1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ukraines nächster Präsident: Ein Rockstar?

Nick Connolly KD
24. August 2018

Bekommen Ukraines Präsidentschaftskandidaten Konkurrenz aus dem Showbusiness? Ein Rockstar und ein Comedian hätten gute Chancen. Die Sehnsucht nach neuen Gesichtern ist groß. Aus Kiew Nicholas Connolly.

https://p.dw.com/p/33gw1
Swjatoslav Wakartschuk beim Konzert in Sotschi 2012
Rockstar Swjatoslav Wakartschuk bei einem Konzert 2012 in SotschiBild: picture-alliance/dpa/RIA Novosti/R. Sitdikov

Swjatoslaw Wakartschuk dementiert immer wieder. Doch gleichzeitig tut der ukrainische Superstar seit Jahren alles, um die Gerüchte um seine politischen Ambitionen zu nähren: Er hat Politikseminare in Stanford besucht und selbst Politikstudenten unterrichtet. Und er hat eines der seltenen Konzerte seiner Rockgruppe "Okean Elsy" auf den ukrainischen Nationalfeiertag am 24. August gelegt.

Der Nationalfeiertag ist der inoffizielle Auftakt für die Präsidentschaftswahlen am 31. März 2019. Viele erwarten, dass Swjatoslaw Wakartschuk die Gelegenheit nutzt und irgendeine Art von Ankündigung macht. Auch wenn das der Titel seines Konzerts - "Nichts als Musik" - eigentlich nicht erwarten lässt.

In der Ukraine werden Wakartschuks Versuche, die Gerüchte über seine Kandidatur zu zerstreuen, ignoriert: Buchmacher nehmen bereits jetzt, sechs Monate vor den Wahlen, Wetten an. Und die meisten Umfragen sehen ihn vor Amtsinhaber Petro Poroschenko und nur wenige Prozentpunkte hinter Julia Timoschenko, die derzeit die Nase vorne hat.

Ukraine: Präsidentenadministration in Kiew
Das Präsidialamt in Kiew: Wer wird im nächsten Jahr einziehen? Noch zeichnet sich kein eindeutiger Favoriten abBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Kein politischer Nobody

Für Wakartschuk wäre es nicht der erste Ausflug in die Politik: 2007 wurde er in die Rada, das ukrainische Parlament, gewählt. Aber schon ein Jahre später gab er das Mandat ab, und beschuldigte die politische Klasse, mehr Zeit mit internen Streitigkeiten zu verbringen als mit Politik. Trotzdem blieb er weiter politisch aktiv. Während der Maidan-Proteste 2014 sagte Wakartschuk: "Keinesfalls kann ich untätig sein bei dem, was in unserem Land passiert."

Der studierte Physiker begann seine musikalische Profi-Karriere 1994 als Frontmann der Rockband "Okean Elsy". Er gehört zu jener Generation, die erwachsen wurde, als die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangte, aber sich eine Reihe von Fehlstarts auf dem Weg der Westintegration leistete.

Wakartschuk war stets Fürsprecher einer engeren EU-Bindung, Korruptionsbekämpfung und weitreichender Reformen, angefangen beim Wahlgesetz bis hin zu den Geheimdiensten. Zwar gingen seine Forderungen nicht ins Detail. Aber in einem Land, wo klare politische Statements eher die Ausnahme sind, brachten ihm seine Aussagen viel Sympathie ein.

Wie kommt es, dass er - ein Rockstar - mittlerweile als Hoffnungsträger gehandelt wird? "Er hat seine moralische Autorität zum Markenzeichen gemacht", erklärt der Kiewer Politologe Oleksi Haran das Phänomen Wakartschuk. Seit mehr als zwei Jahrzehnten stehe er im Rampenlicht, ohne Skandale produziert zu haben. Nur sehr wenige ukrainische Politiker könnten das von sich behaupten.

Vom Boxer über den Rockstar bis zum Comedian

Promis sind in der ukrainischen Politik keine Seltenheit. Bestes Beispiel ist Schwergewichtsweltmeister Vitali Klitschko, der zu einer der Schlüsselfiguren der Maidan-Proteste wurde. Bei den darauffolgenden Wahlen spielte er zunächst mit dem Gedanken, für das Präsidentenamt zu kandidieren, unterstützte dann aber Poroschenko - und wurde Bürgermeister in Kiew.

