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Francesco Bandarin: "Palmyra wird nicht zu Disneyland"

Elizabeth Grenier / js3. Juni 2016

Jene, die behaupten Palmyra laufe Gefahr zu einer Art Disneyland zu werden, haben keine Ahnung, meint Francesco Bandarin von der UNESCO und weist damit die Kritik der Historikerin Annie Sartre-Fauriat zurück.

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Palmyra Syrien UNESCO Welterbe. (Foto: picture-alliance/dpa/V.Sharifulin)
Bild: picture-alliance/dpa/V.Sharifulin

Mitte dieser Woche führte die Deutsche Welle ein Interview mit der Historikerin Annie Sartre-Fauriat, die darin Russlands Position in Palymra harsch kritisierte: Sie befürchtet, dass die Welterbestätte unter russischem Einfluss zu einer Art Disneyland werden könnte. Die Reaktion der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, folgte prompt: Man bat um ein Gegeninterview.

Noch bis zum 4. Juni tagt in Berlin eine Syrien-Konferenz unter der Leitung der UNESCO, bei der es um die Zukunft der Welterbestätten, wie Palmyra, gehen soll. Die Deutsche Welle traf dort Francesco Bandarin, stellvertretender Direktor der UNESCO, zum Interview.

Deutsche Welle: Herr Bandarin, wie hat der aktuelle technische Einsatz der UNESCO dazu beigetragen, eine konkrete Strategie für die Erhaltung und den Wiederaufbau Palmyras zu entwickeln?

Francesco Bandarin: Von einem technischen Einsatz zu sprechen, ist verfrüht. Der hätte viel mehr Zeit beansprucht. Wir haben vier unserer Experten zur syrischen Welterbestätte entsandt, um schnell eine grobe Einschätzung zu bekommen, damit wir Prioritäten für unser weiteres Vorgehen setzen können. Wir haben noch keine vollständige Übersicht über das Ausmaß des Schadens. Die Situation sei immer noch sehr kritisch, meldete die Delegation zurück.

Die Stadt wird immer noch von Minen gesäubert. Die Sicherheitslage bietet momentan keinen Handlungsspielraum. Wir können keine Menschen in ein Gebiet schicken, in dem die Armee noch Minen entschärft. Die humanitäre Lage hat natürlich Vorrang. Wir wollen nicht mit irgendetwas anfangen, bevor kein urbanes Leben in die Stadt zurückgekehrt ist. Derzeit wohnt niemand mehr in dieser Stadt. Sie wurde komplett zerstört und alle sind geflohen.

Palmyra Zerstörung des Baal-Tempel, Satellitenaufnahmen UN 1.9.15 (Foto: picture-alliance/dpa)
Trotz der Satellitenaufnahmen ist der Ausmaß der Zerstörung nicht bekannt.Bild: picture-alliance/dpa

"50.000 Menschen wurden vertrieben"

Wir kamen daher zu dem Schluss, dass wir erst mal dafür sorgen wollen, dass soziales Leben in die Stadt zurückkehrt. Erst danach können wir darüber entscheiden, wie wir den Wiederaufbau der Welterbestätte angehen. Einige Vorhaben können wir prioritär behandeln, aber wir müssen uns auf jeden Fall erst einmal einen Überblick über die Situation verschaffen. Bis heute weiß niemand etwas Konkretes.

Einige [Experten] haben den Zustand der Tempelanlagen und der Gräber begutachtet, aber niemand hat Ausmaß und Art der Zerstörung näher geprüft. Es ist sehr wichtig, zu untersuchen, welcher Sprengstoff eingesetzt wurde, wo er eingesetzt wurde und welchen Schaden er angerichtet hat. All diese Dinge können wir nicht anhand von Bildern beurteilen.

Sobald das Militär die Minenräumung beendet hat, müssen wir entscheiden, wie wir die Welterbestätte schützen können.

Welche Position vertritt die UNESCO gegenüber Russland, das ein Militärlager in der Nähe der antiken Ruinen errichtet hat?

