Ich bin doch ein Clown, oder?" sagte Wolodymyr Selenskyj in einem Interview mit der Onlinezeitung "Ukrainska prawda". Mit Doppeldeutigkeit, Ironie und Augenzwinkern ist der Fernsehkomiker und politische Quereinsteiger in wenigen Monaten zu einem der Favoriten dieser Präsidentenwahl geworden. Umfragen sehen einen Stimmenanteil von 20 bis 25 Prozent für Selenskyj; damit liegt er vor Amtsinhaber Petro Poroschenko und der oppositionellen ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko. Sein Einzug in die Stichwahl scheint sehr wahrscheinlich. Wie hat er das geschafft?

Wie ein Komiker zum Kandidaten wurde   

Der 41-jährige Selenskyj ist ein mittelgroßer quirliger Mann mit einer markanten, leicht heiseren und angenehmen Stimme. Der Sohn eines Hochschulprofessors aus Krywyj Rih, dem Herz der Eisenerzindustrie im Südosten der Ukraine, stieg vom begabten Klassenclown in der Provinz zum wohl bekanntesten und erfolgreichsten Comedian des Landes auf. Seine Königsdisziplin: politische Satire.

Ukraine Politische Werbung vor den Wahlen
Politische Werbung in Kiew vor den PräsidentschaftswahlenBild: Imago/Zuma

Seit fast 20 Jahren zieht Selenskyj zusammen mit einem Team von Kabarettisten die Spitzenpolitiker des Landes durch den Kakao. Sie nennen sich "Studio Kwartal 95", nach einem Stadtviertel in Krywyj Rih. Neben Bühnenshows fürs Fernsehen produzieren sie Spielfilme und Comedyserien. In einer solchen Serie spielt Selenskyj ausgerechnet einen Geschichtslehrer, der zum Präsidenten gewählt wird. Die Serie heißt "Diener des Volkes"; und so taufte Selenskyj auch seine neue, bis vor kurzem kaum bekannte Partei. 

Kritiker sehen in ihm keine selbstständige politische Figur. Sie vermuten eine Allianz zwischen dem Komiker und dem einst einflussreichen Geschäftsmann Ihor Kolomojskyj aus Dnipro, dem früheren Dnipropetrowsk. Ziel dieser angeblichen Allianz sei es, die Wiederwahl des bisherigen Präsidenten Poroschenko zu verhindern. Selenskyj verkündete seine Kandidatur in der Silvesternacht in Kolomojskyjs eigenem TV-Sender "1+1", bei dem auch Shows und Filme des Komikers laufen. Für die kurze Videobotschaft wurde sogar die Neujahrsansprache des Präsidenten verschoben - ein eindeutiger Affront gegen Poroschenko. Tatsache ist, dass Poroschenko und Kolomojskyj in der Vergangenheit öfters über Kreuz lagen. Dabei ging es vor allem um unterschiedliche Interessen im Öl- und Bankengeschäft. Doch Selenskyj und Kolomojskyj bestreiten vehement jede politische Zusammenarbeit bei der Präsidentenwahl.

Was verspricht Kandidat Selenskyj

Noch vor einigen Jahren hätte niemand damit gerechnet, dass Selenskyj jemals zu einer Präsidentenwahl antreten würde. Möglicherweise nicht einmal er selbst. Politik sei ein kompliziertes Geschäft, das er nicht ganz durchschaue, sagte der Komiker einmal in einem Interview mit dem ukrainischen Ableger der russischen Boulevard-Zeitung "Komsomolskaja pravda". Seine Sache sei das Showgeschäft. "Wenn bekannte Persönlichkeiten außerhalb der Politik das Blaue vom Himmel versprechen, ist das reinster Populismus", sagte er damals.

Doch offenbar hat Selenskyj seine Meinung geändert. Heute macht er genau das, was seine Gegner und Beobachter als puren Populismus beschreiben. In seinem mit humoristischen Wendungen gespickten Wahlprogramm verspricht Selenskyj eine "Ukraine der Träume": ein Land ohne Korruption, mit hohen Gehältern und Renten sowie schnellem Internet und guten Straßen.

Ukrainischer Präsident Petro Poroschenko
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wird bei der Präsidentschaftswahl am 31. März erneut antretenBild: Reuters/V. Ogirenko

Es soll mehr "Macht fürs Volk" geben, also mehr Volksabstimmungen, mehr Gerechtigkeit und mehr Sicherheit. Der Krieg in der Ostukraine soll beendet werden. Darüber, wie genau das geschehen soll, sagt der Kandidat wenig. "Nur durch Verhandlungen", so Selenskyj in einem der seltenen TV-Auftritte. Der beliebteste Kandidat meide Talkshows, um sein schwaches Fachwissen nicht zur Schau stellen zu müssen, vermuten manche Bobachter in Kiew.   

Folge einer Enttäuschung über Politik

Selenskyjs Erfolg erscheint unter anderem deshalb überraschend, weil er in einigen Schlüsselpunkten das Gegenteil von dem verkörpert, was in der ukrainischen Politik zuletzt Mainstream war. Er spricht meist Russisch und vertritt vor allem die russischsprachige Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine.

In seinen Shows drosch er in den vergangenen Jahren vor allem auf prowestliche Politiker wie den damaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko ein, während der prorussische Viktor Janukowitsch meist mit Samthandschuhen angefasst wurde. Außerdem karikierte Selenskyj den ukrainischen Patriotismus, wenn auch eher subtil und unauffällig. 

Beobachter erklären Selenskyjs Erfolg mit der großen Sehnsucht vieler Ukrainer nach neuen, unverbrauchten Gesichtern in der Politik. Der Kandidat zielt vor allem auf jüngere Wähler, die ihn kennen und witzig finden. Es sind Menschen wie Andrij, ein 31-jähriger IT-Fachmann aus einer Provinzstadt in der Ostukraine. "Er scheint der einzige Kandidat, der noch etwas Besseres erreichen kann", sagt Andrij, der von Poroschenko enttäuscht ist und Tymoschenko nicht vertraut. Die Korruption sei zuletzt "immer schlimmer" geworden.

Trotz hoher Umfragewerte dürfte ein Sieg Selenskyjs bei der Präsidentenwahl eher unwahrscheinlich sein. Dafür polarisiert er zu stark. Zumindest eine Wiederwahl Poroschenkos dürfte er jedoch schwerer machen. Der derzeitige Amtsinhaber muss gar um den Einzug in die Stichwahl bangen. Am ehesten von dieser Konstellation profitieren könnte daher Julia Tymoschenko, die derzeit in den Umfragen an zweiter Stelle liegt und in einer Stichwahl enttäuschte Poroschenko-Anhänger eher auf ihre Seite ziehen könnte als Selenskyj. Doch selbst wenn dem Komiker der große Wurf nicht gelingen sollte, wäre allein schon der Einzug in die Stichwahl ein Riesenerfolg für ihn. Schon jetzt läuft sich Selenskyj für die Parlamentswahl im Herbst 2019 warm. Seine Partei führt hier ebenfalls in den Umfragen und könnte zu den großen Gewinnern gehören.