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Urteil im Atom-Streit: Darum geht es

6. Dezember 2016

Der deutsche Atomausstieg vor dem höchsten deutschen Gericht: Das Bundesverfassungsgericht fällt am heutigen Dienstag sein Urteil im Streit zwischen den Energiekonzernen und der Bundesregierung. Hier die Hintergründe.

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Gebäude des Bundesverfassungsgerichts BVG in Karlsruhe
Bild: picture-alliance/dpa

Wer hat geklagt?

Kläger sind drei Energiekonzerne, die in Deutschland Atomkraftwerke betreiben: die deutschen Firmen Eon und RWE sowie der schwedische Staatskonzern Vattenfall. Ein vierter Energieversorger, EnBW, hatte auf eine Klage verzichtet, weil er mehrheitlich dem Bundesland Baden-Württemberg und den dortigen Gemeinden gehört.

Warum wurde geklagt?

Schon im Jahr 2000 hatten sich die großen Energieversorger Eon, RWE, EnBW und Vattenfall mit der damals rot-grünen Bundesregierung über einen Ausstieg aus der Atomkraft geeinigt, 2002 trat ein entsprechendes Gesetz in Kraft. Das legte fest, wie viel Strom Atomkraftwerke noch produzieren dürfen, bevor sie stillgelegt werden müssen.

Im Jahr 2010, während der zweiten Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel, wurde das Gesetz im Sinne der Konzerne geändert. Die Atomkraftwerke sollten jetzt bis zu 14 Jahre länger laufen dürfen.

Nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima im März 2011 vollzog Merkel einen abrupten Kurswechsel. Nur wenige Tage nach dem Unglück verfügte die Bundesregierung ein sogenanntes Moratorium: Insgesamt acht der damals 17 deutschen Atomkraftwerke wurden drei Monaten lang stillgelegt, um die Sicherheit in allen Anlagen zu überprüfen.

Rund fünf Monate nach Fukushima, am 6. August 2011, wurde das Atomgesetz dann erneut geändert. Die gerade erst beschlossene Verlängerung der Laufzeiten wurde wieder gestrichen. Nun galt wieder: Bis Ende 2022 muss das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet sein.

Die Energiekonzerne sehen in dem Gesetz eine Enteignung und haben deshalb Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie sagen, durch den beschleunigten Atomausstieg sei ihnen ein Schaden von insgesamt rund 19 Milliarden Euro entstanden. Eon nennt acht Milliarden Euro. RWE macht offiziell keine Angaben, Analysten gehen von sechs Milliarden Euro aus. Vattenfall gibt 4,7 Milliarden Euro an.

Worüber urteilt das Gericht?

Das Bundesverfassungsgericht hat als Hüter des Grundgesetzes darüber zu entscheiden, ob der Staat hier das Grundrecht der Firmen auf Eigentum verletzt hat. Zu klären ist, ob die Änderung des Atomgesetzes überhaupt eine Enteignung darstellt, wie die Kläger behaupten, oder nur eine Beschränkung des Eigentums.

In der Verhandlung äußerte das Gericht Zweifel, ob die zwischenzeitliche Verlängerung der Laufzeiten 2010 überhaupt den Schutz des Eigentums genießt. Außerdem habe sich der Staat nicht bereichert, als er die Laufzeiten später wieder kürzte.

Da jede Verfassungsbeschwerde einzeln geprüft wird, gibt es am Ende drei Urteile. Ein Sonderfall ist die Beschwerde von Vattenfall. Weil das Unternehmen dem schwedischen Staat gehört, müssen die Richter zunächst klären, ob sich Vattenfall überhaupt auf deutsche Grundrechte berufen kann. Das Unternehmen klagt daher zusätzlich vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID), einem internationalen Schiedsgericht, das bei der Weltbank in Washington D.C. angesiedelt ist. Ein Urteil wird frühestens Mitte 2017 erwartet.

Wie geht es dann weiter?

Sollte das Gericht den Energiekonzernen völlig recht geben, müsste das Atomgesetz geändert werden und wohl auch eine Entschädigungsregelung enthalten. Bei einem Teilsieg hätten die Konzerne eventuell Anspruch auf Schadenersatz, müssten diesen jedoch bei Zivilgerichten durchsetzen. Das könnte Jahre dauern.

Unabhängig davon müssen sich die Konzerne mit der Bundesregierung noch darüber einigen, wer die Kosten für die Endlagerung des Atommülls trägt. Die Unternehmen wollen die Lasten dringend loswerden, weil die tatsächlichen Kosten unkalkulierbar sind. Die von Bundestag und Bundesrat eingesetzte Kommission zur "Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" hat im April die Einrichtung eines Fonds empfohlen, in den die Firmen insgesamt 23,3 Milliarden Euro einzahlen sollen. Ein Kompromiss könnte so aussehen, dass gegenseitige Forderungen miteinander verrechnet werden.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.