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Ulrich Ritzel: Uferwald

Ulrich Noller5. November 2006

Eine alte Frau wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden, fast mumifiziert. Ein Routinefall, wenn auch ein trauriger. Bis Kommissar Kuttler ein Tagebuch findet und damit in ein Wespennest sticht.

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Er ist ein Phänomen: Vom Späteinsteiger, der erst mit Ende 50 anfing, literarisch zu schreiben, entwickelte der Ulmer Autor Ulrich Ritzel sich binnen einiger Jahre zum großen alten Mann der deutschen Kriminalliteratur. Und das mit drei Romanen, die bei einem kleinen Verlag namens Libelle entstanden, den bis dahin außer Eingeweihten keiner kannte. Aber Ritzel und sein Verlag bildeten ein kongeniales Tandem, wurden miteinander bekannt und bekannter; die Zusammenarbeit gipfelte in dem brillanten Kriminalroman "Der Hund des Propheten“ - mit dem sie auch endete. Danach kündigte Ritzel nämlich das Verhältnis mit Libelle auf, wechselte zu Random House, wo jetzt neben den Taschenbuchausgaben der alten gebundenen auch sein neuer Kriminalroman "Uferwald“ erschien.

Buchcover: Ulrich Ritzel - Uferwald

Vermeintliche Routine

Wie gehabt, entführt Ritzel nach Ulm und in die ländlichen Gegenden um Ulm herum; nach endgültigen Abgang seines alternden Kommissars Berndorf gen Berlin, ermitteln in "Uferwald“ jüngere Kollegen, vor allem die Kommissare Wagengast und Kuttler. Zentral bearbeiten sie einen Fall, der zunächst eigentlich gar keiner ist:

In einer gemeinnützigen Heimstätte ist eine alte Frau, Charlotte Gossler, gestorben; lange lag sie verwesend in ihrer Wohnung. Als die Leiche dann doch entdeckt wird, ist der Fall für die Polizei Routine - bis Kuttler eine altes Tagebuch des Sohns von Charlotte Gossler entdeckt. Der Sohn ist sieben Jahre zuvor totgefahren worden; und in seinem Tagebuch erhebt er Vorwürfe gegen - mittlerweile - gefestigte Mitglieder der Gesellschaft, die mit Gosslers Tod zu tun haben könnten.

Ulrich Ritzel, Krimiautor
Ulrich RitzelBild: Sven Paustian

Kuttler riecht Lunte, beginnt zu ermitteln - und bringt damit bald Entwicklungen in Gang und Dinge ans Licht, von deren Existenz bis dahin niemand ahnte. Das ist allerdings nur der Hauptstrang dieses Romans, es gilt auch noch einen Bankraub aufzuklären, einen Schläger zu überführen, einen Finanzjongleur auszutricksen usw., usf.

Mahner und Moralist

Wie schon seine Vorgängergeschichten ist auch "Uferwald“ ein herausragender Kriminalroman: Erfahrungssatt, treffsicher montiert, genau beobachtend, sprachlich brillant. Ausführlich verfolgt und beobachtet Ulrich Ritzel die Clique, in der Tilman Gossler vor seinem Tod verkehrte; beschreibt, wie die Freunde früher waren, wie sie sich entwickelt haben, wer sie heute sind; und er beobachtet und seziert dabei stellvertretend die Gesellschaft.

Die Bilanz zeigt einen eklatanten Sollstand auf. Ulrich Ritzel - der dafür plädiert, wieder über Werte zu diskutieren - entwickelt sich, auch das zeigt "Uferwald“ immer mehr zum Mahner und zum Moralisten. Die Gesellschaft, wie er sie sieht, beschreibt und interpretiert, ist hohl und kaputt. Ritzel verfolgt keine Utopien, er nennt keine Alternativen, aber ihm und seinen Ermittlern ist klar, dass es welche braucht.

Ulrich Ritzel
Uferwald
btb, 2006
ISBN 3442751446
EUR 19,95