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Politik

USA: Make Youngstown great again

Lars Gesing nis, jv, dh
15. September 2018

Youngstown, einst das "Manhattan des Mittleren Westens", wurde vom Niedergang der US-Stahlindustrie hart getroffen. Nun ist die Hoffnung zurückgekehrt – wegen Donald Trump, sagen nicht wenige. Aus Ohio Lars Gesing.

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Youngstown erlebt Aufstieg dank Trump
Bild: DW/L. Gesing

"Well my daddy come on the Ohio works when he come home from World War Two 
Now the yard's just scrap and rubble. He said: "Them big boys did what Hitler couldn't do. 
These mills they built the tanks and bombs that won this country's wars.
We sent our sons to Korea and Vietnam. Now we're wondering what they were dyin' for" 

Die zornige Ballade "Youngstown" von Bruce Springsteen gilt als musikalischer Tribut an die Stahlindustrie. Das Lied machte Youngstown bekannt und gab einer sich jahrelang aufstauenden Frustration eine Stimme. Es geht um die Familien, deren Männer seit ihrer Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg in den Stahlwerken der Region schufteten und damit das wirtschaftliche Rückgrat der Nation bildeten, während ihre Söhne in den Kriegen in Korea und Vietnam starben.

"From the Monongahela valley to the Mesabi iron range 
To the coal mines of Appalachia the story's always the same: 
Seven hundred tons of metal a day, now sir you tell me the world's changed 
Once I made you rich enough, rich enough to forget my name." 

Die Bewohner von Youngstown und der anderen Stahlreviere hörten das Lied jahrzehntelang, während sie ohnmächtig dabei zusehen mussten, wie ihre Industrie dem schleichenden Niedergang anheimfiel und die Probleme ihrer Region immer mehr in Vergessenheit gerieten. Bis sie eine neue Stimme bekamen, im Jahr 2016. Eine Stimme, die ihnen, im Tal der Enttäuschten, in vier Worten Hoffnung machte: "Make America Great Again". Trumps Wahlversprechen traf genau den Nerv dieser frustrierten, weißen Arbeiterschicht, die sich vor dem sozialen Abstieg fürchtete oder sich bereits tief darin befand. Für sie war in den vergangenen Jahren mehr als nur eine Industrie verloren gegangen.

Keimzelle des Trumpschen Wahlerfolges

Die Stadt Youngstown und das Mahoning-Tal in Ohio, auch bekannt als "Steel Valley", sind die Antwort auf die Frage nach dem Aufstieg Trumps. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte die Stahlkrise den Glauben an Sicherheit und Wohlstand zerstört. Traditionell haben die Menschen hier ihr Leben lang Demokraten gewählt. Trump aber holte hier so viele Stimmen wie kein Republikaner vor ihm.

Nach dem Ende der Präsidentschaftswahlen 2016 war klar: Armut, Verzweiflung und die Sehnsucht nach den guten, alten Zeiten haben die Bewohner im "Rust Belt", der ältesten und größten Industrieregion der USA, dazu bewegt, Donald Trump zu wählen. Mit seiner populistischen Illusion einer mächtigen Stahlindustrie rannte er bei diesen Menschen offene Türen ein. Doch was ist zwei Jahre später von Trumps Versprechen geblieben?

Youngstown erlebt Aufstieg dank Trump
Auf den ersten Blick sieht es an einigen Stellen nicht so aus: Für Youngston geht es wirtschaftlich gerade bergaufBild: DW/L. Gesing

"Ist die Hand von Präsident Trump aus dem Himmel herabgekommen? Hat sie sich segnend auf das Mahoning-Tal gelegt?" fragt Tracey Winbush, Präsidentin der Ohio Black Republicans Association. "Nein, natürlich nicht. Aber das ist auch nicht das, was wir von unserem Präsidenten erwarten."

Aufbruchstimmung im Rust Belt

Winbush moderiert eine Radiosendung in einem lokalen konservativ-christlichen Sender. Sie ist eine begeisterte Anhängerin des Präsidenten. Winbush sagt, dass die Steuerreform des letzten Jahres, der explodierende Aktienmarkt und die radikale Deregulierung ein investitionsfreundlicheres Umfeld geschaffen haben. "Im Moment arbeiten wir einfach. Die Menschen haben wieder Selbstvertrauen. Und wenn Menschen Selbstvertrauen haben, dann geben sie Geld aus. Und wenn sie Geld ausgeben, investieren sie."

Tatsächlich ist Winbush nicht die Einzige, die in erster Linie den Chef im Weißen Haus für die wirtschaftliche Erholung bejubeln, die nicht nur an der Wall Street spürbar ist, sondern mittlerweile auch in den Straßen der eigenen Stadt.

