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Umweltjournalismus - potentiell tödlich

12. November 2020

Wer über Umweltzerstörung berichtet, ist vielerorts Drohungen, Gewalt, sogar Mord ausgesetzt. Besonders gefährdet sind indigene Medienschaffende aus der betroffenen Bevölkerung. Oft bleiben die Taten ungestraft.

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Interview auf einer Müllhalde in Nicaragua
Bild: DW Akademie/Charlotte Hauswedell

Shubham Mani Tripathi, Indien: erschossen im Juni 2020. Der Zeitungsreporter hatte über illegalen Sandabbau berichtet. Maria Efigenia Vásquez Astudillo, Kolumbien: die Radioreporterin wurde 2017 bei der Berichterstattung über den Protest Einheimischer tödlich verletzt. Joseph Oduha, Südsudan: floh 2019 nach Haft und Folter aus dem Land. Oduha brachte Umweltzerstörungen durch internationale Ölkonzerne ans Licht.

Drei Schicksale, über die die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) berichtet. Insgesamt kamen laut RSF in den vergangenen zehn Jahren 20 Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über Umweltzerstörung ums Leben.

Übergriffe in Amerika und Asien

Einschüchterungen und Schikanen gegen Umweltjournalistinnen und -journalisten gebe es zwar auch in Europa, etwa bei der Berichterstattung über den Hambacher Wald  oder über die Auswirkungen der intensiven Landwirtschaft in der Bretagne, sagt Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen der DW. Doch mehr als 65 Prozent der Übergriffe zählte RSF in Asien und Amerika.  

Indigene schwenken Fahnen auf einem Platz in Bogota bei ihrem Protest gegen zunehmende Übergriffe auf ihre Gemeinden
Angehörige indigener Völker protestieren in Kolumbiens Hauptstadt Bogota gegen die zunehmende GewaltBild: Fernando Vergara/AP Photo/picture-alliance

"Es gibt sie vor allem dort, wo es um Abbau von Rohstoffen oder Landnahme für die Landwirtschaft geht und wo sich Regierungen den Interessen der Industrie verpflichtet haben", so Dreyer. Weil auf noch nicht ausgebeuteten Rohstoffgebieten oder ungerodeten Waldflächen vielfach indigene Gemeinschaften lebten, seien lokale Community-Medien meist die ersten, die von Protesten der Gemeinschaften gegen Bergbau oder Rodungen berichteten. Und oft die einzigen.

Erfahren Sie mehr: Kampf für die Umwelt in Zeiten von Corona

"In manchen Ländern Lateinamerikas beispielsweise werden die großen, traditionellen Medien stark von den wirtschaftlichen und politischen Machteliten kontrolliert. Die berichten oft deswegen nicht über kritische Umweltthemen, weil diese nicht zu ihren Interessen passen." Und wenn Community-Medien diese Themen aufgriffen, würden sie stark unter Druck gesetzt, berichtet Dreyer.

Community-Journalismus unter Druck

Die Arbeit des Community-Journalismus sei extrem wichtig für die indigenen Gemeinschaften, sagt Kathrin Wessendorf, Geschäftsführerin der Internationalen Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten (IWGIA) im DW-Gespräch. "Jede indigene Gemeinschaft hat ihre eigene Sprache und in der berichten eben nur Community-Reporterinnen und -reporter. Sie wissen auch, wie man die Gemeinschaft am besten anspricht, um Nachrichten zu verbreiten", erläutert die IWGIA-Geschäftsführerin.

Teilnehmer des Studienganges "Umweltjournalismus" an der Universidad de Managua in Nicaragua in Zusammenarbeit mit der DW Akademie führen ein Interview
Lokalreporterinnen und Reporter berichten als erste über EreignisseBild: DW Akademie/Charlotte Hauswedell

Dass große nationale Medien oft nur schwerfällig reagieren, wenn es um Umwelt- und Menschenrechtsthemen geht, bestätigt Patricia Gualinga, Umwelt-, Menschen- und Indigenenrechtsverteidigerin aus Ecuador im Interview mit der DW. "Es ist wirklich sehr schwierig, Zugang zum Fernsehen zu bekommen. Aber wenn ein Thema nicht in den Medien ist, existiert es nicht."

Mit Morden gegen Umweltengagement 

Gualinga gehört den Kichwa-Indigenas von Sarayaku an. Die Gemeinde verklagte 2002 den Staat Ecuador beim Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil er das Territorium der Kichwa ohne Rückfrage für Ölbohrungen freigegeben hatte. Es folgten zahlreiche Einschüchterungsversuche, vor allem gegen Gualinga selbst, die die Kichwa vor Gericht vertrat. 2012 gaben die Richter der Gemeinschaft Recht und sprachen ihr 1,3 Millionen Dollar Schadensersatz zu.

Portrait Patricia Gualinga
"Journalismus schafft Sichtbarkeit", sagt Patrica Gualina, Sprecherin der Kichwa-GemeinschaftBild: DW/J. Alonso Gonzalbez

Wie sehr die Gewalt gegen Umweltaktivistinnen und - aktivisten gestiegen ist, zeigt ein Bericht der Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Global Witness von September dieses Jahres. Demnach wurden 2019 weltweit 212 Umweltschützer ermordet - die höchste Zahl von Morden, die Global Witness laut eigener Aussage jemals in einem einzigen Jahr verzeichnet hat.