Volodimir Zelenski bei einem Auftritt im Konzertprogramm des Studios "Kvartal 95"
Volodimir Selenski: Nur Comedy-Präsident - oder echte Ambitionen?Bild: picture-alliance/Pacific Press/A. Gusev

Auch bei diesen Wahlen ist Wakartschuk nicht der einzige Kandidat aus dem Showbiz, dem in den Umfragen Sympathien entgegenschlagen: Heftig spekuliert wird auch über den populären Schauspieler und Comedian Volodimir Selenski. Der hat sogar Erfahrungen als Präsident - wenn auch nur auf dem Fernsehbildschirm. In seiner Erfolgsserie "Diener des Volkes" spielt er einen Geschichtslehrer, der gerne auf die Korruption schimpft. Als ein Video davon zum Hit in sozialen Netzwerken wird, katapultiert ihn das bis in Präsidentenamt.

Im wirklichen Leben rangiert Selenski in den Wahlumfragen zwischen sechs und sieben Prozent, gleichauf mit Wakartschuk. Wie der Rockmusiker dementiert auch Selenski seine Präsidentschaftsambitionen, bestätigt allerdings, dass er eine Diener-des-Volkes-Partei registrieren lassen will. Das sei jedoch eher ein Schachzug, sagt er, um andere daran zu hindern, den Namen für politische Zwecke zu missbrauchen.

Sehnsucht nach neuen Gesichtern

Wakartschuk und Selenski haben zwar Sympathien in unterschiedlichen Teilen der ukrainischen Bevölkerung, aber sie haben eines gemeinsam: Sie erfüllen, wie es der Politologe Haran ausdrückt, die Sehnsucht nach neuen Gesichtern. Denn die anderen aussichtsreichen Kandidaten blicken auf eine jahrzehntelange politische Karriere zurück. Die meisten waren bereits Minister, fast alle sind über 50 Jahre alt.

Julia Timoschenko im ukrainischen Parlament
Auch ohne Zopf sticht Julia Timoschenko unter den zahllosen "Herren im Anzug" hervorBild: picture-alliance/dpa/Sputnik

Da ist zum einen die zweimalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die in den Umfragen derzeit mit rund zehn Prozent vorne liegt. Aus der Vielzahl der Männer in Anzügen, die die ukrainische Politik lange dominierten, sticht sie schon optisch hervor: Ihren markanten blonden Zopf kultivierte sie zum Markenzeichen, das sie im In- und Ausland bekannt machte. Zopf und Trachtenkostüm sind passé - in ihrer aktuellen Wahlkampagne versucht sie mit Hightech-Grafiken und der Einführung von Blockchain-Technologie zu punkten. Sie präsentiert sich als Innovatorin und Modernisiererin.

Kandidieren oder unterstützen?

Amtsinhaber Poroschenko tendiert in die entgegengesetzte Richtung, indem er vor allem konservative, patriotische Wähler ins Visier nimmt. Seine Wahlkampagne gründet auf dem Versprechen, die ukrainische Armee zu stärken und internationale Anerkennung der Unabhängigkeit der ukrainischen orthodoxen Kirche vom Moskauer Patriarchat zu erreichen.

Petro Poroschenko bei einer Militärparade in Kiew
Petro Poroschenko (links) setzt auf Patriotismus und eine stärkere ArmeeBild: Reuters/G. Garanich

Obwohl die Rufe nach neuen Politikern immer lauter wird, ist unklar, ob die Celebrities Wakartschuk und Zelenski ihren Hut für das Präsidentenamt tatsächlich in den Ring werfen. Wenn nicht, liegt es an den politischen Veteranen, sich selbst neu zu erfinden. Da das Rennen eng werden wird, könnte aber auch schon die Unterstützung von Wakartschuk oder Zelenski für einen anderen Politiker den Ausschlag geben.  Bis Februar ist noch Zeit - dann läuft die Frist für die Kandidatur aus.