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Politik

Flucht in die Europäische Union

Monika Stefanek
1. März 2022

Die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine kommen im deutsch-polnischen Grenzgebiet an. Viele Menschen dort wollen sie unterstützen, Polen wie Deutsche.

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Eine Frau gibt einem Mann einen Karton in einem Geschäft mit Kleidern
Ein Helfer beim Sammeln von Spenden in Slubice Bild: Monika Stefanek/DW

In der Modeboutique der Ukrainerin Olena Pankiv-Bola in Slubice an der deutsch-polnischen Grenze gehen die Türen nicht zu. Seitdem sie am vergangenen Freitag, dem 25. Februar 2022, in den sozialen Medien um Unterstützung für ukrainische Männer gebeten hat, die aus Slubice ins Kampfgebiet ziehen, bringen die Einwohner der Stadt fast ununterbrochen Hilfsgüter: Medikamente, Verbandsmaterial, Konservendosen, Powerbanks, Decken, Sandsäcke und vieles mehr. Manchmal gibt es auch unerwartete Spenden: "Ich habe 100 Liter Diesel mitgebracht. Wo soll ich sie hinstellen?", fragt ein Mann mittleren Alters die verdutzte Verkäuferin und beginnt kurz darauf, die Kanister vor dem Laden aufzustellen. 

Obwohl Slubice mehr als 800 Kilometer von polnische-ukrainischen Grenze entfernt liegt, scheint die kleine Stadt im Ausnahmezustand zu sein. Die Hilfsbereitschaft ist so groß, dass am Samstag (26.2.2022) den örtlichen Apotheken bereits mittags Schmerzmittel und Erste-Hilfe-Material ausgehen. In manchen Apotheken wird gar nicht mehr gefragt, was genau die Helfenden kaufen wollen, sondern nur noch, wie viel Geld sie ausgeben können. Dann stellen die Mitarbeiter ein entsprechendes Paket zusammen.

Karte Infografik Ukraine Flüchtlinge in Polen und Deutschland DE

Manche Unterstützer kommen von weit her, wie Marcin aus dem knapp 200 Kilometer entfernten Poznan. Der junge Pole hat mehrere neue Handys mitgebracht. Noch in dieser Woche will er zwei Transporter an die ukrainische Grenze schicken, um Flüchtlinge nach Polen zu bringen. Die Autos hat er bereits über Freunde besorgt. 

Auch ein deutsch-polnisches Paar aus Berlin, das über das Internet von der Hilfsaktion erfahren hat, ist mit Spenden zur Boutique in Slubice gekommen. "Ich hätte nicht erwartet, dass mein Aufruf eine so große Welle an Hilfsbereitschaft auslösen wird", so Betreiberin Olena Pankiv-Bola gerührt. "Manche Menschen bringen Sachspenden mit, andere geben Geld. Das Vertrauen ist enorm, ich bin unendlich dankbar."

Transport durch Ukrainer, die an die Front ziehen

Ein Teil der Spenden ging bereits von Samstag (26.2.2022) auf Sonntag (27.2.2022) in die Ukraine. Die Hilfsgüter wurden in mehreren Transportern von einer Gruppe von fünfzehn ukrainischen Männern transportiert, die beschlossen haben, in ihr Land zurückzukehren und an die Front zu ziehen. Einer von ihnen ist Andrij, der seit zwei Jahren in Polen als Lkw-Fahrer arbeitet. Er ist sichtbar bedrückt, hat seit mehreren Tagen nicht geschlafen. Aus Sicherheitsgründen möchte er weder seinen vollen Namen nennen noch sein Gesicht zeigen.

Geschäftsfrau Olena Pankiv-Boła in ihrer Boutique inmitten von Sachspenden für die Ukraine
Olena Pankiv-Bola freut sich über die Resonanz auf ihren SpendenaufrufBild: Monika Stefanek/DW

Er wisse nicht, was ihn unterwegs erwarte, berichtet Andrij. Seine Frau und die zwei Kinder seien in der Ukraine, nicht weit von Kiew geblieben. "Ich habe beschlossen, sofort zurückzukehren. Mein polnischer Chef hat ohne Probleme zugestimmt", so Andrij weiter. "Zunächst wollen wir nach Kiew fahren und - wenn es möglich ist - Spenden in Krankenhäusern und Kliniken abgeben. Über meine Gefühle kann ich zurzeit nicht reden. Es ist einfach zu schwer." 

Frauen und Kinder aufnehmen 

Auf dem Plac Bohaterow (Platz der Helden) in Slubice werden seit Samstag (26.2.2022) immer wieder neue Transporter mit Spenden beladen. Die nächste Gruppe ukrainischer Freiwilliger will sich noch diese Woche auf den Weg in die Heimat machen - und weitere Hilfsgüter mitnehmen. Die Organisatoren der Spenden haben bereits angekündigt, dass die Aktion fortgesetzt wird, auch um die Bedürfnisse der Flüchtlinge, die in der deutsch-polnischen Grenzregion ankommen, zu decken. Am Montag (28.2.2022) stellte die Gemeinde dafür ein Lager bereit. 

