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Politik

"Großer Schritt für die Demokratisierung "

Dirke Köpp | Frejus Quenum
21. Februar 2019

War der Sieg Félix Tshisekedis bei den Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Republik Kongo Ende Dezember fair? Die DW sprach darüber mit der UN-Sondergesandten für den Kongo, Leila Zerrougui.

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Félix Tshisekedi hält bei seiner Amtseinführung eine Ausgabe der Verfassung in die Höhe
Kongos Präsident Félix Tshisekedi bei seiner AmtseinführungBild: picture-alliance/AP Photo/J. Delay

DW: Frau Zerrougui, wie ist Ihr Blick auf die Wahlen, die Ende 2018 in der Demokratischen Republik Kongo stattgefunden haben?

Leila Zerrougui:  Es war die erste Abstimmung, bei der die Präsidentschafts-, Parlaments- und Provinzwahlen kombiniert wurden – eine Anstrengung geradezu titanischen Ausmaßes! Die Demokratische Republik Kongo ist ein ganzer Kontinent. Ein Land, in dem die Bevölkerung überall verteilt ist, es aber keine Infrastruktur gibt. Es gibt kein zentrales Melderegister, keine Datenbanken, auf die man zurückgreifen könnte. Schon allein daher sage ich, dass es ein Erfolg war. Die Kongolesen sind außerdem ruhig geblieben und haben sich extrem reif verhalten.

Manche meinen, sie seien um ihren Wahlsieg betrogen worden. Andere meinen, ihr Sieg sei anerkannt worden. Und doch haben sie am Wahltag Geduld bewiesen: in den Warteschlangen und da, wo es technische Probleme gab. Es hat kaum Gewalt gegeben. Es hat keine großen technischen Probleme gegeben. Ich sage nicht, dass es perfekte Wahlen waren. Aber ich finde dass man, trotz allem was man infrage stellen kann, von einem Fortschritt für den Aufbau eines Demokratisierungsprozesses sprechen kann. Aber das schließt nicht aus, dass es Kritik gibt, dass es Dinge gibt, die nicht gut gelaufen sind. Aber wir sollten im Blick haben, welchen Fortschritt im Aufbau der Demokratie und des Rechtsstaats dieses große Land Afrikas gemacht hat. Das ist schon etwas!

Sie sind also im Großen und Ganzen mit dem Ablauf der Wahl zufrieden. Sind Sie auch mit den Ergebnissen zufrieden? Immerhin sagen die Koalition Lamuka und ihr Kandidat Martin Fayulu, dass man ihnen den Wahlsieg gestohlen habe. Diese Ergebnisse sind von der kongolesischen Bischofskonferenz Cenco bestätigt worden.

Die Vereinten Nationen waren weder in den Wahlprozess noch in die Organisation der Wahl eingebunden. Wir hatten ein Mandat, logistisch und technisch zu unterstützen. Wir waren auch nicht in die Auszählung der Stimmen eingebunden, hatten keinen Auftrag, diese zu zertifizieren oder zu beobachten. Wir haben nicht genug Informationen, um sagen zu können: Der oder der hat gewonnen.

Leila Zerrougui
Leila Zerrougui, UN-Sondergesandte für den Kongo Bild: picture-alliance/epa/M. Trezzini

Es gibt natürlich die Wahrnehmung, und es gibt das, was die katholische Bischofskonferenz verkündet hat. Aber die Bischofskonferenz hat nicht alle Wahlzettel gezählt; sie haben beobachtet. Sie haben verkündet, dass auf Basis von fünf Millionen Stimmen, von denen sie Kenntnis hatten, einer der Kandidaten gewonnen habe. Sie haben sich dabei nicht explizit auf den Kandidaten der Lamuka [Martin Fayulu] bezogen – aber alle haben verstanden, dass er gemeint ist. Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Kandidat der Lamuka populär ist. Aber ob die Zahlen, die verkündet wurden, mit den echten Zahlen übereinstimmen, das weiß ich nicht. Eines ist klar: Die Kongolesen wollten eine politische Veränderung! Einen Wechsel an der Staatsspitze. Und als dieser Wechsel dann stattgefunden hat, hat es keine gewaltsame Reaktion gegeben – wahrscheinlich auch, weil es etwas völlig Unerwartetes war.  

Stabilität scheint der UN-Mission im Kongo wichtig zu sein. Aber was antworten Sie Martin Fayulu, der fordert, dass die Stimmen neu ausgezählt werden und an die internationale Gemeinschaft appelliert, die Legitimität der kongolesischen Institutionen nicht anzuerkennen?