Öffentlichkeit schafft Schutz

Um solche Verbrechen nicht nur sichtbar zu machen, sondern möglicherweise sogar zu vermeiden, brauche es den Journalismus, mahnt Kathrin Wessendorf. Hier hätten vor allem internationale Medien eine wichtige Verantwortung.

"Journalismus kann die mit Umweltzerstörung oft einhergehenden Menschenrechtsverletzungen an eine breite Öffentlichkeit bringen. Dies wiederum kann zu internationaler Solidarität führen und Regierungen oder Unternehmen unter Druck setzen."

Verbrannter Amazonas-Regenwald
Vielfach werden Brände im Amazonaswald absichtlich entfacht, um Flächen für Viehzucht und Futteranbau freizulegenBild: Reuters/U. Marcelino

Die Berichterstattung über die Brände im Amazonasgebiet sei ein gutes Beispiel dafür. Hier sei nicht nur über die Feuer berichtet sondern auch der Hintergrund von Brandrodungen für den Sojaanbau und der Umgang mit indigenen Völkern beleuchtet worden. Daraus hätten sich viele Unterstützungskampagnen entwickelt.

Erfahren Sie mehr: Illegale Abholzung im brasilianischen Amazonasgebiet nimmt drastisch zu

"Internationale Solidarität ist sehr wichtig für die Menschen vor Ort. Wenn sie wissen, dass sie nicht mehr alleine sind, dass sie sichtbar sind und von anderen unterstützt werden, hilft das auch gegen die Angst", bestätigt Patricia Gualinga.

Tierra de Resistentes: Dokumentation der Gewalt

Welche Rolle der Journalismus in Fragen von Umweltschutz und Menschenrechten einnehmen kann, diskutierte Gualinga gemeinsam mit Medienschaffenden aus Lateinamerika auf dem jüngsten Global Media Forum der DW.

Zusammenfassung der Diskussion beim Global Media Forum (englisch) Ebenfalls bei der Diskussion dabei: Andrés Bermúdez Liévano, Journalist aus Kolumbien und einer der Herausgeber von"Tierra de Resistentes", zu deutsch: "Land der Widerständigen". Das investigative Datenjournalismus-Projekt wurde von der kolumbianischen Journalisten-Vereinigung "Consejo de Redacción" mit Unterstützung der DW Akademie ins Leben gerufen.

Schwarz-weiß Portrait von Andrés Bermúdez Liévano
Andrés Bermúdez Liévano, Mitherausgeber von "Tierras de Resistente"Bild: privat

Journalistinnen und Journalisten aus zehn verschiedenen Ländern dokumentieren die Schicksale der zahlreichen bedrohten und getöteten Umweltaktivistinnen und -aktivisten in Lateinamerika. Fast 2400 Fälle wurden bisher zusammengetragen. In manche haben sich mittlerweile UN-Organisationen eingeschaltet.

Hier geht es zum Projekt Tierra de Resistentes

"Erst mit diesem länderübergreifenden Projekt wurde uns klar, wie groß das Problem der Gewalt und Einschüchterung wirklich ist und dass vor allem ethnische Minderheiten davon betroffen sind", erzählt Andrés Bermúdez Liévano der DW im Interview.

Andrés Bermúdez Lievano interviewt ein Mitglied der Shuar Gemeinde in Süd-Ecuador
Bei seinen Reportagen schützt Andrés Bermúdez Lievano (r.) nicht nur seine Interviewpartner sondern auch sich selbstBild: Privat

Klar wurde auch, wie wenig von offizieller Seite dagegen getan wird. Nur in zwölf Prozent aller dokumentierten Fälle kamen die Angriffe vor Gericht. Und in gerade einmal zehn Einzelfällen bekamen die Opfer Recht zugesprochen. Besonders schockierend, so Bermúdez: "In mehr als der Hälfte der Fälle waren staatliche Behörden im Vorfeld von Aktionen gegen Umweltschützer informiert."

Gemeinsam ist man stärker

Quellenschutz steht deswegen an erster Stelle für die Mitarbeitenden bei "Tierra de Resistentes". Auch die Berichtenden selbst gehen bei ihrer Arbeit sehr vorsichtig vor, erzählt Bermúdez: "Es gibt bestimmte Gebiete, aus denen wir uns jede Stunde in der Redaktion melden, damit alle wissen, wo wir sind und ob alles in Ordnung ist. Wir geben vorab unsere Route durch, wann wir mit wem verabredet sind und ob sich daran etwas geändert hat."

Zusammenschluss, Netzwerke und öffentliche Sichtbarkeit als Schutz gegen Übergriffe - was für Engagierte im Umweltschutz gilt, sollten auch Journalistinnen und Journalisten beherzigen. Denn wenn sie Angst haben müssten, über Missstände zu berichten, werde dies fatale Folgen haben, warnt Reporter ohne Grenzen: Gehe die Berichterstattung über Umweltthemen zurück, schreite die Umweltzerstörung fort. 

Blei im Blut

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen