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"China sollte mit den Uiguren verhandeln"

Gabriel Dominguez / mgr31. Juli 2014

Anfang der Woche wurden dutzende Menschen in der chinesischen Xinjiang-Provinz getötet - viele von ihnen Uiguren. Alim Seytoff vom Weltkongress der Uiguren wirft der chinesischen Regierung Verdrehung der Tatsachen vor.

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Chinesische Polizisten in der Unruheprovinz Xinjiang (Foto: REUTERS/Petar Kujundzic)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: Bei einer Messerattacke sind am Dienstag (29.07.2014) in der von vielen Uiguren bewohnten westchinesischen Provinz Xinjiang nach Medienangaben zahlreiche Menschen getötet und verletzt worden. Als Sprecher des Weltkongresses der Uiguren - also einer der beteiligten Seiten - was können Sie uns darüber sagen?

Alim Seytoff: Dort ansässige Uiguren berichten, dass schwerbewaffnete chinesische Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet und so fast 100 Uiguren getötet oder verletzt haben. Dem waren Proteste hunderter Uiguren vorausgegangen, die gegen das harte Vorgehen der Chinesen gegen den Ramadan [Mehrere Schulen und Behörden hatten das Fasten verboten, Anm. d. Red.] demonstrierten sowie gegen die außergerichtliche Tötung einer uigurischen Familie Anfang Juli im Bezirk Yarkant. Seit Xi Jingping als Präsident im Amt ist, haben die chinesischen Sicherheitskräfte die Order, uigurische Demonstranten zu erschießen und zu töten - ohne dass es Konsequenzen hat. In der Folge gab es mehr und mehr Tötungen, ja sogar regelrechte Massaker.

Peking nennt das Vorgehen der Uiguren einen "terroristischen Angriff". Wie sehen Sie das?

Wenn es tatsächlich "terroristische Angriffe" wären, wie etwa die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua behauptet, dann sollte die Regierung kein Problem damit haben, ausländische Journalisten und Diplomaten nach Yarkant zu lassen, damit sie die Zwischenfälle untersuchen können. Das lässt Peking jedoch nicht zu, weil die Regierung vertuschen will, was tatsächlich in Yarkant passiert ist.

Alim Seytoff (r) und Rebiya Kadeer (Foto: Junge, Heiko/AFP/Getty Images)
Alim Seytoff (r) mit der Präsidentin des Weltkongresses der Uiguren, Rebiya KadeerBild: Getty Images

Nachdem die Sicherheitskräfte jetzt das Feuer eröffnet hatten, wehrten sich einige der Demonstranten mit dem, was sie eben zur Hand hatten: Spaten, Hämmer, Messer. Dadurch gab es auch einige Opfer auf Seiten der chinesischen Polizei - aber eben deutlich weniger als unter den Uiguren.

Unmittelbar nach dem Gewaltausbruch hat China das Gebiet abgeriegelt und so die Uiguren daran gehindert, den Bezirk zu betreten oder zu verlassen. China hat den Zugang zum Internet und Textnachrichten-Diensten abgeschaltet, damit die Uiguren keine Fotos oder Videos des Massakers ins Netz stellen können, die der Version von Xinhua widersprechen würden.

Laut Xinhua waren die Angriffe der Uiguren "organisiert und vorsätzlich geplant".

Das schreibt Xinhua immer, wenn es um Gewalt geht, die irgendwie mit den Uiguren zu tun hat. Tatsächlich ist aber die einjährige Anti-Terror-Kampagne der chinesischen Regierung "organisiert und vorsätzlich geplant". Erdacht von Xi Jinpings Verwaltung zielt sie darauf ab, die friedliche uigurische Bevölkerung zu terrorisieren und zu bestrafen, vor allem während des heiligen Ramadan-Monats.

Die politische Gewalt und Instabilität ist ein direktes Ergebnis der 65-jährigen repressiven Poltik der Kommunisten in Ostturkestan und vor allem der jüngsten harschen Unterdrückung der legitimen Wünsche der Uiguren nach Menschenrechten und Demokratie. Erst vorigen Monat haben zwei Gerichte 113 Menschen wegen terroristischer Aktivitäten und ähnlicher Vergehen zu Haftstrafen verurteilt. Vier davon bekamen lebenslänglich.

