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Griechenland Kommentar

10. November 2011

Seit knapp einer Woche sucht Griechenlands politische Klasse einen Interims-Ministerpräsidenten. Jetzt hat sie sich auf Lukas Papademos geeinigt. Vorangegangen war ein unwürdiges Ringen, meint Daphne Grathwohl.

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Bild: DW

Es war unwürdig, es war lächerlich, aber es war fast schon politischer Alltag in Griechenland: Die politische Klasse klebte an ihren Sitzen. Und dabei schubste sie das Land, das ja schon am Abgrund steht, weiter auf die Klippe.

Seit vergangenem Freitag (04.11.2011) war klar, dass der amtierende Ministerpräsident Georgios Papandreou auch dann nicht im Amt bleiben würde, wenn er die Vertrauensfrage gewinnt. Seitdem herrschte also ein faktisches Machtvakuum in Athen. Seitdem lagen die EU-Gelder auf Eis. Seitdem wussten die Griechen nicht, wie es weitergeht. Und seitdem wussten die internationalen Partner, allen voran die EU, nicht mehr, wer ihr Ansprechpartner ist.

Guter Ruf als Wirtschaftsfachmann

Daphne Grathwohl (Foto: DW)
Daphne GrathwohlBild: DW

Jetzt soll es offenbar der frühere Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank Lukas Papademos richten. Er war von Beginn an einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Ob er als damaliger Gouverneur der griechischen Notenbank von den gefälschten Wirtschaftszahlen Griechenlands wusste, mit denen sich das Land den Euro erschwindelte, kann dahingestellt bleiben. Denn dass der Beitritt Griechenlands eine politische Entscheidung war und keine rein wirtschaftliche, ist längst allen klar. In der Zwischenzeit hat sich Papademos allerdings einen guten Ruf als zuverlässiger Wirtschaftsfachmann mit Europa-Expertise erworben. Und das war auch der Grund, warum man schnell auf ihn als Interims-Ministerpräsidenten kam.

Doch der Finanzfachmann hat wohl nicht nur Ahnung von Ökonomie, sondern auch von seinem Heimatland: Denn er fordert eine längere Interims-Amtszeit, um die ihm gestellten Aufgaben zu erfüllen. Und er fordert das Recht, Schlüsselressorts im neuen Kabinett mitzubestimmen. Denn es geht nicht nur darum, schnell, schnell ein paar unliebsame, aber unabdingbare Reformen durchzudrücken, um dann wieder EU-Geld zu bekommen.

Reform des ganzen Landes

Es geht vielmehr darum, ein ganzes Land zu reformieren: Ob es das Gesundheitssystem, das Schulsystem, Behörden oder Staatsbetriebe sind – sie müssen von Korruption und Vetternwirtschaft befreit werden. Es muss möglich sein, in Griechenland eine ganz normale staatliche Leistung ohne Bestechungsgeld zu bekommen – zum Beispiel eine Baugenehmigung.

Griechenland braucht ein funktionierendes System von Steuern und Abgaben, in das die Menschen freiwillig einzahlen, weil sie wissen, dass dieser Staat und sein Bürokratie-Apparat das Geld nicht wieder in irgendwelche privaten Taschen umleiten werden. Es muss vertrauenswürdige Solidarsysteme geben, in die man einzahlt, um daraus den Schulbesuch der Kinder oder die anstehende Operation finanziert zu bekommen.

Versagen der etablierten Politiker

Doch eine solche Umstellung schafft man nicht in ein paar Wochen, da hat Lukas Papademos Recht. Sie ist eine organisatorische Veränderung, aber mindestens ebenso sehr ist diese Umstellung eine Veränderung in den Köpfen der Menschen. Das schafft man auch nicht mit der gleichen alten politischen Garde, die seit Jahrzehnten im Sattel sitzt und die auch jetzt noch nicht verstanden hat, worum es geht: um die Zukunft Griechenlands und nicht um ihre eigene. Die Politiker, die sich bislang die Hände schmutzig und die Taschen voll gemacht haben, können diese Zukunft nicht bauen. Auch da hat Papademos Recht.

Ob Lukas Papademos es schaffen kann, die Griechen davon zu überzeugen, dass die Reformen auch ganz ohne Euro und EU notwendig wären, einfach, damit das Land wieder eine Zukunft hat, ist schwer zu beurteilen. Dass die alten etablierten Politiker es nicht können, haben sie in der vergangenen Woche bewiesen.

Autor: Daphne Grathwohl
Redaktion: Bernd Riegert