1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Polizeischutz: Politikerin sollte ermordet werden

Stefan Schocher
21. Oktober 2020

Berivan Aslan verlässt ihr Haus nur noch mit Polizeischutz, seit ein Mann der österreichischen Polizei gestanden hat, dass er die Grünen-Politikerin ermorden sollte - im Auftrag des türkischen Geheimdienstes.

https://p.dw.com/p/3kB3M
Berivan Aslan, österreichische Politikerin
Der MIT schnappt sich in Österreich "Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen," meint Berivan AslanBild: Johann Groder/AFP

Mit anonymen Anrufen hat Berivan Aslan umzugehen gelernt. Auch mit bedrohlichen Nachrichten. Und auch damit, dass bei Aufmärschen türkeistämmiger Nationalisten schon mal solche Bilder zu sehen waren: Ein Plakat mit der Zeichnung einer lockigen Frau mit rotbraunen Haaren, die an einem Galgen hängt. Es ist eindeutig sie, die österreichische Grünen-Politikerin, die da gemeint ist.

Dieser Tage aber verlässt die 1981 in der Türkei geborene einstige Nationalrats- und jetzige frisch-gewählte Wiener Landtagsabgeordnete kurdischer Abstammung kaum das Haus. Vor der Tür zu ihrer Wohnung in einem Gründerzeitbau in der österreichischen Hauptstadt sitzt eine Polizistin in voller Montur. Außer Haus - das geht für Berivan Aslan derzeit nur mit Polizeischutz.

Es war am 15. September, als Berivan Aslan einen Anruf von einer unbekannten Nummer erhielt, der alles bisher dagewesene in den Schatten stellte. Es war das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das da anrief. Ein Mann habe sich gestellt. Der gebe an, er habe sie ermorden sollen - im Auftrag des türkischen Geheimdienstes MIT.

Türkei Ankara | Einweihung National Intelligence Organization | Recep Tayyip Erdogan, Präsident
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei der Einweihung der neuen MIT-Zentrale in der Hauptstadt Ankara Bild: picture-alliance/Anadolu Agency/Turkish Presidency/M. Cetinmuhurdar

Dass sich der Geständige Feyyaz Ö. stellte, hatte vor allem einen Grund: Er gab zu Protokoll, seinen "Arsch retten" zu wollen. Er hatte Angst, nach dem Attentat selbst zum Ziel zu werden. Also marschierte er in das Wachzimmer am Schottenring 7-9. Das ist jener Posten, an dessen Adresse auch die Wiener Zweigstelle des BVT untergebracht ist. Feyyaz Ö. wusste also ganz genau, wohin er gehen musste.

Ein mysteriöser Todesfall

53 Jahre alt ist der Geständige; italienischer Staatsbürger türkischer Abstammung; in Nordmazedonien hatte er gelebt und war dort erst unlängst in einen mysteriösen Kriminalfall verstrickt. Es geht um den Tod eines Mannes, dessen Angehörige massiv die Darstellung der Behörden zum Todesort anzweifeln und auf den Umstand hinweisen, dass die Leiche des Mannes vollgepumpt mit Drogen in der Wohnung von Feyyaz Ö. gefunden wurde. Aber offiziell starb das Opfer woanders.

Österreich Innenministerium in Wien
Blick auf das österreichische Innenministerium in der Hauptstadt WienBild: picture-alliance/dpa/R. Hackenberg

Bei der Vernehmung gibt Feyyaz Ö. zu Protokoll, er habe eine MIT-Ausbildung absolviert. Ebenso behauptet er, er sei unlängst pensioniert worden. Tatsächlich dürfte der Mann eine Person im Graubereich zwischen Geheimdienst und Kriminalität sein, nicht mehr in aktivem Dienst - und zudem erpressbar. In Summe also: Der perfekte Killer.

Dröhnendes Schweigen der Behörden

Die politische Tragweite einer Affäre lässt sich zuweilen an der Reaktion von Behörden ablesen. In diesem Fall ist das dröhnendes Schweigen. Von der Staatsanwaltschaft hört man nur so viel: dass man "zu diesem Verfahren keine Auskünfte erteilt". Auch das BVT schweigt. Und im Innenministerium sprach man in den Tagen nach Bekanntwerden der Sache zunächst von einem "verwirrt wirkenden Mann", der sich gestellt habe. Ein "akutes Bedrohungsszenario" bestehe nicht.

Feyyaz Ö. blieb zunächst auf freiem Fuß und residierte weiter in einem Hostel beim Wiener Naschmarkt. Erst später wurde Untersuchungshaft für den Geständigen verhängt. Und jetzt kommentieren die Behörden den Fall gar nicht mehr.

Wahlkampf? Unmöglich

Die Rundum-Bewachung Berivan Aslans aber, die bestand von Anfang an. Trotz Wiener Wahlkampf, bei dem sich die Politikerin um einen Sitz im Landtag bewarb. An eine richtigen Wahlkampagne war also nicht zu denken.

