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Spaltpilz und Kostenfaktor

Nicolas Martin
2. Juli 2020

Eigentlich wollten die Staaten in puncto Medikamente und Impfstoffe zusammenarbeiten. Doch der Streit um das mögliche Corona-Medikament Remdesivir ist schon entbrannt. Der Hersteller Gilead Sciences reibt sich die Hände.

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Ampulle Remdesivir
Bild: picture-alliance/dpa/U. Perrey

Das teuerste Medikament der Welt ist seit dem 1. Juli auch in Deutschland erhältlich: Zolgensma ist ein Mittel gegen seltene Muskelerkrankungen bei Kleinkindern. Kostenpunkt einer Behandlung: 1,9 Millionen Euro.

Was hat das Produkt von Novartis mit dem möglichen Corona-Medikament Remdesivir des Herstellers Gilead Sciences zu tun? Zumindest bei der Argumentation für den Preis bedienen sich beide der gleichen Muster.

Medikament Zolgensma
In den USA kostet eine Behandlung über fünf Jahre 2,1 Millionen US-Dollar, in Deutschland 1,9 Millionen EuroBild: picture-alliance/AP Photo/Novartis

So summiert Novartis eine alternative Behandlung ohne das Medikament auf 2,5 bis vier Millionen Euro. Dieser Fall spielt sich zwar in einer anderen Liga ab als Remdesivir - dennoch wird auch hier mit den Einsparungen durch das Medikament argumentiert.

Die beziffert Gilead Sciences-Chef Daniel O'Day in einem offenen Brief auf 12.000 Dollar für jeden COVID-19-Patienten. Der nun mit der US-Regierung ausgehandelte Preis von 390 Dollar für eine Dosis und 2340 Dollar für die volle Behandlung mit sechs Einheiten liege demnach deutlich darunter, so O’Day. 

Remdesivir: Ein fairer Preis? 

Den Herausgeber des Fachblatts "Arznei-Telegramm" Wolfgang Becker-Brüser überzeugt das nicht. Die Preise für die Behandlung ohne das Medikament seien willkürlich. "Man versucht, den Eindruck zu erwecken, dass das ein fairer Preis ist. Aber möglicherweise wäre man ohne die Pandemie und die öffentliche Aufmerksamkeit viel höher reingegangen", so Becker-Brüser im DW-Gespräch.

Infografik: Lebenslauf eines Medikaments

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) wollte sich auf DW-Anfrage nicht äußern. "Der vfa kommentiert die Preisgestaltung einzelner Unternehmen nicht." Nichtsdestotrotz hat auch der vfa in der Vergangenheit die Verantwortung der Pharmabranche hervorgehoben und für preiswerte und verfügbare Medikamente und Impfstoffe plädiert.

Eine Analyse britischer Forscher, die "Der Spiegel" zitiert, hat ergeben, dass der Preis pro Dosis Remdesivir bei rund acht Euro liegen dürfte. Dass die Verkaufskosten deutlich über den Produktionskosten liegen, ist durchaus normal, denn die Unternehmen investieren große Summen in die Entwicklung eines Medikaments.

Im Falle von Remdesivir gibt Gilead Sciences Kosten von insgesamt rund einer Milliarde Dollar an. Das entspricht ungefähr dem unteren Beitrag, den auch der vfa für die Entwicklung eines neuen Produktes ansetzt. In einer Antwort an die DW heißt es, dass Unternehmen normalerweise mit Investitionen zwischen einer und 1,6 Milliarden Dollar rechneten.

Arzt und Apotheker Wolfgang Becker-Brüser sieht darin "Fantasiepreise" und vermutet eine klare Strategie. "Wenn man die Entstehungskosten so hochrechnet, dann kann man auch höhere Preise verlangen." 

Gilead Sciences Headquarter
Nachdem Remdesivir als Ebola-Medikament gescheitert ist, gibt es nun eine zweite ChanceBild: picture-alliance/AP Photo/E. Risberg

Pharmaexperte Alexander Nuyken von der Beratungsfirma EY gibt auf DW-Anfrage zu Bedenken, dass die erfolgreichen Produkte eben auch die erfolglose Forschung und Entwicklung anderer Produkte mitfinanzierten. "Es muss möglich sein, einen Aufschlag für das Risiko der Entwicklung bis zur Zulassung zu nehmen", schreibt Nuyken.

