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UN-Gipfel der Enttäuschungen

Barbara Wesel, z.Z. Istanbul24. Mai 2016

Es war der erste "Nothilfegipfel" der Vereinten Nationen. Doch am Ende des Treffens im türkischen Istanbul sind fast alle ernüchtert. Akteure und Äußerungen, zusammengetragen von Barbara Wesel in Istanbul.

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Ban und Kinder auf der Bühne (Foto: Reuters/O. Orsal)
Bild: Reuters/O. Orsal

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon:

Er wollte die Weltordnung neu formen und das Hilfsbudget der Vereinten Nationen verstetigen. Am Ende aber war Ban Ki Moon enttäuscht, dass fast alle G7-Regierungschefs seinen Anliegen die kalte Schulter zeigten. "Von den großen Geberländern war nur Angela Merkel da", dabei sei weltweit das Ausmaß an Leid heute einmalig, schlimmer als je seit Gründung der UN. Sein Wunsch nach einem deutlich aufgestockten jährlichen Hilfsetat bleibt also zunächst ungehört. Vertreter aus 173 Ländern waren nach Istanbul gekommen, Tausende von Delegierten und 55 Staats- und Regierungschefs - die großen Nationen jedoch fehlten.

Gastgeber Recep Tayyip Erdogan:

Der türkische Präsident lobte einmal mehr die unbestrittene Großzügigkeit seines Landes bei der Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge. Und er kritisierte die Weltgemeinschaft für einen angeblichen Mangel an Mitgefühl: "Wir müssen angesichts des Leids der Flüchtlinge das Gewissen der Welt wecken."

Dann aber nutzte er das Forum erneut, um der EU wegen des Abkommens zur Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland zu drohen: Ohne Fortschritte bei den Gesprächen über den visafreien Reiseverkehr werde das türkische Parlament das entsprechende Gesetz zur Rücknahme nicht ratifizieren.

Was sagen Gipfel-Teilnehmer über die Ergebnisse? DW sprach mit einigen der Nichtregierungsorganisationen in Istanbul:

Flüchtlingsboot (Foto: picture-alliance/AA/B. Akay)
Erdogan will ohne Visafreiheit für Türken keine Flüchtlinge zurücknehmenBild: picture-alliance/AA/B. Akay

Emma Sinclair-Webb, Human Rights Watch:

"Die Türkei hat viel mehr getan als die EU bei der Aufnahme von Flüchtlingen, das muss man anerkennen. Was wir aber jetzt sehen ist, dass die Grenzen nach Syrien effektiv geschlossen sind. Wir haben dokumentiert, wie Menschen versucht haben, nach Bombardements oder nach IS-Angriffen zu fliehen, und sie konnten nicht über die Grenze kommen. Andere wurden sogar zurückgeschoben, und auf einige wurde geschossen, dabei gab es auch Todesopfer. Unsere Recherchen beziehen sich auf einen Abschnitt der Grenze (nahe Aleppo), aber wir befürchten, dass es an anderen Abschnitten der türkisch-syrischen Grenze ähnlich aussieht.

Was die Türkei im Inneren angeht, sind wir sehr besorgt über die Lage im Südosten des Landes. Sie treten als Gastgeber eines UN-Gipfels auf, aber es gibt große interne Vertreibungen im Südosten. Anti-Terror- Einsätze (in von Kurden bewohnten Gebieten) haben die Bevölkerung ganzer Ortschaften in die Flucht getrieben. Wenn wir Zahlen des Gesundheitsministeriums hochrechnen, gibt es mindestens eine halbe Million Binnenflüchtlinge. Und die internationale Gemeinschaft wie auch die EU haben dies weitgehend ignoriert."

Wolfgang Jamann, Generalsekretär von Care International

"Beim Thema Geschlechtergleichheit und Frauen in Krisensituationen hat sich die humanitäre Welt etwas bewegt. Es gibt auch einige konkrete Ergebnisse: So haben die USA zum ersten Mal zehn Millionen Dollar zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen versprochen. Viele haben hier versucht, so konkret wie möglich zu sein, auch Länder wie die Türkei und die Arabischen Emirate, wo es große Probleme mit der Benachteiligung von Frauen gibt.

Einige nordische Länder haben starke Erklärungen abgegeben, etwa für gefahrenfreie Abtreibungen, das ist etwas Neues. Oder die Stellungnahme des irischen Präsidenten, der in harten Worten Gewalt gegen Frauen verurteilte und sie inakzeptabel nannte.

Ich sehe mehr Interesse an diesem Thema, selbst gegenüber den Vorbereitungsmonaten, als man Geschlechtergerechtigkeit noch nicht als "gipfelwürdig" ansah. Jetzt muss natürlich konkrete Aktion folgen, aber Frauen und ihre Anliegen sind keine Nebensache mehr."

UN-Hilfskonvoi (Foto: Getty Images/AFP/O.-H. Kadour)
Ban tritt für eine Verstetigung humanitärer Hilfe weltweit einBild: Getty Images/AFP/O.-H. Kadour

Simon Adams, Globales Zentrum für die Verantwortung zum Schutz:

"Angriffe gegen Schulen und Krankenhäuser sind die neue Normalität geworden. Das dürfen Regierungen nicht tolerieren, und deshalb war der Gipfel wichtig. Einige Staaten sind hier aufgestanden und haben sich zur Einhaltung der humanitären Rechte bekannt - zu ihnen gehört auch Angela Merkel. Auf UN Ebene hat man viel zu lange über Decken und Verbände geredet, jetzt stehen auch Konfliktprävention und ein Frühwarnsystem auf der Tagesordnung. Schließlich sind 80% der Hilfsbedürftigen derzeit Opfer von bewaffneten Konflikten – es muss mehr Geld und politischer Wille investiert werden, um sie zu beenden und ihnen vorzubeugen.

Es geht auch um Verantwortlichkeit: Russland und China haben im UN-Sicherheitsrat die Resolution blockiert, mit der Syrien an den Internationalen Gerichtshof verwiesen werden sollte. Dort könnten die Kriegsverbrechen aller Seiten geahndet werden. So aber wird diese Verantwortung umgangen. Wir müssen mehr tun, die Täter zur Verantwortung zu ziehen und die Bevölkerung zu schützen. Der Gipfel war nur ein Anfang."