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... und die Großen lässt man laufen

Gudrun Heise
30. Mai 2017

Noch immer gibt es kein Verbot für Tabakwerbung und mehr Polizeiermittlung bedeutet nicht weniger Drogenkriminalität, kritisiert der Alternative Drogen- und Suchtbericht 2017. Ein bisschen Positives gibt es aber auch.

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Symbolbild Drogenkonsum
Bild: picture alliance/APA/picturedesk.com/H. Fohringer

Der Alkoholkonsum ist zurückgegangen. Das "Koma-Trinken" unter jungen Leuten hat abgenommen. "Natürlich gibt es nach wie vor Rauschtrinken", so Heino Stöver von akzept e.V. – dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, der den Alternativen Drogenbericht verfasst hat. "Der Trend scheint aber erst einmal gebrochen. Es gibt aber auch nicht den Jugendlichen, der nur mal am Alkohol nippt. Bei vielen geht es um die Wirkung von Alkohol", sagt Stöver. Bei Erwachsenen hingegen stehe beim Alkoholkonsum eher der Geschmack und der Genuss im Mittelpunkt. 

Deutschland sei nach wie vor ein Hochkonsumland. Das bestätige auch eine neuere Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA. Demnach ist der Alkoholkonsum bei Erwachsenen und bei Jugendlichen im letzten Jahr allerdings zurückgegangen.

Schlechte Noten für Deutschland 

Beim Rauchen schneidet Deutschland nicht gut ab. Der Tabakatlas bringt es an den Tag: Im Ranking der europäischen Tabakkontrollpolitik steht Deutschland auf dem vorletzten Platz, England hingegen auf Platz Eins. Was machen die Engländer anders als die Deutschen? Zunächst einmal gibt es auf der Insel keine Zigarettenautomaten - hierzulande hingegen stehen etwa 300.000. Außerdem gibt es in Deutschland noch immer kein Werbeverbot für Tabakprodukte. Das ist einer der Hauptkritikpunkte von "akzept" an der Politik der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler. Sie hätte schon längst handeln müssen, so der Verband.

Der Tabakatlas beschreibt die jeweilige Tabakpolitik und -strategie der einzelnen Länder und bewertet die internationalen Vorgaben in der sogenannten "Framework convention for tobacco control". Darin sind verschiedene Regulationsmechanismen aufgeführt. Auch Deutschland hat sich dazu verpflichtet, die Vorgaben einzuhalten, die der Tabakatlas kontrolliert und beobachtet. 

Cannabis Pflanze Marihuana
Im Januar 2017 stimmte die Bundesregierung für die Einführung von Marihuana auf RezeptBild: Fotolia/Unclesam

Als eindeutig positiv sieht der Alternative Drogen- und Suchtbericht das neue Gesetz zu Cannabis als Medizin. Es sei ein Reflex der Bundesregierung auf die zunehmende Zahl von Klagen, die Konsumenten eingereicht hatten und die in einem rechtlich unsicheren Raum belassen worden seien. Dazu gehören Schmerzpatienten und Menschen mit anderen schwerwiegenden Belastungen. "Cannabis ist eben nicht nur eine Droge, sondern auch eine Medizin. Das ist verschüttet gegangen, jetzt wurde die therapeutische Wirkung wiederentdeckt."

Das größte Sorgenkind

Laut Alternativem Drogen- und Suchtbericht ist die Anzahl der Drogentoten 2016 zum vierten Mal in Folge um etwa neun bis zehn Prozent höher als im Vorjahr. Auch die Rauschgiftdelikte, die polizeilich ermittelt wurden, sind weiterhin angestiegen und liegen bei einem neuen Höchststand von 302.000 im letzten Jahr. 80 Prozent seien sogenannte Konsumdelikte oder konsumnahe Delikte, bei denen es um Rauschgift für den Eigenbedarf gehe, so Heino Stöver. "Wir lagen vor 10 Jahren noch bei einem Anteil von 60 Prozent an konsumnahen Delikten. Mittlerweile liegen wir bei 80 Prozent. Die Hälfte davon sind Jugendliche und Heranwachsende."

Junge Leute würden durch polizeiliche Ermittlungen stigmatisiert, abgestempelt als Kiffer, als Junkies oder Fixer. Dealer aber werden nur selten gefasst. "Ein Dealer fragt nicht, ob man schon 18 Jahre alt und sich sicher ist, dass man die Drogen kaufen will", sagt Stöver. Durch die Prohibition  werde das Geschäft weiter befeuert und befördert, sodass die Dealer Höchstpreise nehmen können. Verbote seien kontraproduktiv.

Crystal Meth Konsumenten
Der Konsum von Crystal Meth zeigt schon nach kurzer Zeit verheerende FolgenBild: Tim Sloan/AFP/Getty Images

Auch der Umgang mit synthetischen Drogen ist nach wie vor akut. Für eine wirkungsvolle Strategie hält Stöver hier das Drug-Checking. Berlin und Hessen wollen dieses Modell jetzt umsetzen: Pillen könnten so auf ihre Inhaltsstoffe getestet werden, auf die Zusammensetzung und Reinheit. "Das wäre ein sehr, sehr sinnvolles Vorgehen." Auch beim Konsum der Designerdroge Crystal Meth setzen Stöver und akzept e.V. auf Aufklärung und Schadensbegrenzung. Welche Schäden können bei unsachgemäßer Herstellung auftreten? Kann man weitere Schäden vermeiden? "Das ist ein Diskurs, der noch nicht einmal begonnen wurde", kritisiert Stöver die Arbeit der Bundesdrogenbeauftragten.

Neu ist Crystal Meth nicht. Im Zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Namen Pervitin an Soldaten gegeben, um sie nahezu unbegrenzt leistungsfähig zu halten. 36 Stunden ohne Schlaf waren keine Seltenheit. Und dieser Stoff habe in der Leistungsgesellschaft offenbar wieder eine neue Bedeutung erlangt, gibt Stöver zu bedenken.

Suchtforscher Heino Stöver Fachhochschule Frankfurt
Stöver: Drogen müssen in sicherem und sauberem Umfeld konsumiert werden könnenBild: Fachhochschule Frankfurt

Dringende Maßnahmen

Mehr Räume, in denen Drogen unter hygienischen Bedingungen konsumiert werden können, müssten eingerichtet werden. Das ist einer der Vorschläge von akzept. "Wir haben 24 Drogenkonsumräume in Deutschland, aber nur in sechs 6 Bundesländern. Die anderen zehn Bundesländer haben noch nicht einmal die rechtliche Grundlage dafür erarbeitet", warnt Stöver.

Außerdem solle jeder Haushalt, in dem ein Drogenabhängiger lebt, über ein Antidot verfügen. Das ist eine Substanz, die ein Gift inaktiviert oder zumindest die Wirkung herabsetzt. Naloxon ist eine solche Substanz. "Es gibt sie in der Notfallmedizin. Es bringt die Heroinwirkung sofort auf null, reißt das Opioid vom Rezeptor und die Menschen werden sofort nüchtern und klar."

Die Zunahme am Drogenkonsum sei unabhängig von polizeilichen Aktivitäten gestiegen, so die Verfasser des Alternativen Drogen- und Suchtberichts. Er zielt darauf ab, sich mehr Gehör zu verschaffen und  eine sachliche Debatte zu führen. "Wir wollen eine evidenzbasierte Drogenpolitik, die sich an wissenschaftlichen Fakten orientiert, statt an parteipolitischen Glaubenssätzen." Solange das nicht der Fall sei, werde man nicht müde, Gegenöffentlichkeit aufzubauen.

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