Vom Abfall- zum Milliardenprodukt? 

Insgesamt kann der Arzneimittel-Experte Becker-Brüser einen Trend zu teureren Medikamenten erkennen. "Die Verordnungszahlen für neue patentgeschützte Arzneimittel bleiben gleich, aber die Kosten für die Neuheiten gehen nach oben." Das war auch vor Corona so. Zumindest ist das auch die Botschaft des Arzneimittelverordnungsreports der AOK aus dem abgelaufenen Jahr.

Demnach müssen die Krankenkassen in Deutschland einen immer größeren Teil ihres Arzneimittel-Etats für besonders teure Medikamente ausgeben. Dabei ist ein Millionen-Medikament wir Zolgensma nur die Spitze des Eisberges.

Infografik: weltweiter Arzneimittelumsatz nach Therapiegebiet

Bei Remdesivir war die Pharmabranche allerdings von höheren Preisen ausgegangen als nun veranschlagt. So schätzte das in Boston ansässige Institute for Clinical and Economic Review einen fairen Preis auf 2800 Dollar. So manch ein Analyst ging sogar von 4000 Dollar aus.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Remdesivir eher ein Abfallprodukt von Gilead Sciences ist. So wurde das Mittel ursprünglich bereits gegen Ebola entwickelt - hatte aber nur mäßigen Erfolg. Wegen des hohen Drucks und der Diskussion um den Preis im Vorfeld, geht Becker-Brüser davon aus, dass der Preis von Remdesivir ein Kompromiss war, um den Umständen gerecht zu werden.

Für das Unternehmen könnte sich die Zweitverwertung des Produktes aber auszahlen. Der Aktienkurs von Gilead Sciences stieg in dieser Woche nach Bekanntgabe des Preises am Montag an. Beim kalifornischen Biotechunternehmen dürften die Bestellungen durch die Decke gehen - wenn es überhaupt noch etwas gibt.

Denn nach Medienberichten haben sich die USA bereits die gesamte Remdesivir-Produktion für Juli sowie jeweils 90 Prozent der erwarteten Produktion für August und September gesichert. Und auch in Deutschland wird betont, dass man sich bereits Kontingente gesichert habe. Gesundheitsminister Jens Spahn erhöhte nochmals den Druck: Er erwarte von der Pharmafirma Gilead Sciences, "dass Deutschland und Europa versorgt werden, wenn es um ein solches Medikament geht." Auch Großbritannien habe genügend Reserven, versicherte die britische Regierung.

Das Streithahn-Dilemma

Bisher ist Remdesivir in keinem Land der Welt uneingeschränkt zugelassen und die Wirksamkeit auf den Verlauf von COVID-19 immer noch nicht ausreichend erforscht. Dennoch ist das Medikament neben Dexamethason das bisher aussichtsreiche Mittel für einen kürzeren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion. Wohl auch deshalb zeigen die Industriestaaten bei dem Thema Ellenbogen. Das sei nicht unerwartet gewesen, sagt Alexander Nuyken von EY. "Umso wichtiger ist es, dass wir in internationale Allianzen gemeinsame Lösungen suchen."

In mehreren internationalen Foren wird das auch versucht. Gerade auch mit Blick auf die Verteilung eines Impfstoffes formiert sich vor allem in Europa ein Bündnis rund um die Weltgesundheitsorganisation WHO. 

Das Problem ist nur wie beim Klima: Wenn die USA mit ihrer Marktmacht nicht mitspielen, bleibt die Wirkung beschränkt. Das zeigt sich nun auch am Beispiel Remdesivir. Denn durch die Hahnenkämpfe der Industriestaaten verbessere sich auch die Verhandlungsposition der Pharmaindustrie, befürchtet Becker-Brüser. "Natürlich sind die Firmen in einer Position, wo sie sagen können, den Preis können wir hochpokern."

Wie sehr Gilead Sciences diese Position ausnutzt, wird sich schon bald zeigen. Denn derzeit verhandelt die EU mit dem Unternehmen, die Versorgung aller 27 EU-Staaten mit Remdesivir sicherzustellen.