Diese Massenprozesse beweisen, dass die chinesische Herrschaft in Ostturkestan derjenigen von Maos in den Tagen seiner berüchtigter Kulturrevolution ähnelt. Im Chinesischen sagt man "Töte das Huhn, um den Affen zu verschrecken". China möchte, dass die Uiguren sehen, was es diejenigen kostet, die es wagen, gegen die chinesische kolonialistische und diskriminierende Herrschaft in Ostturkestan aufzubegehren.

Ein Soldat bewacht einen Schauprozess gegen Uiguren (Foto: REUTERS/Stringer)
Gerichtsverhandlung im Stadion: China wolle uigurische Aktivisten durch Massenprozesse abschrecken, sagt SeytoffBild: Reuters

Wie kann diese Gewalt gestoppt werden?

Als erstes muss China seine Anti-Terror-Kampagne beenden. Dann muss China aufhören, eine Politik des kulturellen Genozids zu verfolgen, wie zum Beispiel die sogenannte Zwei-Sprachen-Poltik, die die uigurische Identität und Kultur diskriminiert. [Uigurische Kinder werden seit einigen Jahren verpflichtend auf Chinesisch unterrichtet; chinesische Kinder aus der Provinz jedoch nicht auf Uigurisch, Anm. d. Red.] Außerdem muss die Regierung aufhören, Glauben und Praktiken der Uiguren anzugreifen. Und schlussendlich: China sollte mit den Uiguren über eine friedliche Lösung der Ostturkestan-Frage verhandeln.

Sind die Uiguren denn bereit, einen Kompromiss mit der chinesischen Regierung zu schließen?

Die Uiguren haben einen Kompromiss mit Peking gesucht, als Ostturkestan 1955 die Unabhängigkeit versprochen wurde. Doch dieses Versprechen stellte sich als große politische Lüge heraus.

Welche Autonomie oder Vorzugsbehandlung genießen die Uiguren heute? Sie genießen nur die Vorzugsbehandlung der politischen Repression, häufige Massaker und außergerichtliche Tötungen. Trotz der derzeitigen schrecklichen Situation hat der Weltkongress der Uiguren mehrfach an China appeliert, die Ostturkestan-Frage friedlich zu verhandeln. Bisher haben wir aber noch keine Anzeichen dafür, dass Peking ernsthaft an Frieden in Ostturkestan oder an einer friedlichen Beilegung des Konflikts interessiert ist.

Wie geht Peking in der Xinjiang-Provinz vor?

Peking fährt eine zweigleisige Strategie: Zum einen setzt es massiv Sicherheitskräfte ein, um die Proteste der Uiguren zu bewältigen. Zum anderen stellt es die darauffolgende Unzufriedenheit als "Separatismus, Terrorismus und religiösen Extremismus" dar, um so die öffentliche Meinung im Land und international zu gewinnen. Die Menschen in China haben keine andere Wahl, als die Darstellung der Regierung zu akzeptieren, denn es gibt keine alternative Erklärung. Die Menschen im Westen können sich informieren und so die Wahrheit über die Ereignisse herausfinden.

Professor Ilham Tohti, Archivbild von 2010 (Foto: FREDERIC J. BROWN/AFP/Getty Images)
Angeklagter Professor Tohti: "Das falsche Signal zu einer Zeit, in der die Spannungen auf einem Allzeithoch sind", kritisiert auch Human Rights WatchBild: Frederic J. Brown/AFP/Getty Images

Ein anderes Beispiel: Erst am 30. Juli hat die chinesische Regierung Professor Ilham Tohti wegen "Separatismus" angeklagt. Der Weltkongress der Uiguren verurteilt dieses Vorgehen. Professor Tohti wird schändlicherweise und unrechtmäßig verfolgt, obwohl er stets friedlich für die Versöhnung der Rassen und eine faire Behandlung der Uiguren plädiert hat.

Alim Seytoff ist Sprecher des Weltkongresses der Uiguren in Washington.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.