Wir werden mit der Problematik des russischen Lagers leben müssen. Es kam für uns sehr überraschend, weil wir darüber nicht informiert waren. Es ist sehr schwierig, einer Armee, die ihre Arbeit verrichtet, zu sagen, dass sie aufhören soll. Man sagte mir - wir müssen das noch überprüfen -, dass es sich um keine Militärbasis mit militärischer Ausrüstung handelt, sondern im Wesentlichen ein Camp für die Minenräumer sei. Das hat nicht die gleichen Auswirkungen auf die Stätte wie Panzer oder Kanonen. Trotzdem meinen wir immer noch, dass dieses Lager nicht dort sein sollte. Die Armee hat es mit wenig Sorgfalt errichtet und dabei eher improvisiert. Es soll mit Sicherheit nicht dort bleiben.

Francesco Bandarin UNESCO (Foto: UNESCO)
"der Wiederaufbau zieht sich immer über Jahre hin", so Bandarin.Bild: UNESCO

Also ist die UNESCO nicht in der Lage einzugreifen und Russland zu sagen, wie mit der Welterbestätte zu verfahren sei?

Doch, wir sind schon in der Lage einzugreifen und mit Russland zu diskutieren. Wir konnten sie aber nicht aufhalten, als sie das Camp errichteten, weil - so leid es mit tut-, wir haben eben keine Bodentruppen. Unser Sitz ist in Paris, wir haben Büros in Beirut und wir sind eine Experten-Organisation und keine militärische Kraft. Manchmal überschätzen die Menschen unseren Einfluss und geben mir das Gefühl, ich sei Supermann!

Konzert war Öffentlichkeits-Coup

Was ist mit dem Konzert, das die Russen Ende März organisiert haben, kurz nachdem Palmyra wieder unter der Kontrolle des Assad Regime war?

Das war eine Aktion für die Öffetlichkeit, ganz offensichtlich. Wir waren selbst nicht vor Ort. Die Russen haben Palmyra "befreit" und sie wollten, dass die Welt das erfährt. Aber lassen Sie uns über ernste Dinge reden. Die Feierlichkeiten nach Ende des Konflikts sind vorbei - lassen Sie uns zum Wesentlichen kommen.

Wie würden Sie die jetzige Rolle Russlands in Palmyra beschreiben? Haben sie eine Führungsposition?

Wenn wir über die militärische Situation sprechen, so gehe ich davon aus - ohne ein militärischer Spezialist zu sein -, dass die Russen eine führende Rolle spielen, da sie die syrische Armee unterstüzen. Aber ich glaube nicht, dass man die gleichen Schlüsse bezüglich der archäologischen Stätte ziehen darf. Die Russen haben keine Führungsrolle in Palmyra, da sie sich auf uns beziehen.

Sie sind heute hier auf der Konferenz, zusammen mit den Westeuropäern und den Syrern. Das wird eine sehr interessante Konferenz, da wir zum ersten Mal alle Akteure zusammengebracht haben, die sonst wegen ihrer politischen Differenzen noch nicht einmal miteinander sprechen. Wenn es aber darum geht, sich auf das Weltkulturerbe zu konzentrieren, legen sie die Differenzen beiseite und sind alle hier.

Ein zersplittertes Land

Wer hat also die Autorität über die Verwaltung der historischen Stätten in Syrien?

Syrien ist leider kein Land, in dem Frieden herrscht. Zu sagen, dass jemand die Autorität auf diesem Gebiet hätte, wäre übertrieben. Syrien ist ein zersplittertes Land. Die einzelnen Gebiete werden von verschiedenen Akteuren kontrolliert: der syrischen Regierung, den Kurden im Norden oder von den Oppositionsgruppen in Bosra. Aber für uns also UNESCO ist das nicht der wichtigste Aspekt. Wir beschäftigen uns mit dem Denkmalschutz. Als internationale Organisation sind uns Grenzen gesetzt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen nach Bosra fahren kann. Aber wir werden jeden unterstützen, dem am Erhalt Bosras als Weltkulturerbe gelegen ist.

Baschar al-Assads Krieg hat auch im Land dazu beigetragen, die Welterbestätten zu beschädigen. Wie ist die Zusammenarbeit mit Syrien bezüglich dieses Themas?

Lassen Sie uns ein paar Dinge klarstellen: Wir arbeiten nicht mit der syrischen Regierung zusammen. Das ist Aufgabe der Politiker. Wir arbeiten mit der Abteilung für Altertümer zusammen, die sich mit den kulturellen Welterbestätten beschäftigt. Diese Menschen nehmen ihre Aufgabe nicht nur sehr ernst und sind sehr professionell, sondern sie sind auch sehr mutig, riskieren ihr Leben jeden Tag, um weitere Zerstörung zu vermeiden. Es ist schließlich ein Kriegsgebiet.

