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Untergangsstimmung unangebracht

27. Dezember 2002

Deutschland an der Jahreswende 2002/03. Niemand wird bestreiten, dass das Land ernsthafte Probleme hat. Gleichwohl passen für Peter Philipp die schwierige Situation und die verbreitete Stimmung nicht zusammen.

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"Noch nie ist es den Deutschen so schlecht gegangen wie jetzt." Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn man die Zeitungen aufschlägt oder die elektronischen Medien verfolgt. Besonders schlimm scheint es seit der Bundestagswahl im Herbst geworden zu sein: Plötzlich sind die Finanzlöcher sichtbar und werden neue Steuern erhoben und alte Privilegien gekürzt oder abgeschafft. So sehr, dass es der "Steuer-Song" mit seiner Persiflage auf Gerhard Schröder an die Spitze der Schlagerparade geschafft hat.

Das könnte auf Galgenhumor schließen lassen. Der aber zeichnet uns Deutsche eigentlich nicht gerade aus. Und so hat wohl doch eher Walter Jens recht, der scharfsinnige Rhetorik-Professor, der jüngst meinte, er könne das ewige Gejammer der Deutschen nicht mehr hören. Vor allem deswegen nicht, weil sie anschließend zum Urlaub in die Karibik flögen.

Wer über Weihnachten und Sylvester der getragenen Feiertagsstimmung - oder auch dem Klagen seiner Mitbürger - entrinnen wollte, der weiß ein Lied davon zu singen: Destinationen mit Sand, See und Sonne waren längst ausgebucht. Und selbst an Ägyptens Rotmeerstränden war kein Platz mehr. Und das trotz der wachsenden Kriegsgefahr in Nahost. Ähnliches wissen Ferienorte in Bayern und selbst an der Ostsee zu melden. Nicht gerade Indizien dafür, dass die Deutschen am Hungertuch nagen - wie sie eben noch klagten.

Aber gleichzeitig ist und bleibt unbestritten, dass die Zahl der Arbeitslosen weiter wächst und dass jetzt schon von viereinhalb Millionen für Februar gesprochen wird. Und es gibt bisher kein Patentrezept, wie man aus der Krise wieder herauskommen kann. Nur: Ist diese Krise mit anderen Krisen auf dieser Welt zu vergleichen? Geht es uns wirklich so schlecht wie wir behaupten? Politiker haben dies zu Weihnachten aufgegriffen und sie kamen zu dem Schluss, dass unser Empfinden der Krise schlimmer ist als die Krise selbst.

Selbst wenn es sich bei diesen Politikern um Mitglieder der Regierungsparteien - und damit möglicherweise um Schönbeter - handelte: Wir scheinen in Deutschland das Gefühl für Relationen verloren zu haben. So, als müssten wir jedes Jahr das neueste Automodell kaufen und eine exotischere Reise buchen. Vielleicht setzt sich etwas mehr Bescheidenheit auch auf diesen Sektoren ja noch durch. Wie es beim täglichen Einkauf längst geschehen ist: Da parken heute die dicksten Limousinen vor "Aldi", "Lidl" oder "Plus" - um nur einige der früher verpönten Lebensmittel-Discounter zu nennen. Es ist längst nicht mehr unschicklich, dort ein paar Euro zu sparen, die man dann beim nächsten Urlaub in der Karibik "auf den Kopf hauen" kann.

Ob die Einheimischen dort ahnen, dass die deutschen Touristen sich das Geld förmlich "vom Munde abgespart" haben, um bei ihnen Urlaub zu machen? Wohl kaum. Sie sehen in den Deutschen weiterhin gut situierte Menschen, die im Überfluss leben. Und sie ahnen gar nicht, dass den Deutschen eigentlich schon längst das Wasser bis an den Hals steht. Wie unterschiedlich die Perspektiven doch sein können...