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Alles für den Fußball

Carla Bleiker22. März 2014

Kritiker machen keinen Unterschied zwischen Ultra-Fußballfans und Hooligans. Autor Christoph Ruf recherchierte unter den Fans - und kam dabei zu erstaunlichen Erkenntnissen über die Szene.

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Bundesliga 2013/2014 Werder Bremen Fans halten Schilder hoch, mit denen sie sich bei Trainer Thomas Schaaf bedanken. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

In deutschen Fußballstadien gibt es immer mehr komplizierte Choreographien und ausgefeilte Teamarbeit zu sehen - und zwar auf den Zuschauerrängen. Leidenschaftliche Fan-Gruppen, die sogenannten Ultras, investieren viel Zeit in die Unterstützung ihres Vereins mit Transparenten oder anderen großangelegten Aktionen in der Fankurve.

In der letzen Zeit litt ihr Ruf aber erheblich: Politiker kritisieren wachsende Gewalt in den Stadien, und in den Medien werden Ultras, Hooligans und gewaltbereite Rechtsradikale in einen Topf geworfen. "Ultras werden einseitig negativ gesehen, wenn überhaupt über sie berichtet wird", sagt der freie Journalist Christoph Ruf der DW. "Ich fand, dass man da auch die anderen Facetten des Phänomens darstellen sollte." Deswegen ist Ruf über Monate in die Ultra-Fanszene eingetaucht und hat aus seinen Erfahrungen und Interview das Buch "Kurvenrebellen - Die Ultras. Einblicke in eine widersprüchliche Szene" gemacht.

Kurvenrebellen Buchcover. (Quelle: Verlag Die Werkstatt)
Bild: Verlag Die Werkstatt

Dominanz aus Italien

Die Ultra-Kultur entstand in den 1980ern und 90ern in Italien. Möglicherweise fand sie ihren Weg in die Bundesrepublik, als deutsche Fans 1990 bei der WM in Italien die Choreographien der italienischen Fans sahen und die Idee mit nach Hause nahmen, vermutet Politikwissenschaftler und Publizist Richard Gebhardt, der sich beispielsweise auch bei der Aachener Aktion "Runder Tisch gegen Rechts" beteiligte.

"Ultras sind meist junge männliche Fußballfans, die spätestens seit Ende der 90er Jahre auch in deutschen Stadien ein sehr dominantes, von eigenwilligen Choreographien, Dauergesängen und dem Einsatz von Pyrotechnik bestimmtes Bild abgeben", sagt Gebhardt. "Sie leben eine Art Fußballkultur, die bedeutet, sich völlig dem Verein zu verschreiben."

Kritiker werfen den Ultras vor, die bis ins kleinste Detail geplanten Choreographien, die sie im Stadion zelebrieren, seien zu dominant, erzählt der Politikwissenschaftler. Andere Fangesänge gingen unter oder werden von den Ultra-Aktionen überstrahlt.

Gebhardt assoziiert die Fangruppen mit Performancekünstlern. "Ich vergleiche die Ultras eigentlich immer gern mit einer Theatergruppe", so der Fan-Experte aus Aachen. "Der Spieltag ist dann der Tag der Aufführung." Unter der Woche fänden dementsprechend die Proben statt. Bei den Treffen werden aber nicht nur Transparente gemalt, sondern auch Auswährtsfahrten geplant oder über die Vereinspolitik diskutiert.

Zwei Seiten einer Medaille

Kritik an den Ultras wird häufig an den sogenannten "Bengalischen Feuern" festgemacht, Feuerwerkskörper, die in der Fankurve gezündet werden, obwohl Pyrotechnik in deutschen Stadien verboten ist. Schwerer wiegt aber noch die Anschuldigung, Ultras seien Neonazis.

"Das ist mit Sicherheit der größte Unsinn", sagt Ruf. Man müsse sich nur die Vereine St. Pauli aus Hamburg und Dynamo Dresden anschauen. St. Pauli gilt als linker Verein, die Fans von Dynamo Dresden werden in der öffentlichen Wahrnehmung mit dem rechten Milieu in Verbindung gebracht. "Natürlich ist 'Ultra St. Pauli' eine extrem politische, stark anti-rassistische Gruppe", so der Autor. Das träfe auf die Dresdener Ultras nicht unbedingt zu. Ruf betont aber auch: "Dynamo Dresden hat eine rechts-offene Fanszene, keine Frage. Aber auch in Dresden haben die Ultras dafür gesorgt, dass man bei Heimspielen keine offen rassistischen Meinungsäußerungen mehr hört. Das muss man ihnen schon lassen."

Christoph Ruf hält ein Buch in der Hand. (Foto: privat)
Christoph Ruf: Ultras sind keine HooligansBild: privat

Einige deutsche Ultras protestieren gegen die Kommerzialisierung des Profi-Fußballs, andere, links-gerichtete Gruppen wie die St. Pauli-Fans engagieren sich gegen Rassismus und Antisemitismus. Ein weiteres Beispiel für Letzteres sind die Ultras der "Schickeria". Die Fan-Gruppe des FC Bayern Münchens ist Mitglied im antifaschistischen europäischen Fan-Netzwerk FARE ("Football against racism in Europe"). Außerdem organisiert die "Schickeria" jedes Jahr ein Gedenkturnier für den Ex-Bayern Präsidenten Kurt Landauer, der von den Nazis verfolgt wurde.

Ausblick in die Zukunft

Irgendwann in mittelferner Zukunft wird die Ultra-Kultur ihren Höhepunkt in deutschen Stadien erreicht haben, schätzt Politikwissenschaftler Richard Gebhardt. Schließlich seien die meisten der Ultras junge Menschen, die mit fortschreitendem Alter ihre Prioritäten ändern könnten. "Sobald sie im Berufsleben stecken, Familie haben, die Kinder versorgt werden müssen, ist dieses wirklich sehr intensive Zeitkontingent, das sie brauchen, um ein Ultra zu sein, nicht mehr vorhanden", so Gebhardt. Die Frage sei, ob es der Ultra-Fanszene langfristig gelinge, Nachwuchs an sich zu binden.

Der Wissenschaftler schätzt die Chancen dafür positiv ein: "Ich denke, dass die Ultra-Bewegung gerade sehr lebendig ist und uns auch noch lange in deutschen Stadien begleiten wird."