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Umsttrittene Deals

Daphne Grathwohl19. März 2013

Milde Strafe gegen Geständnis? So laufen Deals im Strafverfahren ab. Kritiker mahnen: Die Suche nach der Wahrheit werde für ein kurzes Verfahren verkauft. Nun hat das Bundesverfassungsgericht über die Deals entschieden.

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Blick in einen Gerichtssaal, an Justizvollzugsbeamtem vorbei Foto: Jochen Lübke (dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Täter will eine niedrige Strafe. Gericht und Staatsanwaltschaft wollen ein schnelles Verfahren. Also wird "gedealt": Wer ein Geständnis ablegt und Zeugenvernehmungen, Gutachten oder Sachverständige überflüssig macht, bekommt zur Belohnung eine Strafmilderung. "Man führt Gespräche mit der anderen Seite, die tatsächlich überall stattfinden können - auf dem Dienstzimmer, auf dem Gerichtsflur, auch in der Kantine und im Gerichtssaal", sagt der Kölner Strafverteidiger Jürgen Sauren. Es werde ausgelotet, wie die Beteiligten ein gemeinsames Ergebnis erreichen könnten.

"Deal" bedeutet Handel, aber eben auch Vereinbarung, betont Sauren, der unter anderem in der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins (DAV) engagiert ist. Er berichtet von zwei Fällen: In dem einen sperrte sich der Richter dagegen, den Beteiligten auch nur zu verraten, wie er über den Fall dachte. "In dem anderen Fall erlebte ich einen Vorsitzenden Richter, der sehr transparent arbeitete und regelmäßig offenbarte, wie das Gericht derzeit rechtlich und tatsächlich denkt." Dieser Richter beendete nach 30 Hauptverhandlungstagen ein Verfahren, das die Beteiligten unter anderen Umständen Jahre beschäftigt hätte, so Sauren.

Überlastete Gerichte

Absprachen gibt es an deutschen Gerichten seit Jahrzehnten. Das Geständnis müsse schlüssig sein und mit der bisherigen Beweislage übereinstimmen, dann müsse man auch nicht "Aufklärung bis ins letzte i-Tüpfelchen betreiben", beschreibt Rechtsanwalt Sauren das Vorgehen. Die Verteidiger können sich so bald dem nächsten Fall zuwenden, die chronisch überlasteten Gerichte und Staatsanwaltschaften können ihre Fälle schneller abarbeiten. Diese Überlastung hat in den vergangenen Jahrzehnten eher zugenommen, weil zahlreiche Delikte hinzugekommen sind - etwa in der Umwelt- oder Computerkriminalität. Und im Wirtschaftsstrafrecht werden die Fälle komplizierter - auch in Folge ganz neuer Begehungsformen im Internet.

Edda Weßlau, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht Foto: Uni Bremen
Strafrechtlerin Weßlau: Kritischer Blick auf die AbsprachenBild: privat

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Regelung über die Deals im Strafprozess am Dienstag nun grundsätzlich gebilligt. Allerdings müssten sich Richter und Staatsanwälte bei solchen Absprachen stärker an Recht und Gesetz halten.

Umstritten waren die informellen Absprachen im Strafverfahren immer. Edda Weßlau ist Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Bremen. Sie bringt es auf den Punkt: "Im Strafverfahren geht es um die Wiederherstellung der Geltung der Rechtsordnung durch Ausspruch einer Strafe. Dazu muss man erst einmal feststellen: Was war eigentlich genau?"

"Vergleichbar mit Korruption"

Der Richter muss nach deutscher Strafprozessordnung von Amts wegen die Wahrheit ermitteln. Der Angeklagte - der bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat - hat ein Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren. Doch wenn eine Straftat feststeht, hat der Staat grundsätzlich die Pflicht, diese zu ahnden. Alles Regeln, die durch die Deals unterlaufen würden, so die Kritiker.

