1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Umstritten: Politik in der Schule

2. Februar 2019

Lehrer sollen Schüler zu aufrechten Demokraten erziehen. Als Unterrichtsfach spielt Politik allerdings keine große Rolle. Lehrer, aber auch Schüler finden das falsch. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

https://p.dw.com/p/3CUZU
U18-Wahl Wahl-Seminar mit Schülern
Schüler simulieren die Bundestagswahl und diskutieren das ErgebnisBild: Presse U18

Zwei Blätter aus einem Schulheft hat Louisa zusammengeklebt, damit sie genug Platz hat, um die in Syrien kämpfenden Kriegsparteien auf dem Papier in ein Schaubild zu fassen. Wer kämpft gegen wen und warum? Welche Rolle spielen Russland, die USA und der Iran? Der Syrienkrieg ist Thema einer Klausur, die die 17-Jährige im Leistungsfach Politik schreiben wird.

Es geht um die Machtverhältnisse in der Welt. Louisa muss sich mit Begriffen auseinandersetzen, die sie zuvor noch nie gehört hat. "Stellvertreterkrieg" ist einer davon und "Weltpolizist", wie die USA jahrzehntelang genannt wurden, bevor US-Präsident Donald Trump kam und mit ihm "America first". Der Stoff fesselt die Schülerin. Er sei aktuell fassbar. "Wenn ich Politik nicht gewählt hätte, wüsste ich das alles nicht", sagt die Gymnasiastin.

Politik ist kein Pflichtfach

Welcher Schüler wie viel politische Bildung abbekommt, hängt in Deutschland davon ab, wo er zur Schule geht. Jedes der 16 Bundesländer entscheidet selbst. In Bayern hat die politische Bildung mit 0,52 Prozent den geringsten Anteil am Lehrplan. In Hessen dagegen sind es 4,38 Prozent - so eine Studie der Universität Bielefeld. Mal wird Politik erst in der zehnten Klasse unterrichtet, mal schon von der fünften bis zur neunten.

Schaubild zum Syrienkrieg
Wer kämpft gegen wen in Syrien und warum?Bild: DW/S. Kinkartz

Vielerorts ist politische Bildung Teil des Geschichtsunterrichts. Ist die Antike dran, lernen die Schüler auch etwas über die Anfänge der Demokratie. "Bis zur Oberstufe haben die Schüler mit aktuellen gesellschaftspolitischen Problemen und Ereignissen wenig zu tun", sagt ein Lehrer, der seit zwölf Jahren an einem Berliner Gymnasium unterrichtet. Nennen wir ihn Martin Müller, er soll auf Wunsch der Schulleitung anonym bleiben. Zu aufgeheizt sei das Thema politische Bildung derzeit.

Es erschrecke ihn, wie wenig Schüler selbst im Alter von 17 oder 18 Jahren von der aktuellen Politik wüssten, kritisiert Müller. Als er in der Oberstufe nach den Regierungsparteien gefragt habe, hätten sie die CDU noch mehrheitlich genannt: "Aber wer der Koalitionspartner ist, wusste mehr als die Hälfte nicht."

"Unsere Kinder brauchen politisches Rüstzeug"

Parwin Mani, Jahrgang 1961 und Mutter von drei Söhnen, erinnert sich daran, dass auch sie als Schülerin wenig Ahnung von Politik hatte: "Aber das waren damals andere Zeiten." Heute sei die Welt in Unordnung, überall würden immer häufiger Populisten nach der Macht greifen: "Unsere Kinder brauchen ein politisches Rüstzeug. Sie müssen wissen, was passiert, damit sie sich rechtzeitig eine klare Meinung bilden können."

Ihr Sohn Julian hat keinen Politikunterricht. Auf die Frage, wer in Deutschland regiert, nennt er die Grünen und guckt betreten, als er hört, dass die Antwort falsch ist. Er würde das gerne wissen, sagt er, aber in seinem Stundenplan sei kein Platz mehr für das Wahlfach Politik. "Das müsste wirklich verpflichtend sein", bedauert er.

