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Ukraine wirbt um Geld

Frank Hofmann, Kiew22. Oktober 2015

Kiew weiß: Ohne westliche Investitionen führt kein Weg aus der Krise. In Berlin wirbt das Land um Investitionen. Doch das korrupte Oligarchensystem leistet Widerstand, berichtet Frank Hofmann aus Kiew.

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Ukraine Odessa Hafen
Bild: picture alliance/robertharding

"Viele Firmen verlieren langsam die Geduld", sagt Alexander Markus, der Vertreter der deutschen Wirtschaft in der Ukraine, mit Blick auf die stockenden Reformen im Land. Der Schwung nach der pro-europäischen Maidan-Revolution im vergangenen Jahr könnte erlahmen. Doch genau jetzt sei nicht der Zeitpunkt für Frust, hält Finanzministerin Natalija Jaresko dagegen. Die US-Ukrainerin erinnert daran, dass doch genau das im Februar 2014 gestürzte Regime des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch den Firmen das Leben schwer gemacht habe: Durch Diebstahl und Willkür.

"Unsere Türen sind dagegen immer offen für Sie!", sagt Jaresko, und der Infrastrukturminister des Landes, Andriy Pyvovarsky, wirbt im Interview mit der Deutschen Welle: "Dieses Mal ist doch alles anders, dieses Mal sind wir dabei, das Land zu verändern. Wir haben Reformen angeschoben, auf die dieses Land seit 24 Jahren wartet - und die Vermögenswerte sind billig!"

Andriy Pyvovarsky Minister für Infrastruktur der Ukraine
Andriy Pyvovarsky: Die Türen sind offenBild: DW/F. Hoffmann

Währung stabilisiert

Tatsächlich haben vor allem Finanzministerium und Zentralbank in einem Kraftakt die Währung Griwna mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds stabilisieren können. Für 2016 erwartet die Finanzministerin noch eine Inflation von 16 Prozent und erstmals wieder ein Wachstum von zwei Prozent. Im für die Ukraine so wichtigen Energiesektor wurde das System der Gas-Zwischenhändler abgeschafft, an dem sich vor allem die Oligarchen im Land bereichert hatten.

Das größte Problem aber besteht weiter: Transparency International führt die Ukraine auf ihrem Korruptionsindex auf Platz 142 von 172. In den Verwaltungsapparaten der Ministerien wehren sich die Beamten. "Manche kaufen sich einfach ein Attest beim Arzt und melden sich manchmal sechs Monate krank", sagt eine Beobachterin. Wer nicht am Arbeitsplatz ist, könne auch nicht strafversetzt werden, laut ukrainischem Recht.

Am schlimmsten aber sei es in der Justiz. Und da verlieren langsam offenbar auch die westlichen Gönner die Geduld. Bei seinem Besuch in Kiew in dieser Woche wählte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im deutschen Bundestag, Norbert Röttgen, wenig diplomatische Worte: Dass es in der Justiz eine "strukturelle Korruption" gebe, sei längst erkannt, trotzdem gebe es bei der Richterschaft bis hin zur "Person des Generalstaatsanwaltes keine Veränderung". Wenn führende Positionen als Belohnung für verdiente Fahrensleute dienten und damit falsch besetzt seien, "bedeutet dies eine Belastung für künftige Unterstützung."

Ausland als Stimme der Bevölkerung

Der westliche Bankmanager einer ukrainischen Großbank übt noch weniger Zurückhaltung: "Die Politiker müssen generell in Sachen Ukraine mehr Klartext reden. Die Stimme der ukrainischen Bevölkerung sind US- und europäische Politiker, nicht die lokalen Banditen. Höfliche Zurückhaltung führt zu gar nichts."

Wie sehr das alte System noch lebt, zeigt ein Beispiel in der Hafenstadt Odessa: Dort bekamen private Umschlagsfirmen der Terminals im Sommer Besuch von Agenten des mächtigen Inlandsgeheimdienstes SBU. Der gab vor, wegen Betrugs zu ermitteln und schwärzte ohne ordentliches Gerichtsverfahren die Firmen gleich noch per Pressemitteilung an. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos.

Doch ein Brief der Geheimdienstler an den Infrastrukturminister, der der Deutschen Welle vorliegt, lässt tief blicken: Dort wird der Gewinn des noch immer vollständig staatlichen Hafens von Mariupol jenen des teilprivatisierten von Odessa gegenüber gestellt. Vulgo: Wo es keine Privatfirmen gibt, hat der Staat viel mehr verdient. "Dass die privaten Umschlagsfirmen in die Infrastruktur investieren" und dass es eben genau darum gehe bei Privatisierungen, wird offenbar nicht verstanden, schrieben die betroffenen Firmen in einer öffentlichen Stellungnahme.

Sowjet-Denken lebt weiter

Sowjet-Denken zwei Jahrzehnte nach der ukrainischen Unabhängigkeit. Es könne aber auch gut sein, "dass dahinter der eine oder andere Oligarch steckt", sagen zwei internationale Manager unabhängig voneinander. Nach dem Motto: Sind die internationalen Investoren erst einmal vergrault, hat das alte System wieder freie Hand, wenn jetzt alle Häfen des Landes am Schwarzen Meer für private Investoren geöffnet werden sollen.

Rund 31000 Mitarbeiter zählt der Inlandsgeheimdienst bis heute. Er ist offenbar nur zum Teil damit beschäftigt, die Ukraine im hybriden Krieg gegen den Nachbarn Russland zu verteidigen. Und dennoch ist das Interesse ausländischer Investoren an der Ukraine so groß wie seit Jahren nicht: 648 deutsche Unternehmen haben sich für die Konferenz im Berliner Haus der Wirtschaft angekündigt - "das ist ein wahnsinniger Erfolg", sagt Alexander Markus, der Vertreter der deutschen Wirtschaft in der Ukraine. Am Rande der Berliner Ukraine-Konferenz könnte jetzt eine gemeinsame deutsch-ukrainische Handelskammer gegründet werden, um den Umbau des alten Systems aus Korruption und Oligarchentum voranzutreiben. Doch das, sagt der internationale Bankmanger in Kiew, "ist eben ein ganz dickes Brett", das es da zu bohren gelte.