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Urteil im Chodorkowski-Prozess verschoben

Ingo Mannteufel27. April 2005

Für Mittwoch war das Urteil über den ehemaligen Yukos-Chef Chodorkowski erwartet worden. Doch statt eines Urteils gab das Moskauer Gericht eine Verschiebung der Urteilsverkündung auf Mitte Mai bekannt. Warum?

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Auch er muss bis zum 16. Mai wartenBild: dpa

Die mit Spannung erwartete Verkündung der Urteile gegen den früheren Chef des russischen Ölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowski, und seine Ex-Geschäftskollegen Platon Lebedew und Andrej Krajnow ist auf den 16. Mai verschoben worden. Das teilte das zuständige Gericht in Moskau am Mittwoch (27.4.2005) in einem lapidaren Aushang mit. In Nachrichtenagenturen heißt es, dass die Richterin Irina Kolesnikowa die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht abgeschlossen habe. Angesichts des Mega-Prozesses mag diese Begründung gar nicht so abwegig klingen. Denn der Prozess läuft seit knapp einem Jahr. Dem einst reichsten Mann Russlands droht wegen Unterschlagung, Steuerhinterziehung und Betrugs eine Höchststrafe von zehn Jahren.

Politische Gründe

Dennoch dürften die Gründe für die Verschiebung nicht hauptsächlich in der bürokratischen Bearbeitung des Falles liegen. Für die plötzliche Verschiebung des Urteils spielen wohl eher andere - politische - Gründe eine Rolle. Mindestens drei Aspekte sind zu nennen.

Russlands Präsident Wladimir Putin befindet sich derzeit auf einer Nahost-Reise und wird zu einem historischen Staatsbesuch in Israel empfangen. Eine Urteilsverkündung - gemeinhin wird mit einer schweren Strafe gerechnet - gegen Michail Chodorkowski hätte der Reise einen heftigen Image-Schaden bereiten können. Denn Chodorkowski hat nicht nur jüdische Wurzeln, sondern in Israel lebt auch sein langjähriger Geschäftspartner Leonid Newzlin, dem in Moskau dieselben Straftaten vorgeworfen werden wie Chodorkowski. Newzlin hatte im Vorfeld des Putin-Besuchs im Falle einer Urteilsverkündung gegen Chodorkowski eine Veröffentlichung von dem Kreml unliebsamer Fakten angekündigt. Unabhängig von dem Gehalt dieses "kompromittierenden Materials" kann Präsident Putin seine Israel-Reise besser darstellen, solange noch kein Urteil gegen Chodorkowski gefällt worden ist.

Feiertag

Ein zweiter Grund für die Verschiebung auf Mitte Mai dürfte in den Feierlichkeiten für den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges in Europa am 9. Mai in Moskau begründet sein. Putin erwartet dafür nahezu alle wichtigen Staats- und Regierungschefs in Moskau, darunter US-Präsident George W. Bush, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Frankreichs Staatschef Jacques Chirac und andere Spitzen der EU-Staaten. Eine Urteilsverkündung gegen Chodorkowski in einem Prozess der vielfach im Westen als ein politisch motivierter Prozess wahrgenommen wird und der als ein Zeichen für Rückschritte in der russischen Demokratie gedeutet wird, dürfte auch diese Feierlichkeiten eher belasten.

Ein dritter Grund - sicherlich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch sehr spekulativer Natur - könnte mit Putins Rede zur Lage der Nation am vergangenen Montag zusammenhängen. Putin hat sich dabei stark gemacht für eine Entwicklung der russischen Demokratie und einer freien Marktwirtschaft. Dabei will er sich nach eigenem Bekunden an europäischen Idealen orientieren. In seiner Rede warb er um das Vertrauen internationaler Investoren und forderte mehr Zurückhaltung der russischen Steuerbehörden gegen russische Unternehmer: Er sprach sogar ausdrücklich davon, dass "die Steuerbehörde nicht das Recht habe, Unternehmen zu terrorisieren". Zugleich sprach er sich für eine Verjährungsfrist von drei Jahren für die Anfechtung von Privatisierungen aus.

Kursänderung eingeleitet?

Diese klaren Worte strafen den bisherigen Prozess gegen Chodorkowski mit Hohn. Entweder haben Putins Worte nun die Richterin im Chodorkowski-Prozess nur verunsichert und sie bedarf nun neuer Instruktionen aus dem Kreml, oder es steckt sogar noch mehr dahinter: Putin, der nicht nur einmal Russland und die Welt mit Kursänderungen überrascht hat, hat mit seiner Rede zur Lage der Nation eine weitere Kursänderung eingeleitet, die für Chodorkowski ein mildes Urteil bedeuten würde. Das, was der Kreml im ganzen Verfahren gegen Yukos und Chodorkowski wollte, hat er ja bereits und würde auch durch ein mildes Urteil gegen Chodorkowski nicht geändert: die absolute Hegemonie im russischen Ölsektor. Nun mit Chodorkowski milde abzurechnen, könnte ihm den vermissten Beifall im Westen bringen.