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Politik

Montana versus Donald Trump

Michael Knigge jc
20. September 2018

Während die US-Regierung immer weniger Flüchtlinge ins Land lässt, gehen zwei Städte im US-Bundesstaat Montana den entgegengesetzten Weg: Eine wirbt um Migranten, eine andere macht einen Flüchtling zum Bürgermeister.

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Straßenszene in Missoula, in Montana/USA
Straßenszene in Missoula, im Bundesstaat Montana: Plakate werben für ein gutes MiteinanderBild: DW/M. Knigge

Nur ein Jahr nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA machte eine andere Wahl in Montana Schlagzeilen: In Helena, der Hauptstadt des US-Bundesstaats, bestimmten die Einwohner Wilmot Collins zu ihrem neuen Bürgermeister. Der 54-jährige Gesundheitsamt-Mitarbeiter ist der erste Schwarze in der Geschichte Montanas, der diesen Posten bekleidet. Und der erste Flüchtling, denn Collins stammt aus Liberia. 

Die Überraschung über einen solchen Bürgermeister in Montana war groß. Der flächenmäßig viert größte Bundesstaat der USA ist sehr dünn besiedelt und überwiegend weiß. Die überwältigende Mehrheit seiner Bürger unterstützte Donald Trump bei der Präsidentschaftswahl.

"Mach mit und engagier' dich"

Im lokalen Wahlkampf aber hätten weder seine Hautfarbe noch sein Hintergrund als ehemaliger Flüchtling eine Rolle gespielt, sagt Collins der DW. Viel mehr als das habe gezählt, dass er sich seit seiner Ankunft aus Liberia 1994 einen Status als aktives und respektiertes Mitglied der Gesellschaft in Helena erarbeitet habe.

USA Montana - Bürgermeister von Helena, Wilmot Collins
Flüchtlinge sollten sich engagieren, findet der Bürgermeister von Helena, Wilmot CollinsBild: DW/M. Knigge

Collins hält in Schulen regelmäßig Vorträge über Afrika in, singt im Kirchenchor und trainiert eine Fußballmannschaft. Und um einen College-Abschluss zu finanzieren, diente er als Reservist in der US-Navy, obwohl er zunächst keine Waffe abfeuern konnte, weil das Geräusch die Erinnerung an den Krieg in Liberia wieder aufflammen ließ. Sein Verhalten habe seinen Nachbarn und Freunden in Helena gezeigt, dass er für die Gemeinschaft da sei, so Collins.

Angeregt zu seiner Kandidatur, sagt Collins, habe ihn übrigens der Appell von Ex-Präsident Barack Obama, die Amerikaner sollten sich mehr füreinander und für die Gemeinschaft engagieren.

"Erzähl deine Geschichte"

Basierend auf seinen eigenen Erfahrungen lautet Collins' Mantra für Flüchtlinge in Montana und im ganzen Land: Mach mit und engagier' dich! "Wir sind aus unserer Heimat geflohen, weil wir überleben wollten", sagte er. "Jetzt machen einige von uns den Fehler, dass wir jetzt, da wir überleben, zufrieden sind. Aber das sollte nicht das Ende der Geschichte sein."

Er verstehe, dass eine gesellschaftliche Beteiligung eine große Herausforderung für neu angekommene Flüchtlinge sei. Schließlich kämen diese aus einer fremden Kultur, verstünden die Sprache erst nicht. Auch er habe Pläne für eine politische Beteiligung mehrfach zurückgestellt, weil er sich noch nicht bereit gefühlt habe. Aber es stimme nicht, dass Flüchtlinge keine Wahl hätten, zeigt sich Collins unnachgiebig. Sich zu engagieren sei wichtig, besonders angesichts der aktuellen Anti-Flüchtlingsstimmung, die Washington schüre. "Denn wenn Sie nicht aus Ihrer Komfortzone herauskommen, wissen Sie, wer dann Ihre Geschichte erzählt? Leute, die Sie nicht kennen", sagt er.

Noch ein Hort des Widerstands

Mag die Wahl des ehemaligen Flüchtlings Wilmot Collins zum Bürgermeister von Montanas Hauptstadt auch der spektakulärste Gegensatz zur derzeitigen Flüchtlingspolitik aus Washington sein - es gibt noch mehr Widerstand in Montana.

Dieser beginnt im September 2015 in der Stadt Missoula, 90 Autominuten von Helena entfernt. Auslöser ist das Foto von Alan Kurdi, dem zweijährigen syrischen Jungen, der auf der Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrank. Eine Gruppe von Müttern wollte angesichts dieses schrecklichen Anblicks mehr tun, als nur Geld für Flüchtlingsorganisationen zu spenden. Sie überlegten, wie sie aktiv helfen könnten.

USA Montana - Gründerin von Soft Landing in Missoula, Mary Poole
Mary Poole, Mit-Gründerin von Soft Landing in Missoula, wollte mehr für Flüchtlinge tun, als Geld zu spendenBild: DW/M. Knigge

Nach einigen Recherchen war der Weg klar: Die Gruppe ersuchte die Stadt Missoula und das International Rescue Committee (IRC), eine Organisation, die von der US-Regierung mit der Umsiedlung von Flüchtlingen beauftragt ist, ein neues IRC-Büro in Missoula zu eröffnen und Flüchtlinge in die Stadt zu holen. In den 1970er und 1980er Jahren waren in Missoula schon einmal Flüchtlinge aus Laos angesiedelt worden. Seitdem aber hatte der US-Bundesstaat Montana nicht mehr am US-Ansiedlungsprogramm teilgenommen.