Wolfsgruß der Grauen Wölfe
Der "Wolfsgruß" der der rechtsextremen türkischen Bewegung "Graue Wölfe"Bild: Imago/L. Berg

Dabei geht es gerade in ihrem Themenfeld derzeit rund - seit Jahren widmet sich die Politikerin dem Bereich Integration, aber auch den Zirkeln der Partei AKP ("Gerechtigkeit und Aufschwung") des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Europa, und den Netzwerken der rechtsextremen türkischen Bewegung "Graue Wölfe" außerhalb der Türkei.

Graue Wölfe und Islamisten

Erst im Juni kam es in Wien zu tagelangen Ausschreitungen und Straßenkämpfen: Türkeistämmige Nationalisten und Islamisten griffen linke Demos und linke Vereinslokale an. Und bald wurde klar: Diese Angriffe waren koordiniert und vorbereitet. Seitens des österreichischen Innenministeriums war auch davon die Rede, dass der Geheimdienst in der türkischen Hauptstadt Ankara seine Finger im Spiel haben könnte. Innenminister Karl Nehammer sah "Anhaltspunkte" dafür. In der Sache werde ermittelt und "immer mehr Indizien" würden dazu bekannt, heißt es auf Nachfrage.

Österreich Wien Parlamentswahl Anhänger ÖVP
Innenminister Karl Nehammer von der Österreichischen Volkspartei ÖVP Bild: picture-alliance/dpa/APA/G. Hochmuth

Aber die Strukturen und Netzwerke der türkeistämmigen Community und deren Verbindungen zu offiziellen türkischen Stellen, die sind ebenso wenig eindeutig wie die Biografie des geständigen Feyyaz Ö.. Laut Ö. sitzen die Koordinatoren von Aktionen in Österreich auf dem Balkan. Seine Instruktionen für den Auftrag in Wien hatte Ö. laut eigenen Worten einem türkischen Restaurant namens "Mezopotamie" in der serbischen Hauptstadt Belgrad erhalten.

Ein gut koordiniertes Netzwerk

In Österreich seien nur "kleine Leute" aktiv, so Ö. in seiner Vernehmung. Die aber können auf eine solide Unterstützung zurückgreifen. Berivan Aslan spricht von einem "sehr gut koordinierten Netzwerk an Moscheen und Vereinen", das ideologisch von mehr oder weniger säkular-ultranationalistisch bis militant-islamistisch das gesamte rechte politische Spektrum der Türkei abdecke. Das belegen auch die bereits erwähnten Ausschreitungen vom Juni in Wien: Viele der Angreifer zeigten den "Wolfsgruß" der Grauen Wölfe, andere skandierten Parolen der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS).

Berivan Aslan sagt, viele Moschee- oder Kulturvereine würde heute "als AKP-Parteizentralen genutzt". Und letztlich führe dann eines zum anderen: Rechtspopulismus und Absonderung in extremistische Zirkel.

Die Bedrohung ist real

"Sie schnappen sich Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen", meint Berivan Aslan. In diesen Kreisen einmal verwickelt, werde ihnen das Gefühl vermittelt: "Du wirst hier in Österreich immer als Mensch zweiter Klasse behandelt werden - aber hinter dir steht die starke Türkei." Das ist die eine Seite.

 

Die andere: Spitzeleien, Indoktrinierung, Drohungen, Verleumdungen, physische Gewalt. Und daher auch die Polizistin vor der Tür Berivan Aslans. Daher auch die Leibwächter: Weil die Bedrohung durch MIT-Teams ebenso real ist wie die durch radikalisierte Einzeltäter.

Berivan Aslan, österreichische Politikerin
Die österreichische Grünen-Politikerin Berivan Aslan, Ex-Nationalrats- und jetzige Wiener LandtagsabgeordneteBild: Johann Groder/AFP

Konsequenzen für Ankara?

Auf Nachfrage sagt Innenminister Nehammer, ohne direkt auf den Fall Aslan Bezug zu nehmen: "Wenn Erdoğan und die Türkei versuchen, ein systematisches Spitzel-Netzwerk in Österreich zu etablieren, dann muss das Konsequenzen haben." Welche, das zeichnet sich aber noch nicht ab.

"Fakt ist, dass seit 2016 Menschen in Österreich gezielt bespitzel werden - und auf Basis dieser Bespitzelungen Menschen in der Türkei festgenommen werden", sagt Berivan Aslan. Sie spielt auf die Festnahmen in Österreich lebender türkischer Staatsbürger in der Türkei an, die für die Regierung in Ankara bisher kaum Folgen haben.

Und genau inmitten dieser Konflikt-Gemengelage marschiert also Feyyaz Ö. in eine Polizeistation, nimmt Platz und beginnt zu plaudern: Im Frühjahr soll er den Auftrag erhalten haben. Eine Beinverletzung und der Corona-Lockdown hätten alles verzögert. Aber jetzt, so sagt er, habe er nur mehr auf einen Anruf mit dem Befehl zum Zuschlagen gewartet.