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Politik

Justiz nach brisantem Mord unter Druck

Roman Goncharenko | Oleksandr Holubov
5. Januar 2018

Der Mord an einer jungen Frau bei Kiew wird zum Testfall für die ukrainische Justiz. Die Aufregung ist groß, das Vertrauen in die Ermittler gering. Doch es gibt auch andere Gründe für die aufgeheizte Stimmung.

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Kiew Protest Ermordung Iryna Nozdrovska
Bild: Getty Images/AFP/S. Supinsky

Die Freude auf die am Wochenende bevorstehende orthodoxe Weihnachten ist in diesem Jahr für viele Ukrainer getrübt. Gleich zu Jahresbeginn wurde das Land von einem brisanten Mord erschüttert. In einem Fluss bei Kiew wurde am 1. Januar die unbekleidete Leiche einer jungen Frau gefunden. Die 38-jährige Iryna Nosdrowska, die kurz vor Silvester auf dem Weg von der Hauptstadt in ihr Heimatdorf verschwand, wurde offenbar ermordet. Nach vorläufigen Ermittlungsergebnissen starb sie an zahlreichen Stich- und Schnittwunden im Halsbereich. 

Der Fall wurde schnell politisch, als am Dienstag hunderte Demonstranten vor dem Polizeirevier in Kiew schnelle Aufklärung und den Rücktritt des Innenministers forderten. Auch außenpolitisch schlug der Mord hohe Wellen. Die US-Botschaft zeigte sich in einer Twittermeldung bestürzt und rief dazu auf, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, ebenfalls auf Twitter, sprach von einer "Herausforderung für den Staat und einen Test für die Gesellschaft, Aktivistinnen zu beschützen".

Anwältin ja, aber auch Menschenrechts-Aktivistin?

Wie konnte es dazu kommen, dass ein scheinbar lokaler Mord plötzlich eine landesweite Bedeutung bekommt und Menschen auf die Straße bringt? Zum einen dürfte die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass es sich um eine junge Frau handelte. Außerdem wurde zunächst unter anderem ein Sexualdelikt vermutet und später von der Polizei dementiert. Wie auch bei Kindermorden ist die Reaktion darauf häufig sehr emotional. Die Ukraine ist da keine Ausnahme.

Ukraine Proteste wegen der Ermordung der Juristin Iryna Nozdrovska
Proteste in Kiew: Demonstranten fordern Aufklärung im Fall Iryna Nozdrovska Bild: DW/Kateryna Lutska

Ein weiterer möglicher Grund: In den ersten Medienberichten wurde Nosdrowska als Anwältin und Menschenrechtlerin bezeichnet. Später stellte sich das als nicht ganz richtig heraus. Über ihre jüngste Beschäftigung gibt es keine genauen Informationen. Im landesweiten Anwaltsverzeichnis ist die Frau jedenfalls nicht zu finden. "Sie ist eine gute Juristin und hat viel Erfahrung, doch ich habe nicht gehört, dass sie sich als Menschenrechtlerin engagiert hätte", sagte der DW ihr Anwalt Vitali Mazeljuch.

Spekulationen über Täter 

Fakt ist, dass Nosdrowska Jura studierte und sich in einem Prozess im Todesfall ihrer Schwester engagierte. Die Schwester starb 2015, als sie von einem Auto überfahren wurden. Brisantes Detail: Am Steuer saß unter Drogeneinfluss der Neffe eines lokalen Richters. Der Prozess sei sehr schwierig gewesen, sagt Mazeljuch: "Ohne die Medien hätte er auch ins Leere laufen können".

Was er nicht ausspricht und was viele in der Ukraine für möglich halten: Seilschaften hätten das Verfahren beeinflussen können. Der Prozess endete im Sommer 2017 mit einem harten Urteil: sieben Jahre Haft. Eine Revision wurde am 27. Dezember abgelehnt. Zwei Tage später verschwand Nosdrowska und diese zeitliche Nähe gab Anlass für Spekulationen, die Täter stammten möglicherweise aus der Umgebung des Mörders ihrer Schwester. Diese These wird von Berichten gestützt, Nosdrowska sei von seinen Verwandten und Freunden bedroht worden.

Altbekannte Muster

Der wohl wichtigste Grund für die aufgeheizte Stimmung dürfte jedoch das Muster sein, das dieser Mord vielen Ukrainern in Erinnerung ruft: Eine korrupte Justiz, die in einen Mordfall verwickelt sein und diesen vertuschen könnte. Dieses Image haben ukrainische Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte seit Jahrzehnten. In Umfragen lag das Vertrauen in die Polizei meist bei rund 20 Prozent. Erst seit einigen Jahren versuchen ukrainische Regierungen, Reformen durchzuführen. So genießt der neu geschaffene polizeiliche Streifendienst ein deutlich höheres Ansehen als der Rest der Truppe - über fünfzig Prozent.

Doch es gibt immer wieder Verzögerungen bei den Reformen. So hat Präsident Petro Poroschenko einen lange versprochenen Gesetzentwurf zur Schaffung eines Anti-Korruptions-Gerichts erst nach zunehmendem Druck der Opposition und des Auslands, darunter der Europäischen Union, Ende Dezember dem Parlament vorgelegt.

Besonders ein Fall aus der jüngsten Vergangenheit erscheint vielen Ukrainern nun wieder aktuell. Im Sommer 2013 hatten zwei Polizisten und ein Taxifahrer in Wradiiwka, einem Dorf in der Südukraine, eine junge Frau vergewaltigt und versucht umzubringen. Das Opfer überlebte schwer verletzt. Festgenommen wurden zunächst nur ein Polizist und der Taxifahrer. Hunderte aufgebrachte Dorfbewohner stürmten die lokale Polizeistation und forderten die Festnahme des zweiten verdächtigten Polizisten. Das geschah erst einige Tage später. Seitdem gilt Wradiiwka in der Ukraine als Synonym für spontane Proteste gegen Polizeiverbrechen und Justizwillkür.

Inzwischen haben rund zehn Aktivisten in Kiew eine Gruppe gebildet, um die Ermittlungen im Mordfall Iryna Nosdrowska zu verfolgen. Eine von ihnen, Lilia Kowalenko, schrieb auf Facebook: "Es ist eine Ehrensache für die ganze Ukraine und ein Lackmustest für die Ordnungshüter."