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Ukraine: Machtkampf um die Außenpolitik

14. Dezember 2006

Präsident Juschtschenko und Premier Janukowytsch streiten um Außenminister Borys Tarasjuk. In dem Konflikt geht es um die Inhalte der Politik, vor allem aber um die Aufteilung der Macht innerhalb der Exekutive.

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Borys Tarasjuk will schnelle NATO-MitgliedschaftBild: AP

Vergangene Woche wurde der von Präsident Wiktor Juschtschenko ernannte ukrainische Außenminister Borys Tarasjuk vom Parlament entlassen, danach von einem Gericht im Amt wieder bestätigt, aber von einer Sitzung des Ministerkabinetts dennoch ausgeschlossen. Nach Ansicht des ehemaligen deutschen Botschafters in der Ukraine, Dietmar Stüdemann, der heute als Berater im Sekretariat des ukrainischen Präsidenten tätig ist, stellt dies eine unnötige Verschärfung eines Konflikts innerhalb der Exekutive dar: "Die beiden Teile der Exekutive sind der Präsident und die Regierung. Ich halte es für dringend erforderlich, dass diese Konfliktsituation sehr schnell entschärft wird und dass man sich angesichts der Lückenhaftigkeit der Verfassung auf ein Verfahren einigt, das die berechtigten Anliegen und die Zuständigkeiten beider Seiten der Exekutive zusammenführt. Notwendig sind eine gemeinsame Politik und eine gemeinsamen Position, was die Durchführung von Politik betrifft. Ich gehe davon aus, dass angesichts der jüngsten Entwicklung auch alle Beteiligten wissen, dass die Definition einer gemeinsamen Position dringend erforderlich ist."

Kein Streit um Inhalte?

Stüdemann betont, es schade der Ukraine, wenn sie nicht mit "einer Stimme" spreche. Es schade der Ukraine auch, wenn ihre internen Auseinandersetzungen in aller Öffentlichkeit ausgetragen würden: "Auch Ministerpräsident Janukowytsch hat sich für eine europäische Perspektive der Ukraine mit aller Deutlichkeit ausgesprochen. Es geht hier eigentlich eher um interne Auseinandersetzungen. Ich denke, die sollten auch intern geführt werden und dann nach außen zu einem Ergebnis gebracht werden, indem sich die Ukraine geschlossen präsentiert. Das scheint mir das Wesentliche zu sein, nicht so sehr die Frage: Ist die Folge dieser Auseinandersetzungen eine pro- oder anti-europäische Perspektive? Ich glaube nicht, dass es um zentrale Inhalte geht, sondern vielmehr um die Definition: wer ist die Exekutive in diesem Land".

Tarasjuks "dritte Außenpolitik"

Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik meint ebenfalls, dass es sich hier um einen Machtkampf zwischen Präsident und Premier handelt. Jeder versuche, so viele Kompetenzen wie möglich an sich zu ziehen. Außenminister Tarasjuk sei das prominenteste Opfer dieses Machtkampfes. Ursache sei die verfassungspolitische Situation. Auf keiner Seite gebe es Klarheit darüber, wie viele Kompetenzen die jeweilige Seite besitzen dürfe. Aber anders als Stüdemann betont Rahr, dass durchaus auch um die Politik gerungen werde: "Tarasjuk hatte eine ‚dritte Außenpolitik’ in der Ukraine verfochten. Juschtschenko stand mehr oder weniger für einen Ausgleich zwischen Russland und dem Westen, für die transatlantische Integration, aber doch für ein normales Arbeitsverhältnis zu Moskau. Janukowytsch steht auch für eine weitere Integration der Ukraine in den Westen, aber viel langsamer, als es die ‚orangefarbene Revolution’ eigentlich wollte, und auch für beste Kontakte nach Moskau, in den eurasischen Raum. Und Tarasjuk war der radikale Gegenpol von Janukowytsch. Er wollte eine schnelle NATO-Mitgliedschaft, am besten noch 2008/09, eine schnelle Integration in die EU, und für die Beziehungen zu Russland ist er immer eine Art Störfaktor gewesen."

Tauziehen um Posten beginnt

Jetzt, wo Janukowytsch wieder auf Russland, auf eine Energiekooperation mit Moskau angewiesen sei, könne er es sich nur schwer leisten, dass Tarasjuk eine ganz andere Geige innerhalb der Regierung spielt, sagte Rahr und fügte hinzu: "Wie es aussieht, hat Janukowytsch schon eigene Kandidaten parat, die er auf den Posten bringen möchte. Das Tauziehen um die Politik ist wahrscheinlich entschieden. Es werden voraussichtlich zwei außenpolitische Linien bestehen bleiben, aber eben nicht drei. Die radikale pro-westliche Linie wird es so nicht mehr geben. Aber jetzt wird das Tauziehen um die Posten beginnen." Ein möglicher Kandidat für das Amt des Außenministers, so Rahr, könne Oleksandr Tschaly sein, bekannt für seine gemäßigten Ansichten zur euroatlantischen Ausrichtung der Ukraine. Rahr schließt aber nicht aus, dass einer von Tarasjuks Stellvertretern, beispielsweise Wolodymyr Ohrysko, ins Gespräch kommen werde. Vielleicht werde der Präsident auf diese Weise versuchen, die pro-atlantische Integrationslinie in der Politik aufrechtzuerhalten.

Kämpfe sind Zeichen für Demokratie

Die Kämpfe innerhalb der ukrainischen Politik sieht Rahr aber nicht negativ: "In der Ukraine wird immer wieder von Katastrophen gesprochen. Man muss auch in einer solchen Situation sehen und sich eigentlich darüber freuen, dass in der Ukraine tatsächlich Demokratie an der Tagesordnung ist. Machtkämpfe gibt es in jedem Land. Ich finde es auch wichtig zu sagen, wie positiv es ist, dass in der Ukraine immer wieder um Koalitionen, um Mittelwege, um Kompromisse und auch um Konsens gerungen wird. Es ist ein schwieriger Prozess und natürlich wird dadurch auch die Politik des Landes in gewisser Hinsicht destabilisiert. Aber es ist auch positiv zu sehen, dass es eben so läuft - und nicht, wie in anderen GUS-Staaten, in denen alles nur von einem Mann entschieden wird."

Lesya Yurchenko
DW-RADIO/Ukrainisch, 7.12.2006, Fokus Ost-Südost