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Ukraine: Europäer wieder am Zug

Barbara Wesel 17. November 2014

Harte Worte von westlichen Regierungschefs beim G20-Gipfel haben die Ukraine-Politik des russischen Präsidenten nicht erkennbar beeinflusst. Putin setzt auf Konfrontation; die Europäer setzen auf Verhandlungen.

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G20-Gipfel in Brisbane: Putin reist vorzeitigab (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/J. Reed

Beim Gipfel in Brisbane nutzten viele Staats- und Regierungschefs der führenden Industrieländer die Chance, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ihre Meinung zu sagen. Zum Start der neuen Woche sind nun wieder die EU-Außenminister am Zuge, die an diesem Montag in Brüssel zusammenkommen. Und dass der Kremlchef den Vorhaltungen des Westens in Australien mit völliger Gleichgültigkeit begegnete, macht die Aufgabe für die Chef-Diplomaten nicht gerade leichter. Bundeskanzlerin Angela Merkel, von der es heißt, sie habe noch das relativ beste Verhältnis zum Kremlchef, verließ nach einem mehrstündigen Gespräch mit Putin den Ort des Treffens kommentarlos. In Brüssel müssen nun die europäischen Regierungen ihre Reaktionen auf die rhetorische und militärische Offensive Russlands in der Ostukraine koordinieren.

Frank-Walter Steinmeier (Foto: picture alliance)
Steinmeier: "Zugang zu Vermögen und Reisefreiheit für Separatisten einschränken"Bild: picture-alliance/dpa/Alaa Badarneh

Allerdings: Eine Verschärfung der Sanktionen stehe jetzt nicht an, sagt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier: "Aber es wird über die Listung von ostukrainischen Separatisten diskutiert, die deren Zugang zu Vermögen und ihre Reisefreiheit einschränken würde".

Warum ist die Reaktion auf die Provokationen Putins so zaghaft, angesichts von Kriegsschiffen vor der australischen Küste, russischen Kampfflugzeugen entlang der NATO-Grenzen und weiterem militärischen Vordringen in der Ostukraine? Diese Maßnahmen seien "ein relativ mildes Mittel", räumt auch Jan Techau ein, der Sicherheitsexperte und Direktor des Instituts Carnegie Europe. Aber man müsse berücksichtigen, dass sich der Westen nicht auf einen qualitativen Sprung in den Sanktionen einigen könne und dass es dafür auch in der EU keine Mehrheit gebe.

Man wolle sich also einerseits nicht gleich die volle Dosis geben, andererseits wisse man auch nicht, ob man sie überhaupt zusammenbekäme. "Also fängt man erst mal etwas leise an". Diplomaten in Brüssel deuten an, dass es Widerstand schon gegen die Erweiterung der Sanktionsliste um hochrangige Regierungsvertreter oder prominente Oligarchen gebe. Der kommt zum Beispiel aus Großbritannien: Premier David Cameron hat sich zwar in Brisbane als lautstarker Putin-Kritiker gezeigt, schützt aber nach wie vor Kreml-nahe Mitglieder des Milliardärsklubs in der russischen Exilgemeinde in London.

Warum zeigen EU Sanktionen keine politische Wirkung?

Bisher haben die Wirtschaftssanktionen durch die Europäer politisch kein anderes Ergebnis gebracht, als eine neue Runde militärischen Säbelrasselns durch Moskau. War es eine Illusion zu glauben, dass man dadurch eine Verschiebung der politischen Gemengelage im Kreis um Putin herbeiführen könnte? "Ich glaube nicht, dass es eine vollständige Illusion ist", sagt Jan Techau.

Jan Techau (Foto: DW)
Techau: "Man fängt erst mal etwas leise an"Bild: DW/B. Riegert

"Nach allem, was man hört, gibt es auch im inneren Kreis um Putin herum durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man weiter verfahren soll." Für einige sei der Preis jetzt schon zu hoch, so der Sicherheitsexperte: "Man darf ja nicht vergessen, dass das Überleben von Putins Mannschaft im Wesentlichen davon abhängt, dass sie auch Loyalität im eigenen Land kaufen können." Die russische Wirtschaft sei ja nicht stark, und sie jetzt so ausbluten zu lassen, werde schon sehr wehtun. Das werde dann auch irgendwann massiven Einfluss auch auf die öffentliche Meinung in Russland und auf den inneren Zirkel um Putin haben.

"Alle Zeichen deuten darauf", bestätigt Giles Merrit vom Brüsseler Institut Security and Defence Agenda, "dass die Wirtschaftssanktionen zu beißen beginnen. Und nicht mehr lange, und sie werden auch den normalen russischen Bürger treffen." Doch dies scheine man im Kreml nicht auf der Rechnung zu haben. Auch die Ausweitung der militärischen Drohgebärden bis in den Pazifik wirkt aus Merrits Sicht merkwürdig: "Was könnte der Zweck davon sein, außer der öffentlichen Meinung in Russland zu zeigen, dass Russland als Supermacht zurückgekehrt ist?" Wirtschaftliche Überlegungen aber würden von der Öffentlichkeitswirkung der russischen Politik überlagert, meint Merrit. Es sei klar, dass sich die Russen vom Westen missachtet und gedemütigt fühlen und dessen Ukrainepolitik für provokativ halten. "Es gibt einen tiefen emotionalen Zug in der russischen Seele und der ist sehr aufgebracht".

Europa braucht mehr Geschlossenheit

Rebecca Harms - Foto: Wiktor Dabkowski (Foto: picture alliance)
Harms: "Wirtschaftssanktionen brauchen ZeitBild: picture alliance/Wiktor Dabkowski

Die Grünenpolitikerin Rebecca Harms, Mitglied im Ukraine-Ausschuss des Europaparlaments, fordert eine Zwischenbilanz: "Man muss noch einmal bewerten, wo man mit dem Versuch steht, eine nicht militärische Lösung auf die Zuspitzung seit der Annexion der Krim zu suchen." Von Anfang an sei es klar gewesen, meint Harms, dass die Wirtschaftssanktionen Zeit brauchen, bis sie Wirkung entfalten. "Im Moment ist die Wirtschaft in Russland im Niedergang; im freien Fall, wenn man den Rubel ansieht. Das hat nicht nur mit den Sanktionen, sondern auch mit dem Verfall des Ölpreises zu tun." Denn die Russen hätten fast ausschließlich auf den Energie-Export gesetzt.

Die Europäer aber sollten jetzt zweierlei tun, so die Grünen-Abgeordnete: "Erstens klar machen, dass die Sanktionen weiter gehen und alle dahinter stehen, und zweitens sollte man verabreden, dass die EU-Länder mit Russland keine großen Geschäfte machen dürfen." Konkret nennt Harms in diesem Zusammenhang den Verkauf deutscher Gas-Infrastruktur an den russischen Konzern Gazprom und die Lieferung eines französischen Mistral-Kriegsschiffs. Stattdessen sollten sich die Europäer gemeinsam drauf vorbereiten, mit weniger Gas aus Russland auszukommen. Eine "Notplanung für den Winter muss man nicht nur für die Ukraine machen, sondern für die ganze EU." Mehr Unabhängigkeit von russischem Gas, so Harms, sei das Wichtigste was die EU-Außenminister erreichen müssten.