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Politik

Zum Medizin-Studium nach Polen

Erik Albrecht
19. Dezember 2017

Zum Medizin-Studium ins Ausland? Für viele Deutsche ohne Spitzen-Abitur war das bisher der einzige Weg, Arzt zu werden. Das mussten sie sich aber leisten können.

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Deutschland Medizin Studium Studenten Anatomie-Hörsaal
Glücklich, wer in Deutschland ein Medizinstudium ergattert hatBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Der Seminarraum ist abgedunkelt. Ein Projektor wirft die schematische Darstellung eines menschlichen Arms an die Leinwand. Dozentin Aleksandra Gawrilowska erklärt seinen Aufbau. An zwei langen Tischen machen sich etwa 30 junge Leute eifrig Notizen. Anatomie-Unterricht für Erstsemester an der Pommerschen Medizin-Universität in Stettin. Die Unterrichtssprache ist Englisch. Rund die Hälfte der ausländischen Studierenden in Stettin kommt mittlerweile aus Deutschland.

"Ich habe einfach nicht den Schnitt, um in Deutschland zu studieren", sagt Aaron. Deshalb hat er sich direkt nach dem Abitur in Polen beworben. Seine Kommilitonin Luise wollte eigentlich in Deutschland auf ihren Studienplatz warten. In der Zwischenzeit arbeitete sie als Rettungssanitäterin, machte eine Physioausbildung und ein Pflegepraktikum. Mit 25 Jahren beschloss sie dann doch, ins Ausland zu gehen. "Keiner konnte mir sagen, ob ich noch zwei Jahre warte oder zweieinhalb oder drei", erinnert sich Luise. "Das war mir einfach zu unsicher. Ich wollte auch irgendwann mal anfangen."

Polen Medizin-Studium in Stettin
Ausländische Studenten an der Medizin-Universität von StettinBild: DW/Erik Albrecht

6,5 Jahre Wartezeit für einen Studienplatz

In Deutschland kommen derzeit fünf Bewerber auf einen Studienplatz in Humanmedizin. Deshalb regelt ein Numerus Clausus die Zulassung. Derzeit liegt der in den meisten Bundesländern bei einem Schnitt von 1,0. Das heißt, nur wer den herausragenden Abitur-Durchschnitt von 1,0 vorweisen kann, hat im ersten Anlauf eine Chance. Von insgesamt 9000 Medizin-Studienplätzen werden 20 Prozent an die jahrgangsbesten Abiturienten vergeben. Für 60 Prozent der Plätze wählen die Hochschulen selbst ihre zukünftigen Studierenden aus. Doch auch hier spielt die Abiturnote eine große Rolle.

Die übrigen Plätze erhalten diejenigen mit dem längsten Atem. 6,5 Jahre müssen Abiturienten ohne Spitzennote derzeit warten, um Medizin studieren zu können.

10.000 Euro Studiengebühren pro Jahr

Wer es sich leisten kann, studiert deshalb im europäischen Ausland. 10.000 Euro kostet das Medizin-Studium in Stettin pro Jahr. "Ohne Unterstützung durch die Eltern geht das nicht", sagt Luise. Sie sei mit einem schlechten Gewissen nach Polen gegangen, weil sie sich ihren Studienplatz erkauft habe. "Dabei sollte ich eigentlich ein Recht darauf haben zu studieren."

Polen Medizin-Studium in Stettin
Anatomie-Übung am virtuellen Seziertisch der Pommerschen Medizin-UniversitätBild: DW/Erik Albrecht

Natürlich könne bei so vielen Bewerbern nicht jeder Medizin studieren, sagen Aaron und Luise. Doch dass bei der Wartezeit nur die Abitur-Note zähle, während Erfahrung in medizinischen Berufen bislang unberücksichtigt bleibt, empfinden sie als ungerecht.

Patientenvisite mit Übersetzer

Zügig schreitet der Dekan über den Flur des Lehrkrankenhaus Pomorzany, eines von dreien der Pommerschen Medizin-Universität. Er selbst hat noch zu DDR-Zeiten in Rostock studiert. Heute kommen die Deutschen zu ihm.

Offene Türen geben rechts und links den Blick in Krankenzimmer frei. Ausländische Studierende behandeln hier, ihre Dozenten übersetzen. Das Polnisch der Studenten reicht meist nicht für eine fachgerechtes Gespräch mit dem Patienten. In Vierer-Gruppen funktioniere das gut, sagt Domański.

Studium in Polen, Praxis in Deutschland

Doch da die Zahl deutscher Studierender steigt, kooperiert seine Fakultät seit einigen Jahren mit dem deutschen Klinik-Konzern Asklepios. Das Modell: Medizinische Lehre in Stettin, die praktische Ausbildung in den Krankenhäusern des Konzerns jenseits der Grenze in Deutschland.

Hakenterrasse in Stettin Polen
Universitätsstadt Stettin: wer Geld hat kann sich hier den Traum vom Medizin-Studium verwirklichenBild: public domain

"Es ist schon etwas anderes, wenn man mit den Patienten direkt reden kann", sagt Leon Heinemann. "Dass man mal kurz zum Blutabnehmen geschickt wird, wäre in Polen gar nicht denkbar." Als Teil seines Studiums arbeitet er gerade in der Psychiatrie der Asklepios-Klinik  in der Kleinstadt Teupitz südlich von Berlin. Sein Kommilitone Thomas Heiduk will nach seinem Studium in Deutschland arbeiten. Durch die Kooperation könne er jetzt schon den deutschen Klinikalltag kennenlernen.

Kampf gegen Ärztemangel

"Deutschland bildet einfach nicht genug Ärzte aus", sagt Chefarzt Stefan Kropp. Auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund fordert seit langem mehr Studienplätze im Fach Medizin. Durch die Zusammenarbeit mit Stettin nimmt der Asklepios-Konzern das Problem selbst in die Hand.

Der NC sage nicht aus, ob jemand ein guter Arzt werde, sagt Kropp. Er selbst musste zu Beginn seiner Karriere zwei Jahre auf seinen Studienplatz warten. "Wir brauchen junge motivierte Ärzte auch ohne Einser-Abitur."

Ärztemangel auch in Polen

Dass deutsche Kliniken in Zeiten des Ärztemangels verstärkt Ärzte aus Osteuropa einstellen, sieht Kropp mit gemischten Gefühlen. Fachlich seien die Kollegen sehr gut. "Aber die Folge ist, dass in anderen Ländern auch Ärzte fehlen", sagt Kropp. "Da haben wir eine Verpflichtung."

Polen Medykow Ärzte Streik
Mit einem Hungerstreik haben polnische Assistenzärzte in diesem Jahr gegen schlechte Arbeitsbedingungen protestiertBild: picture-alliance/dpa/J.Bednarczyk

Der Stettiner Dekan Leszek Domański sieht seinen Medizin-Studiengang in Englisch deshalb auch als Beitrag, den Ärztemangel in Deutschland zu lindern. Er bilde gerne deutsche Ärzte aus. "Die werden den deutschen Ärztemarkt sättigen", hofft Domański. Polnische Ärzte könnten dann in Polen bleiben. In Polen fehlten doppelt so viele Ärzte wie in Deutschland. In diesem Sommer streikten auch in Stettin junge Mediziner für bessere Arbeitsbedingungen. 

Für  Deutschland ist der Umweg angehender Ärzte über Polen ein gutes Geschäft. Etwa 32.000 Euro würde jeder zusätzliche Medizinstudienplatz kosten. Im Ausland zahlen die Studierenden stattdessen selbst.