Doch die Vorteile - milde Strafe, schnelles Verfahren - überwogen, die Absprachen nahmen zu. "In der Ausbreitung und in den Mechanismen der Ausbreitung ähnelt es der Korruption", beschreibt Edda Weßlau das Phänomen: "Denn jeder sagt sich: Wieso bin ich eigentlich der Dumme, der es mit offiziellen Mitteln versucht? Alle anderen machen es anders und haben nur Vorteile." 2009 wurden die Absprachen im Strafverfahren - nach Aufforderung der obersten deutschen Gerichte - in der Strafprozessordnung festgeschrieben: Es darf nur über die Strafe verhandelt werden, nicht über den Schuldspruch. Alle Beteiligten dürfen Stellung nehmen und müssen zustimmen, sodass die Öffentlichkeit gewahrt wird. Der Angeklagte muss belehrt werden.

Bundesgerichtshof in Karlsruhe Foto.dpa
Bundesgerichtshof in Karlsruhe: Forderungen nach einem Deal-GesetzBild: picture-alliance / dpa

Fehlerhafte Vorschrift

Doch die Bedenken sind nicht ausgeräumt. Der Gesetzgeber sei unehrlich gewesen, als er ins Gesetz schrieb, dass der Richter die Wahrheit herausfinden muss, betont die Strafrechtswissenschaftlerin Weßlau: "Denn durch die Absprache will ich ein Verfahren abkürzen, ich will mir ja gerade die ganze Beweisaufnahme sparen. Dann bleibt aber die Wahrheitsfindung gerade nicht unberührt." Auch die so genannte Unschuldvermutung werde verletzt, so Weßlau: "Denn wenn man sich absprechen will, unterstellt man ja bereits, dass der Anklagevorwurf stimmt", sagt Weßlau.

Zudem bemängeln Kritiker die so genannte Sanktionsschere, die der Richter dem Angeklagten androhen könne: eine besonders niedrige Strafe nach Geständnis und eine besonders hohe nach streitigem Verfahren. Die Position des Richters sei mit den strafprozessualen Grundsätzen - der Richter als unabhängiger, neutraler Dritter bewertet den Fall - ohnehin nicht vereinbar, meint Edda Weßlau. Er dürfe sogar eine Absprache mit dem Ziel eines kurzen Verfahrens bei milder Strafe vorschlagen: "Der ist doch nicht mehr neutral, wenn er sich auf eine Absprache einlässt, bei der die Prämisse gesetzt wird: Der war der Täter - und zwar ungefähr so, wie es in der Anklageschrift steht", empört sich die Juristin.

Italien und die Schweiz als Vorbild?

Im Gegensatz dazu finden die Deals im angelsächsischen Rechtsgebiet zwischen Anklage und Verteidigung beziehungsweise Täter statt, während der Richter nur noch abschließend prüft, ob die Absprache rechtmäßig und freiwillig war. In Italien gibt es ebenfalls ein Absprachen-Gesetz. Es sei nicht perfekt, aber besser als die deutsche Regelung, meint Edda Weßlau. Der italienische Richter prüft die von Staatsanwaltschaft und Verteidigung ausgehandelte Absprache in tatsächlicher Hinsicht, also ob nicht völlig abwegige Dinge gestanden werden. Außerdem prüft er, ob das Strafmaß im Rahmen bleibt sowie die Freiwilligkeit des Geständnisses. "Der Richter ist der Kontrolleur, der prüft, dass niemand über den Tisch gezogen wird - vor allem nicht der Angeklagte", so Edda Weßlau.

Die Barette der Verfassungsrichter liegen vor einer Verhandlung aufgereiht auf dem Tisch in einem Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe Foto: Uli Deck (dpa)
Bundesverfassungsgericht: Das letzte Wort in Sachen DealsBild: picture-alliance/dpa

Auch in der Schweiz hat der Richter eine solche Kontrollfunktion. "Dort sind die Deals auf Fälle begrenzt, in denen nicht mehr als fünf Jahre Freiheitsstrafe ausgesprochen werden kann", beschreibt Edda Weßlau das Verfahren. In Europa gibt es kaum ein Land, in dem solche Deals nicht stattfinden. Selbst in Österreich - einer der letzten absprachefreien Staaten - plant man ein entsprechendes Gesetz.

In der Praxis finden die alten, informellen Absprachen nach wie vor statt, womöglich häufiger als die gesetzlich geregelten, berichtet Strafverteidiger Jürgen Sauren: "Die Absprachen werden selten so formell behandelt, wie das Gesetz sie vorsieht, ich selbst habe es noch nie so erlebt - obwohl ich vielleicht auch ein Einzelfall bin."