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Urteil gegen Islamistenführer in Bangladesch

Sarah Berning16. Juli 2013

Das Kriegsverbrechertribunal in Bangladesch hat den ehemaligen Führer der Islamistenpartei Jamaat-e-Islami zu 90 Jahren Haft verurteilt. Die Aufarbeitung des Bürgerkrieges spaltet das Land.

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Ghulam Azam im Rollstuhl vor dem Gericht in Dhaka Islamist Bangladesh (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Munir Uz Zaman/AFP/Getty Images

Der heute 91-jährige Ghulam Azam führte die islamistische Partei Jamaat-e-Islami (JI) im damaligen Ost-Pakistan an, das 1971 als neuer Staat seine Unabhängigkeit von Pakistan erlangte. Azam und die JI kämpften auf Seiten der pakistanischen Armee gegen die Unabhängigkeitskräfte. Drei Millionen Menschen sollen damals getötet und 200.000 Frauen vergewaltigt worden sein, mit Duldung und Unterstützung pro-pakistanischer Kräfte vor allem aus den Reihen der JI. Azam blieb bis 2000 Führer der JI, gilt aber weiterhin als ihr spirituelles Oberhaupt.

Das aus drei Richtern bestehende Sondertribunal in Dhaka sprach Azam wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im damaligen Bürgerkrieg schuldig. Konkret wurden ihm 61 Anklagepunkte zur Last gelegt, unter den Überschriften Verschwörung sowie Aufwiegelung zum Mord und Planung, Vertuschung und unterlassene Verhinderung von Mordtaten. Weiter stellte das Gericht fest, Azam sei die treibende Kraft bei der Bildung von Milizen gewesen, die gegen Ende des Bürgerkrieges Massaker an Intellektuellen begangen hatten.

Nach Meinung des Tribunals hätte Azam die Todesstrafe verdient, jedoch habe man angesichts des hohen Alters des Angeklagten davon abgesehen.

Gewalttätige Reaktionen

Im zeitlichen Umfeld des Prozesses war es erneut zu Gewalt in der Hauptstadt Dhaka und in anderen Landesteilen gekommen, zwei Jamaat-Anhänger wurden am Dienstag (16.07.2013) bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften getötet. Unterstützer der größten Oppositionspartei, der Bangladesh National Party (BNP), hatten ebenso wie JI am Montag zu einem Generalstreik aufgerufen. Beide Parteien werfen der Regierung von Ministerpräsident Sheikh Hasina und ihrer Awami-Liga vor, das Kriegsverbrechertribunal als Mittel zur Ausschaltung der Opposition zu instrumentalisieren.

Proteste von Anhängern Ghulam Azams - brennder Bus - nach dessen Verurteilung (Foto: Reuters)
Proteste von Anhängern Ghulam Azams nach dessen VerurteilungBild: Reuters

Seitdem das Tribunal im Januar 2013 sein erstes Urteil gegen Islamisten wegen früherer Kriegsverbrechen verkündet hat, kamen bei gewalttätigen Zusammenstößen in Bangladesch mindestens 150 Menschen ums Leben. Das Urteil gegen Azam war das bisher fünfte, darunter vier - noch nicht vollstreckte - Todesurteile. Bereits für Mittwoch (17.07.2013) wird das nächste Urteil des Tribunals gegen ein weiteres hochrangiges JI-Mitglied erwartet.

"Emotionales Urteil"

Azams Rechtsanwalt sagte der Deutschen Welle, er lehne das Urteil ab, "denn es gibt keine Beweise, die eine Verurteilung rechtfertigen würden."  Der Anwalt wies auch einen Kommentar des Gerichts zurück, wonach die Jamaat-i Islami eine kriminelle Organisation sei. "Eine derartige Anklage ist gegen die JI nicht eingereicht worden. Wir glauben, dass das Tribunal seine Kompetenzen überschritten und sein Urteil auf Grundlagen von Emotionen gesprochen hat." Der Anwalt kündigte an, in Berufung zu gehen und zeigte sich zuversichtlich, damit Erfolg zu haben.

Jubel nach dem Todesurteil gegen den prominenten Islamisten Sayedee im Februar (Foto: REUTERS)
Jubel nach dem Todesurteil gegen den prominenten Islamisten Sayedee im FebruarBild: Reuters

"Wir haben seit 40 Jahren auf dieses Urteil gewartet", sagte dagegen Muntasir Mamun, Geschichtsdozent aus Dhaka, der DW. "Das Wichtigste ist, dass das Gericht die JI als kriminelle Organisation eingestuft hat und ihre Mitglieder für ihre Missetaten von 1971 zur Verantwortung zieht." Man akzeptiere, dass das Gericht die eigentlich als gerecht gesehene Todesstrafe nicht verhängt hat. "Aber wir sind schon etwas enttäuscht", so der Professor.

Enttäuschung und Genugtuung

Die Enttäuschung teilt auch die Bildhauerin Ferdousi Priyabhashini, die 1999 in ihrem Buch "Tormenting Seventy One" die brutalen Menschenrechtsverletzungen  der pakistanischen Armee 1971 dokumentiert hat. "Mein ganzes Leben lang wollte ich Azam hängen sehen. 90 Jahre Gefängnis sind ein Witz. Die nächste Regierung  kann ihn problemlos aus angeblichen medizinischen Gründen außer Landes bringen", befürchtet die bekannte Künstlerin und Intellektuelle. "Gegner der Todesstrafe müssen verstehen, was 1971 in Bangladesch passierte", sagte sie gegenüber der Deutschen Welle. "Mindestens drei Millionen Menschen wurden getötet. Das wäre ohne Unterstützung durch Leute wie Ghulam Azam nicht möglich gewesen. Es war sein Plan, wonach tausende Menschen getötet und vergewaltigt wurden."

Junge Jamaat-Anhänger randalieren in den Straßen von Dhaka (Foto: Reuters)
Mit weiteren Urteilen wird es zu weiteren Ausschreitungen kommenBild: Reuters

International umstritten

Das Kriegsverbrechertribunal, das von der regierenden säkularen Awami-Liga ins Leben gerufen wurde, wird international stark kritisiert. Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International ziehen in Zweifel, dass es unparteiisch arbeite und kritisieren mangelnde Rechte für die Angeklagten. Dennoch dürften Bangladescher wie Mahbubul Alam Haolader für die Mehrheit sprechen, der gegenüber der Deutschen Welle sagte, er sei trotz dieser Einwände "glücklich über die Einrichtung des Tribunals, damit die brutalen Verbrechen von vor 40 Jahren gesühnt werden können." Haolader nahm als Nebenkläger im Prozess gegen den hohen JI-Funktionär Delwar Hossein Sayedee im Februar teil, der von dem Tribunal zum Tode verurteilt wurde.

Unterschriften bei Volksbefragung Bangladesch (Foto: DW)
Angeblich haben zehn Millionen Bangladescher für ein Verbot deer Jamaat-i Islami unterschriebenBild: DW