Breite Unterstützung in der Bevölkerung

Zwar machte die Anti-Flüchtlingsrhetorik von Donald Trump es den Frauen nicht gerade leicht, die Gemeinde zu überzeugen, Flüchtlinge aufzunehmen, aber am Ende funktionierte es, erzählt Mary Poole, eine der Mütter, die das Vorhaben in Gang brachten. Denn einmal über alle Einzelheiten des Programms informiert, unterstütze die Mehrheit der rund 70.000 Einwohner von Missoula die Aktion.

Mehr als 200 Menschen meldeten sich als Freiwillige für die ersten Flüchtlingsfamilien. Es gab so viel Unterstützung, dass die von Mary Pool und den anderen Frauen gegründete Flüchtlingsorganisation Soft Landing Hilfsbereite auf eine Warteliste setzen musste.

USA: Das Trauma der Migrantenkinder

"Missoula ist ein wunderbarer Ort"

Joel Kambale war einer der ersten Flüchtlinge, die vor zwei Jahren nach Missoula kamen. Der gebürtige Kongolese verbrachte 20 Jahre in Flüchtlingslagern in Tansania, bevor er mit seiner Frau und seinen drei Kindern für die Umsiedlung in die USA ausgewählt wurde. Abgesehen von der neuen Sprache war vor allem das Wetter eine große Hürde für ihn und seine Familie, erzählt Kambale: "Wir kamen im September, der Winter beginnt hier bereits im Oktober, es war schon sehr kalt."  

Aber die Familie passte sich schnell an die neue Umgebung und die neue Sprache an. Bald war Kambales Englisch so gut, dass er als Übersetzer im IRC arbeitete, um anderen kongolesischen Flüchtlingen zu helfen. "Ich habe hier einen guten Ort gefunden", sagt Joel Kambale über sein neues Leben in Missoula. "Meine Kinder können jetzt zur Schule gehen, ich habe ein schönes Zuhause und einen Job und es gibt gute Menschen in Missoula. Mir wurde hier viel geholfen. Missoula ist ein wunderbarer Ort."

Flucht vor Terror und Gewalt

Gefragt nach der drastischen Zuzugsbeschränkung für Flüchtlinge, die US-Präsident Trump vorantreibt, antwortet Kambale: "Ich fühle mich nicht gut dabei. Wenn er sagt, dass Flüchtlinge nicht mehr in die USA kommen sollten, bin ich nicht glücklich, denn es gibt viele Menschen, die in den Flüchtlingslagern in Afrika leiden."  Es gebe nur einen einzigen Grund, aus dem Flüchtlinge wie er in die USA kämen, so Kambale: um der Gewalt und dem Terror in ihren Heimatländern zu entkommen.

USA Montana - Joel Kambale Flüchtlinge aus der DRC
Joel Kambale, Flüchtling aus dem Kongo, fühlt sich wohl in Missoula, Montana USABild: DW/M. Knigge

"Wenn wir hier sind, können wir wieder atmen. Wir sind wie ehemalige Insassen aus einem Gefängnis", sagt Kambale. "Stellen Sie sich jemanden vor, der gerade aus dem Gefängnis freigekommen ist. So fühlen sich Flüchtlinge, wenn sie hier in den USA sind."

Washington kürzt Unterstützung für Flüchtlinge 

Die kürzlich angekündigten Pläne der Trump-Regierung, ab kommendem Jahr nur noch 30.000 Flüchtlinge in den USA ansiedeln zu wollen, könnten Missoulas erfolgreiches Flüchtlingsprogramm in Gefahr bringen.

Nachdem Washington die Zahl der Umsiedlungen von 80.000 unter Ex-Präsident Barack Obama bereits in diesem Jahr auf 45.000 reduziert hatte, wurden Umsiedlungsbehörden wie das IRC angewiesen, alle Standorte zu schließen, an denen weniger als 100 Flüchtlinge leben. Doch im laufenden Geschäftsjahr konnte das kleine IRC-Büro in Missoula 115 Flüchtlinge umsiedeln und lag damit knapp über der von der Regierung festgelegten Schwelle, sagt Direktorin Jen Barile.

USA Montana -Director von IRC office in Missoula, Jen Barile, vor Landkarte
Jen Barile, IRC-Direktorin in Missoula, hofft, dass ihr Büro weitermachen kannBild: DW/M. Knigge

Sich engagieren - jetzt erst recht

Sie hoffe, ihre Arbeit in Missoula fortsetzen zu können, aber noch könne sie nicht sagen, wie sich die angekündigte Reduzierung auf 30.000 Flüchtlinge auf das Büro vor Ort auswirken werde. 

Auch Bürgermeister Wilmot Collins aus Helena bereiten die jüngsten Kürzungen des Flüchtlingsprogramms Sorge. Resignation aber ist sein Ding nicht. "Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass wir bei den Midterms (Wahlen in der Hälfte der Amtszeit des Präsidenten, in denen ein Teil der Senatoren und Gouverneure sowie des Repräsentantenhauses neu gewählt werden – Anm. d. Red.) abstimmen und weiterhin uneingeschränkt an den zivilgesellschaftlichen Prozessen teilnehmen." Aktiv werden, sich beteiligen, abstimmen - diesem Motto bleibt Bürgermeister Collins angesichts der Anti-Flüchtlingspolitik in Washington erst recht treu.

Traumziel USA - Flucht durch Amerika