Palmyra vor und nach ISIS (Foto: Getty Images/AFP/J. Eid)
Palmyra vor und nach dem Angriff des sogenannten Islamischen StaatsBild: Getty Images/AFP/J. Eid

Es gibt verschiedene Vorschläge hinsichtlich der antiken Ruinen von Palmyra. Einige finden, dass eine sorgfältige Rekonstruktion auch in Hinblick auf eine Gedenkstätte sinnvoll wäre; andere befürchten, dass so die Authentizität verloren ginge und die Kulturstätte eine Art Disneyland werden würde. Was ist die Vision der UNESCO für Palmyra?

Wir vertreten diesbezüglich einen sehr seriösen, technischen Ansatz. Wir können nicht wissen, was einst aus Palmyra werden wird. Wir entwickeln jetzt erst einmal Notmaßnahmen. Wir sprechen hier nicht darüber, es für Touristen zugänglich zu machen. Touristen werden jetzt nicht nach Palmyra kommen, ich bitte sie, es ist ein Kriegsgebiet! Derzeit besteht keine Gefahr, dass Palmyra zu einem Disneyland wird!

Nehmen Sie zum Beispiel die Wiederherstellung der Tempel von Angkor in Kambodscha an. Begonnen wurde damit im Jahr 1992. Hunderte von Experten aus der ganzen Welt haben sich damit beschäftigt. Ganze wissenschaftliche Ausschüsse, die sehr sorgfältig arbeiten, waren damit betraut. Nicht eine einzelne Person kann darüber entscheiden, ob Palmyra zu einem Disneyland wird. Ich bin wirklich schockiert, wenn sogenannte Experten solche Dinge sagen, weil sie ganz klar keine Ahnung haben, über was sie reden. Wir arbeiten in vielen Konflikt- und Katastrophengebieten dieser Welt und unsere Arbeit zieht sich immer über Jahrzehnte hin. Mit Palmyra wird das auch so sein, der Wiederaufbau fußt auf seinem sehr aufwendigen wissenschaftlichen Entscheidungsprozess.

Und wir dürfen nicht vergessen, es ist ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung vertrieben wurde. Das ist die größte humanitäre Krise nach dem Zweiten Weltkrieg, und da liegt das eigentliche Problem.

Auf humanitärer Ebene gibt es viel zu tun, ist die internationale Fachtagung über den Erhalt des syrischen Kulturerbes heute in Berlin eher der zweite Schritt vor dem ersten?

Wir sind Weltkulturexperten, deshalb konzentrieren wir uns auf diesen Aspekt; aber wir sagen immer, dass dies auch Teil des humanitären Einsatzes ist. Welterbestätten sind Teil des gemeinschaftlichen Lebens. Wir wollen Gemeinden helfen, sich mit Hilfsmitteln wieder aufzubauen. Unser Hilfsmittel heißt Weltkulturerbe.

Noch kein Aktionsplan

Welche Ergebnisse erwarten Sie von dieser Konferenz?

Die Konferenz bringt all die Experten an einen Tisch und hat zwei Hauptziele: Erstens möchten wir Informationen über die Situation austauschen. Es geht nicht nur um Palmyra, sondern um alle syrischen Kulturstätten. Wir wollen keine auslassen. Ein positiver Nebeneffekt bei der Konferenz ist, dass die Menschen miteinander reden, selbst jene, die normalerweise mit "Giftpfeilen" aufeinander schießen.

Zweitens möchten wir uns über die Prioritäten einig werden. Es ist noch zu früh, um von einem Aktionsplan zu sprechen, es ist eher eine Einigung über Sofortmaßnahmen. Wir müssen auch die Mittel berücksichtigen; wer wird diesen sehr teuren Einsatz bezahlen? Ein Einsatz, der sich über Jahre hinziehen wird und bei dem etliche Experten mitarbeiten werden.

Wir wollen auch herausfinden, wie wir archäologische Projekte in Syrien wiederbeleben können. Darin lag eine von Syriens Stärken: Es gab dort hunderte von archäologischen Projekten in den letzten 100 Jahren.