Fakten, Fakten, Fakten

Demokratie ist in allen Schulgesetzen ein zentrales Thema, auch wenn die Formulierungen unterschiedlich sind. In Bayern beispielsweise sollen die Schüler "zum Einsatz für den freiheitlich-demokratischen und sozialen Rechtsstaat und zu seiner Verteidigung nach innen und außen" erzogen werden. In Berlin heißt es, sie sollen in der Lage sein, autoritären Ideologien "selbstbewusst und entschieden" entgegen zu treten.

Deutschland Schulbücher der Westermann Druck- und Verlagsgruppe
Politik konkurriert im Unterricht mit vielen anderen FächernBild: picture-alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich

Wenn Lehrer Müller die Parteien im Unterricht behandelt, müssen die Schüler die Parteiprogramme analysieren und kritisch diskutieren. "Bei der AfD finden sie dann Punkte, die dem demokratischen Grundkonsens widersprechen, beispielsweise dem Gleichbehandlungsgebot aller Menschen", schildert er. "Oder diskriminierende Punkte, die mit unserer Demokratie eigentlich nicht zu vereinbaren sind."

Darf ein Lehrer sagen, was er denkt?

Meinung ist gefragt, auch vom Lehrer. "Wie sollte ich Urteilsbildung glaubhaft vermitteln, wenn es mir verboten wäre, selbst einen Standpunkt, ein Urteil zu beziehen?", fragt Müller. "Natürlich darf ich das, ich muss doch authentisch wirken." Auf keinen Fall dürfe er aber seine Meinung zum Maßstab erheben und die Schüler indoktrinieren: "Politik ist etwas Kontroverses, daher wäre es das Schlimmste, wenn die Schule ein vorgegebenes Urteil von den Schülern verlangen würde."

Lehrer, die ihre Meinung sagen, das schmeckt der rechtspopulistischen AfD überhaupt nicht. Sie behauptet, der Politikunterricht sei politisch links ausgerichtet. "Man findet bei Lehrern eine sehr kritische Einstellung gegenüber der AfD", klagt der Berliner Landesvorsitzende der Partei, Georg Pazderski. In Online-Portalen ruft die Partei Schüler und Eltern dazu auf, Lehrer zu melden, die im Unterricht politisch Stellung beziehen.

Berlin Andreas-Gymnasium: Schüler zeigen Flagge gegen AfD-Portal
An einem Berliner Gymnasium protestieren Schüler gegen das AfD-MeldeportalBild: picture-alliance/Tagesspiegel/K. U. Heinrich TSP

Eine "Hexenjagd" sei das, sagt Martin Müller. Dass sich Lehrer politisch neutral zu verhalten hätten, sei "Unsinn". Dennoch hat das Meldeportal die Stimmung vergiftet. Deshalb will die Schule, an der Müller unterrichtet, nicht genannt werden.

Die Rückendeckung der Politik

Dabei ist die Lage eigentlich klar. Die Kultusministerkonferenz schreibt vor: "Wenn Schüler in einer Diskussion Standpunkte äußern, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den Menschenrechten nicht vereinbar sind, dürfen Lehrer diese keineswegs unkommentiert oder unreflektiert lassen."

Symbolbild Demokratie
Bild: imago/Photocase

In Berlin haben Schüler, Eltern und Lehrer neun Jahre lang protestiert und erreicht, dass Politik nun schon in den Klassenstufen sieben bis zehn unterrichtet wird. Eine Stunde wöchentlich ist bewilligt. Darüber hinaus soll politische Bildung weiterhin nebenbei in andere Fächer einfließen.

Ausbildung fehlt

Dafür sind viele Lehrer aber gar nicht ausgebildet. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung gaben nur 16 Prozent der Lehrer an, sich während ihres Studiums intensiv mit Demokratie-Bildung beschäftigt zu haben. 95 Prozent gaben an, die Vermittlung von Demokratie habe im Schulunterricht eine untergeordnete Rolle.

Schülerin Louisa findet das falsch. Sie ist froh, sich für Politik entschieden zu haben, auch wenn das Leistungsfach ihr viel Arbeit abverlangt. "Kunst wäre einfacher gewesen", sagt sie und grinst: "Aber lange nicht so spannend."