Das ist sein gutes Recht. Er hat mir das auch gesagt, als wir uns getroffen haben. Er ist ein Oppositioneller, der sagt, dass er die Wahlen gewonnen habe und dass die Ergebnisse nicht mit der Realität übereinstimmten. Er hat das Recht, dagegen alle juristischen Mittel einzulegen. Meine Rolle ist es, Frieden und Ruhe in ein Land zurückzubringen, in dem es überall ruckelt. Meiner Ansicht nach stellt der politische Wechsel einen Fortschritt dar. Wenn die Opposition sich organisiert, eine positive Rolle spielt, sich auf die nächsten Wahlen vorbereitet – sofern diese in fünf Jahren stattfinden, nicht gestört und nicht angefochten werden und wir den Beginn eines wirklichen Regierungswechsels erleben - dann haben Lamuka und Martin Fayulu dazu beigetragen. Ohne ihn und seine Partei hätten wir diesen Fortschritt nicht.

Sie raten ihm also, sich zu beruhigen und in fünf Jahren zur Wahl wieder da zu sein?

Nein, das sage ich nicht. Und es ist auch nicht an mir, der Opposition zu sagen: Tut dieses und lasst jenes. Ich evaluiere einen Prozess, und ich sage, dieser Prozess hat Mängel, er ist nicht perfekt. Dieser Prozess hat aber einen Regierungswechsel ermöglicht. Jetzt müssen die Kongolesen weiterarbeiten, um eine richtige Demokratie aufzubauen. Man braucht dafür eine Opposition, die eine Rolle spielt, die nicht abgelehnt wird, die man nicht hindern darf zu demonstrieren, sich auszudrücken und ihre Positionen zu verteidigen. Die einen Platz im Parlament und ein Programm hat. Das ist wichtig. Wenn wir das im Kongo erreichen, ist viel erreicht. Heute sehen wir, dass Fayulu demonstriert, dass er den Präsidenten in Frage stellt – und dass sogar das staatliche Fernsehen diese Bilder sendet, dass er reden darf, ohne dass die Polizei eingreift. Sind wir uns eigentlich bewusst, was das für den Kongo bedeutet? Ich als UN-Sondergesandte schaue mir diesen Fortschritt im Ganzen an. Ich streite die Legitimität der Forderungen von Lamuka oder Fayulu nicht ab. Aber da wir im Kongo sind, um langfristige Stabilität zu garantieren, sage ich: Dies sind vielleicht die ersten Schritte im Aufbau einer Demokratie.

Katholische Bischöfe des Kongo bei einer Pressekonferenz
Kongos einflussreiche katholische Kirche hält Martin Fayulu für den WahlsiegerBild: Getty Images/AFP/J.D. Kannah

Und doch hängt durch die Berichte über einen mutmaßlichen Geheimvertrag zwischen Ex-Präsident Kabila und Félix Tshisekedi ein Schatten über dieser Präsidentschaft von Félix Tshisekedi. Stört der diesen Demokratisierungsprozess nicht? Umso mehr, als der neue Präsident sich derzeit noch auf dieselben Minister stützt wie sein Vorgänger.

Man muss Herrn Tshisekedi Zeit geben. Er hat noch nicht einmal seine Regierung. Man muss sich ein bisschen gedulden und schauen, was passiert. Die Koalition, die den Kandidaten von Joseph Kabila [Emmanuel Ramazani Shadary] unterstützt hat, besteht aus 67 Parteien – schauen wir mal, wie die politische Landschaft sich konstituieren wird, welche Koalitionen in den kommenden Monaten geschmiedet werden. Erst dann werden wir wissen, wer Regierungschef wird.

Präsident Tshisekedi hat angekündigt, dass er mit der Koalition um Kabila, zusammenarbeiten wird. Wird sich die UN-Mission MONUSCO der Stabilität des Kongo wegen nicht dagegen aussprechen?

Aber ist es denn die Rolle der MONUSCO, sich dem entgegenzustellen? Haben wir dass Recht, den Kongolesen, die friedlich darauf warten, was ihr neuer Präsident und ihre Volksvertreter tun werden, zu sagen, was sie tun sollen? Wir sind dafür da, Prozesse zu unterstützen, die der Stabilisierung dienen. Wenn die Kongolesen mehrheitlich etwas befürworten, warum sollte die internationale Gemeinschaft sich dem entgegenstellen? Das "S" in MONUSCO steht für Stabilisierung. Wir sind im Kongo, um den Menschen in einem Land zu helfen, in dem es fürchterliche Dinge gegeben hat. Wenn die Kongolesen einverstanden sind und wenn keiner verhaftet, bestraft oder sanktioniert wird, wenn der Prozess vorangeht, dann können wir ihn nur unterstützen. Dafür wird Ende März unser Mandat hoffentlich verlängert. Wenn aber der UN-Sicherheitsrat uns sagt: Sprecht nicht mit der Regierung, sondern zieht alle Blauhelme ab und geht nach Hause, dann gehen wir eben nach Hause.

Die algerische Juristin Leila Zerrougui ist seit Dezember 2017 UN-Sondergesandte für die Demokratische Republik Kongo und Leiterin der UN-Mission MONUSCO.

Das Interview führten Dirke Köpp und Fréjus Quenum.