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Ulrich Ritzel: Schwemmholz

Gerda Meuer2. April 2006

Ein Kriminalroman mit menschlichen, glaubwürdigen Protagonisten. Seine Stärke ist die Handlung, nicht die Psychologie und er ist spannend, mit vielen kleinen Nebenschicksalen und Nebengeschichten.

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Er heißt einfach nur Berndorf, kein Vorname, keine Anrede und auch kein Titel, einfach Berndorf und er ist Kommissar in Süddeutschland, genau gesagt in Ulm. Da drängt sich der Kindervers und Zungenbrecher geradezu auf: In Ulm und um Ulm und um Ulm herum.

Buchcover: Ulrich Ritzel - Schwemmholz

Doch es geht in "Schwemmholz" nicht um Kindereien, nicht um Spiele: Berndorf ermittelt zunächst wegen eines Brandanschlags, dann aber wegen Mordes. Und schon ist er zusammen mit seiner Kollegin Tamar Wegenast mitten drin im Ulmer Korruptionssumpf, in der rechtsradikalen Szene und bei den gefährlichen Geschäften der Mafia.

Die Geschichte ist simpel, doch hat sie mehrere Handlungsstränge. In Ulm geht ein Wohncontainer in Flammen auf, vermutet wird zunächst ein Anschlag von Neonazis auf eine italienische Baufirma. Doch dann wird der zunächst verdächtigte aber freigelassene Skin ermordet vor dem Gerichtsgebäude in Ulm gefunden.

Schwierig im Umgang

Jetzt geht der Verdacht in Richtung Mafia, doch auch die eigene Behörde scheint in den Fall verwickelt. Da wird Berndorf bei einem Attentat verletzt und kann für eine Zeitlang nur noch von zu Hause aus die Ermittlungen seiner Kollegin Wegenast begleiten. Die findet schließlich, mit telefonischer Hilfe von Berndorf, die eigentlichen Drahtzieher.

Auf einer anderen Ebene erzählt der Autor und langjährige Journalist Ulrich Ritzel die Geschichte von Berndorf, dem Verweigerer. Denn der Kommissar möchte in den vorzeitigen Ruhestand, er ist seiner Arbeit überdrüssig und tröstet sich mit der Lektüre von Lichtenberg und mit Telefonanrufen bei Dr. Barbara Stein, einer Berliner Professorin, die ihn gerne jeden Tag um sich hätte. Berndorf ist kauzig, eigenbrötlerisch, eigensinnig bis arrogant, schwierig im Umgang, aber er behält gerade deshalb sein Rückgrat.

Zeitgeschichtlicher Kriminalroman

Das lernt, nach und nach, auch seine jüngere Kollegin, Kommissarin Tamar Wegenast zu schätzen. Die ist genauso unbeugsam und eigensinnig wie ihr Chef, wenn sie sich in einem Fall engagiert, aber auch, wenn sie sich mit ihrer Lebensgefährtin, einer Malerin streitet. Über das Privatleben der hochgewachsenen, schönen Frau wird auf der Behörde getuschelt. Doch Berndorf nimmt es gar nicht zur Kenntnis und sie selbst geht irgendwann in die Offensive und outet sich vor den Kollegen.

Es ist auch diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit nicht-genormten Lebensläufen, die "Schwemmholz" zu einem zeitgeschichtlichen Kriminalroman machen. Er greift aktuelle Themen auf, ohne dem Zeitgeist zu verfallen. Er hat menschliche, glaubwürdige Protagonisten. Er spielt im Hier und Jetzt. Seine Stärke ist die Handlung, nicht die Psychologie. Er ist spannend, mit vielen kleinen Nebenschicksalen und Nebengeschichten.

Und er hat einen Kommissar, der auch ohne Vorname, Titel oder Anrede ein richtiger Kommissar ist. Man kann nur hoffen, dass Autor Ritzel seinem Geschöpf die Amtsmüdigkeit nicht durchgehen lässt und diesem zweiten Berndorf-Krimi noch weitere folgen werden.


Ulrich Ritzel
Schwemmholz
Diogenes, 2004
ISBN 3-257-06391-1
EUR 24.90