Freiwillige stehen Schlange um sich für die Ukrainische Armee rekrutieren zu lassen
In der Ukraine melden sich Freiwillige zur Verteidigung der Heimat - auch aus Deutschland Bild: UKRAINIAN ARMED FORCES via REUTERS

Die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine kamen am Samstag Vormittag in Slubice an. "Wir haben bereits eine sechsköpfige Familie untergebracht", erzählt Mariusz Dubacki, der die Verteilung von Unterkünften koordiniert. "Ich bin jetzt auf der Suche nach einem Zimmer für drei junge Ukrainer, die auf dem Weg zu uns sind. Zurzeit haben wir etwa 40 Plätze bei Privatpersonen zur Verfügung. Die meisten wollen Frauen mit Kindern aufnehmen. Ich denke, dass die von der Gemeinde vorbereiteten Plätze vorerst nicht benötigt werden, aber alles kann sich natürlich schnell ändern." 

Ukrainische Schulkinder unter Stress 

Die Stadt Slubice hat zunächst 60 Unterkunftsplätze für Flüchtlinge eingerichtet. Beata Bielecka, die Sprecherin des Bürgermeisters, weist jedoch darauf hin, dass auch die Ukrainer, die schon lange in Polen sind, zurzeit Unterstützung brauchen. In der ganzen Gemeinde kann es sogar mehr als 3000 Ukrainer geben, die hier leben und arbeiten.

Männer und Frauen laden Hilfsgüter aus ihren Autos aus
Freiwillige bringen Spenden für die Ukraine nach Slubice Bild: Monika Stefanek/DW

"Uns erreichen Informationen aus den Schulen in Slubice, dass die ukrainischen Kinder, deren Eltern als Gastarbeiter in der Stadt leben, dort unter großem Stress stehen", so Bielecka. "Ihre Eltern sind hin- und hergerissen. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sollen sie in die Ukraine fahren, um den Rest der Familie zu holen, oder lieber hier bleiben, wo es sicher ist? Es sind dramatische Entscheidungen. Deshalb haben wir uns darauf konzentriert, den ukrainischen Schülern psychologische Unterstützung hier vor Ort anzubieten." 

Vorbereitungen auf die Ankunft von Flüchtlingen in Deutschland 

Auf der anderen Seite der Oder, in Frankfurt, begannen die Vorbereitungen für die Aufnahme von Flüchtlingen kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine in der Nacht vom 23. auf den 24.2.2022. Die ersten Flüchtlinge kamen bereits am Freitag (25.2.2022) an, die meisten von ihnen wurden von in Deutschland lebenden Verwandten empfangen. Im ganzen Bundesland Brandenburg, zu dem Frankfurt gehört, wurden zunächst 800 Plätze für Ukrainer bereitgestellt. Langfristig sollen es mehr als 10.000 werden. Bisher aber ist es zu keiner großen Flüchtlingswelle gekommen. 

Deutsche Polizisten kontrollieren einen Reisebus bei Frankfurt/oder
Kontrolle der deutschen Grenzpolizei bei Frankfurt/OderBild: Monika Stefanek/DW

Am Sonntag (27.2.2022) befanden sich in der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt ganze elf Personen, die aufgrund der Kampfhandlungen in der Ukraine nach Deutschland gekommen sind. Deutlich mehr, etwa 400, sind nach Angaben des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten bisher in Berlin angekommen. Alleine in der Nacht von Sonntag auf Montag (28.2.2022) trafen dort 85 Menschen ein. Zum Teil werden Geflüchtete auch privat in Berlin einquartiert.

Polizeikontrollen im Grenzgebiet 

Erste Kriegsflüchtlinge sind auch in Mecklenburg-Vorpommern angekommen. In der Landeshauptstadt Schwerin fanden zwanzig Frauen und Kinder Zuflucht, Unterkünfte für weitere Neuankömmlinge werden in Rostock, Neubrandenburg und Stralsund vorbereitet. Katarzyna Werth, Gemeinderätin der direkt an der deutsch-polnischen Grenze gelegenen Ortschaft Löcknitz fände es gut, wenn eine Erstaufnahmeeinrichtung in unmittelbarer Nähe entstehen würde: "Die jetzigen Aufnahmestellen sind zu weit entfernt", so Werth weiter. "Ich hoffe zudem, dass bald eine Hotline in ukrainischer Sprache eingerichtet wird. Zurzeit sind die meisten Informationen nur auf Deutsch erhältlich." 

Wegen des erwarteten Zustroms von Ukrainern hat die Bundespolizei die Kontrollen entlang der deutsch-polnischen Grenze verstärkt. In der Nähe von Frankfurt werden von Osten kommende Lastwagen, Reisebusse und Busse auf der Strecke nach Berlin angehalten und kontrolliert. 

 

 

 

Monika Stefanek Autorin DW Polnisch