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Umstrittene Sprachreform in Belarus

14. September 2006

Im belarussischen Bildungsministerium werden neue Regeln für die belarussische Sprache erarbeitet. Einen entsprechenden Auftrag erteilte Präsident Aleksandr Lukaschenko. Experten kritisieren die geplanten Änderungen.

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Verwirrung oder Vereinfachung?Bild: Illuscope

Das belarussische Staatsoberhaupt Aleksandr Lukaschenko hat eine Erklärung zum Zustand der belarussischen Sprache abgegeben. Demnach werde derzeit eine belarussische Sprache angewandt, die sich auf Regeln stütze, die im Jahre 1957 eingeführt worden seien. Dem Präsidenten zufolge entwickelt sich aber die Sprache weiter. Dies habe zur Notwendigkeit geführt, die bestehenden Rechtschreibregeln zu reformieren und zu vereinheitlichen. Welche Regeln vereinheitlicht werden müssten, sagte Lukaschenko nicht.

"Narkomowka" und "Taraschkiewiza"

Derzeit werden zwei Varianten der belarussischen Sprache angewandt. Die erste basiert auf Rechtschreibregeln, die 1957 eingeführt wurden, die zweite auf Regeln, die bis 1933 galten. Das Volk nennt die Sprachvarianten "Narkomowka" und "Taraschkiewiza". Die "Taraschkiewiza" wird in den Schulen nicht gelehrt. Es ist unabhängigen Medien und den Belarussen im Ausland zu verdanken, dass sie noch Anwendung findet.

Ihren Namen hat die "Taraschkiewiza" hat vom belarussischen Philologen und Politiker Branislau Taraschkiewitsch (1892-1938), der die "Belarussische Grammatik für Schulen" verfasst hatte. Die "Narkomowka" ist eine in der Sowjetzeit - 1933 - vom "Volkskomitee" eingeführte russifizierte Variante der belarussischen Sprache.

Überfällige Reformen

Nach Ansicht des Vorsitzenden der "Gesellschaft für belarussische Sprache", Oleg Trusow, sind die von den Behörden geplanten Änderungen unwesentlich und werden lediglich Verwirrung stiften. Eine Reform der Regeln der belarussischen Sprache sei aber überfällig: "Dass die Sprache reformiert werden muss, haben wir schon Anfang der 90er Jahre betont, weil die bolschewistische Reform von 1933 der belarussischen Sprache großen Schaden zugefügt hat. Wir forderten damals die Rückkehr zur Rechtschreibung vor 1933." Der Vorsitzende der "Gesellschaft für belarussische Sprache" erläuterte, dass damals sogar eine Sonderkommission gebildet worden sei, die entsprechende Dokumente erarbeitet habe. Aber das Referendum von 1995, als die russische Sprache dem Belarussischen gleichgesetzt wurde und den Status einer Staatssprache erhielt, setzte den Bemühungen der "Gesellschaft für belarussische Sprache" ein Ende, so Trusow.

Erst vor vier Jahren sei dann erneut über eine Reform der belarussischen Sprache diskutiert worden. Die vorgeschlagenen Änderungen der Rechtschreibung seien aber oberflächlich gewesen: "Bereits 1999 begann die Akademie der Wissenschaften an ihrer Rechtschreibreform zu arbeiten. Sie ist wenig umfassend - es ist praktisch nur eine kleine Korrektur der ‚Narkomowka‘. Der Vorschlag löste in der Öffentlichkeit Empörung aus, worauf sie unter den Teppich gekehrt wurde. Und jetzt ist diese Variante in Lukaschenkos Administration wieder aufgetaucht."

Kritik am Bildungsministerium

Trusow zufolge ist es vollkommen unverständlich, warum das Bildungsministerium und nicht die Akademie der Wissenschaften damit beauftragt wurde, neue Rechtschreibregeln für das Belarussische zu erarbeiten. Der Vorsitzende der "Gesellschaft für belarussische Sprache" meint, das Ministerium verfüge weder über die notwendigen Erfahrungen noch über Experten auf diesem Gebiet.

Im Bildungsministerium ist man hingegen der Ansicht, dass neue Regeln für die belarussische Sprache längst überfällig seien. Wiktor Iwtschenkow, Berater des Bildungsministers, erklärte aber, derzeit handele es sich lediglich um eine Neufassung der Sprachregeln und nicht um eine Reform.

Andrej Alechnowitsch
DW-RADIO/Russisch, 28.8.2006, Fokus Ost-Südost