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"Leute mit Migrationshintergrund wagen mehr"

Nina Niebergall11. August 2016

Eine neue Studie beweist: Unternehmer mit Migrationshintergrund haben 1,3 Millionen Jobs geschaffen. Einer von ihnen: Aydogan Cengiz. Im DW-Interview erzählt er, wie er es vom Bergbau in die Biotechnologie geschafft hat.

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Deutschland Mitarbeiter Humintech (Foto: NRW Bank)
Das Führungsduo von Humintech: Müfit Tarhan und Aydogan Cengiz (rechts)Bild: NRW Bank

DW: Sie sind in der Türkei geboren und in den 70er Jahren nach Deutschland gekommen, um hier eine Ausbildung zu beginnen. Wie war der Berufsstart in einem fremden Land für Sie?

Aydogan Cengiz: Ich kam damals im Rahmen eines Programms nach Deutschland. Der Bergbau hatte Schwierigkeiten mit dem Nachwuchs, weshalb man aus der Türkei Jugendliche nach Deutschland geholt und ihnen hier eine Ausbildung ermöglicht hat. Am Anfang war das sicherlich schwierig, ich konnte kein einziges Wort deutsch. Wir haben jeden Tag vier Stunden die Sprache gelernt und wurden gleichzeitig im Bergwerk ins Arbeitsleben eingeführt. Ich komme aus Istanbul und die Verhältnisse waren damals für mich schon sehr fremd. Auf einmal war ich auf mich allein gestellt, musste alles selbst bewältigen. Irgendwann wurde es einfacher. Die Ausbildungsinhalte fielen mir leicht, ich kam vom Gymnasium und hatte eine gute Allgemeinbildung.

Wieso haben Sie sich nach Ihrer Ausbildung als Schlosser dazu entschieden, ein Studium anzuschließen?

Ich kam schon mit dem Ziel nach Deutschland, hier zu studieren. Für mich war es gar keine Option, weiter als Betriebsschlosser zu arbeiten.

Nach ihrem Studium der Sozialpädagogik eröffneten Sie damals ein Reisebüro. Das klingt erst einmal ungewöhnlich. Wie kam es dazu?

Ich hätte natürlich in die Türkei zurückgehen können, aber die Infrastruktur für einen Sozialpädagogen war dort nicht sehr gut. Also blieb ich hier. Ich habe zwei Jahre lang eine Bildungsberatungsstelle für schwer vermittelbare Jugendliche geleitet. Die Touristikbranche fand ich aber schon immer sehr interessant. Mein Partner und ich haben einfach gesagt: Ach komm, wir versuchen es. Wenn es nicht klappt, können wir immer noch in unsere Berufe zurückkehren.

Heute sind sie mit ihrem Unternehmen "Humintech" erfolgreich, das auf der Basis von Braunkohle bzw. der darin enthaltenen Huminsäure Düngemittel herstellt. Sie arbeiten also wieder in einer ganz anderen Branche. Wie war der Einstieg in die Biotechnologie?

Nachdem wir unser Unternehmen verkauft hatten, waren wir auf der Suche nach etwas anderem. Wir waren ja beide noch recht jung. Ein Wissenschaftler hat uns dann auf diese Huminsäuren hingewiesen. Das interessierte uns, weil es ein sehr umweltfreundliches Produkt ist, mit dem man chemischen Dünger ziemlich gut reduzieren kann. Dann haben wir ein Unternehmen gekauft und ziemlich viel Geld investiert.

Deutschland Mitarbeiter Humintech (Foto: Compamedia)
Zwei Mal wurde Cengiz Unternehmen als eines der hundert innovativsten Unternehmen ausgezeichnetBild: Compamedia

Woher hatten Sie die Zuversicht, immer wieder mit etwas Neuem zu beginnen?

Nachdem ich meine Ausbildung relativ erfolgreich abgeschlossen hatte, dachte ich mir: Die restlichen Schritte schaffst du auch!

Haben Sie Menschen ohne Migrationshintergrund hier etwas voraus?

Ich glaube, Leute mit Migrationshintergrund wagen etwas mehr - zum Beispiel den Schritt in die Selbstständigkeit. Das beobachte ich auch in meinem Umfeld. Sie wollen beweisen, dass sie in diesem Land etwas leisten können. Um das zu erreichen, sind sie sehr fleißig, haben Durchsetzungsvermögen und schnell Erfolg.

Sie führen Humintech gemeinsam dem Ingenieur Müfit Tarhan und Dr. Yassar Dergham, einem Agrarwissenschaftler. Haben Sie schon einmal erlebt, dass Ihnen Kunden oder Geschäftspartner wegen Ihrer Herkunft ablehnend gegenüber getreten sind?

Natürlich haben die Leute unsere Namen manchmal falsch ausgesprochen, aber sie haben uns nie spüren lassen, dass wir Ausländer sind. Wenn man Erfolg hat, dann ist man Geschäftsmann und kein Ausländer. Mit unserer Kompetenz kommen wir überall weiter. Wir wurden von vorneherein ernst genommen. In unserer Situation war unser Migrationshintergrund eher Vorteil als Nachteil: Wir bringen Flexibilität mit und sind ein bisschen draufgängerisch.

Sie beschäftigen bei Humintech inzwischen über 30 Mitarbeiter - und leisten damit einen Beitrag zur deutschen Wirtschaft. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung sind Sie damit in guter Gesellschaft: 700.000 Unternehmer und Selbstständige haben ausländische Wurzeln. Wenn sie schildern, wie motiviert Sie und Ihre Kollegen das Unternehmen führen, frustriert Sie dann manchmal die öffentliche Stimmung gegenüber Zuwanderern?

Davon lassen wir uns nicht klein kriegen. Es gibt unterschiedliche Meinung und es ist ja nur eine Minderheit, die so redet. Die Bedingungen für Ausländer in Deutschland sind doch recht gut. Nicht immer - aber man muss sich natürlich auch als Migrant anpassen. Damit meine ich nicht, dass man die eigene Identität aufgeben soll, aber die Sprache lernen, Ausbildungsmöglichkeiten nutzen und so weiter. Wir sind ja seit unserer Selbstständigkeit auch als Ausbildungsbetrieb tätig. Wir haben viele Nationalitäten hier: Deutsche, Marokkaner, Türken. Da sehe ich eine erhebliche Entwicklung zwischen dem Zeitpunkt, zu dem sie zu uns kamen und zwei bis drei Jahre später, wenn sie uns wieder verlassen. Ich kann jeden, der bei uns ausgebildet wurde, auf den freien Markt bringen. Dann guckt man nicht mehr nach der Nationalität, sondern nach dem Können.

Wird Ihre Arbeit also gewürdigt?

Ja, auf jeden Fall. Wir sind in den letzten beiden Jahren in die Top 100 der innovativsten Unternehmen gewählt worden und das Land Nordrhein-Westfalen hat uns auch schon als Innovationsunternehmen geehrt. Wir spüren schon, dass diese Gesellschaft uns gerne bei sich sieht - solange man der Gesellschaft eben auch etwas gibt.

Aydogan Cengiz ist Geschäftsführer des Biotechunternehmens Humintech. Bevor der gebürtige Türke anfing, im Bereich der Biotechnologie zu arbeiten, absolvierte er eine Ausbildung zum Schlosser, ein Studium in Sozialpädagogik und führte sein eigenes Reisebüro.

Das Interveiw führte Nina Niebergall.