Auch Bill Strimbu gehört dazu. Er führt sein lokales Familienunternehmen in dritter Generation und sagt, er habe sein ganzes Leben auf jemanden wie Donald Trump gewartet. Die Reform der Steuergesetze im vergangenen Jahr befreiten Strimbu von zehntausenden Dollar Einkommens- und Unternehmenssteuer. Der Sohn rumänischer Einwanderer bezahlte daraufhin seine 100 Fahrer nicht nur im Voraus, sondern verschaffte ihnen auch eine kräftige Lohnerhöhung. Seine Euphorie darüber, wie sich die Lage im Steel Valley entwickelt, kennt kaum Grenzen.

"Ich stehe jetzt vor zwei Herausforderungen", sagt Strimbu. "Zum Einen bekommen wir oft nicht schnell genug neue Geräte für unser Unternehmen, weil die Auftragslisten der Zulieferer so lang sind. Und zweitens finden wir nicht genügend Arbeitskräfte, um unsere leeren Stellen zu besetzen."

Youngstown erlebt Aufstieg dank Trump
Lokale Wirtschaft: Der Unternehmer Bill Strimbu beschäftigt 100 LKW-FahrerBild: DW/L. Gesing

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen von Handelsministerium und Statistischem Bundesamt zeigt, dass die Preise für den allgemeinen Güterkraftverkehr tatsächlich um mehr als acht Prozent gestiegen sind, die Preise für die Metallproduktion sogar um zwölf.

Dennoch liegt das ungefähre, mittlere Einkommen eines Haushalts in der Gemeinde Mahoning mit umgerechnet rund 36.000 Euro sogar noch rund 9.000 Euro unter dem Durchschnitt für den restlichen Staat Ohio. Fast jeder fünfte Einwohner in und um Youngstown herum lebt nach wie vor in Armut. Zudem hat die Stadt Youngstown in den letzten 50 Jahren fast zwei Drittel ihrer Einwohner verloren.

Jahrzehntelang litt der Rust Belt unter den wirtschaftlichen Veränderungen. Insbesondere die Automatisierung und die Globalisierung machten den Unternehmen zu schaffen. Kein Wunder, dass alle positiven, investitionsfreundlichen Veränderungen hier besonders laut bejubelt werden.

Karte Ohio USA
Youngstown: Traditionell in der Hand der Demokraten - bis Trump kam

Strukturwandel im Stahlrevier

Aufbruchstimmung herrscht auch in der regionalen Handelskammer, die sich nur wenige Meilen von Youngstown entfernt in der Kleinstadt Warren befindet. Betriebsleiterin Sarah Boyarko und ihre Gruppe von Wirtschaftsförderern stehen nun vor der monumentalen Aufgabe, die regionale Wirtschaft in die richtigen Bahnen zu lenken.

Sie weisen auf ein fast zwei Milliarden Euro schweres Investmentportfolio hin, das die Kammer derzeit verwaltet. Die Summe übertrifft das Volumen der vergangenen Jahre bei Weitem. Das Geld soll in einen sich diversifizierenden Industriesektor fließen, sagt Boyarko. Sie erwähnt eine Vielzahl von Vertriebszentren, sowie Investitionen in die Öl- und Gasindustrie. "Wir hören ständig, die Produktionstechnik sei ohne Perspektive oder nicht zukunftsfähig. Das ist einfach nicht wahr. Die Leute stellen hier Produkte her - mit Erfolg!"

Trotz der weit verbreiteten Erzählung von Arbeitslosigkeit und Verzweiflung gibt es im Mahoning Valley mehr als 18.000 freie Arbeitsplätze. Die Kammer arbeitet mit einem lokalen Fernsehsender zusammen, um die offenen Arbeitsplätze zu bewerben. Allerdings haben es alle wirtschaftlich angeschlagenen Gegenden des Landes schwer, den Menschen den Strukturwandel schmackhaft zu machen - und sie zu einem Karrierewechsel in einer sich immer stärker diversifizierenden und spezialisierenden Wirtschaft zu bewegen. Die häufig damit einhergehende Lohnkürzung macht die Arbeitsplätze nicht gerade populärer.

Youngstown erlebt Aufstieg dank Trump
Trump sei Dank: So empfindet auch Tracey Winbush. Einmal pro Woche moderiert sie eine konservative Diskussionsrunde im RadioBild: DW/L. Gesing

Was braucht Youngstown?

Ein Freitagmorgen im Spätsommer: Tracey Winbush beginnt ihre einstündige Radiosendung mit einem zehnminütigen Predigt über die wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Region. Auf ihrem in die Jahre gekommenen Bürostuhl sitzend, konzentriert sich Winbush auf das sogenannte "Opportunity Zones"-Programm. Die Maßnahme, Teil eines staatlichen Programms für Steuererleichterungen, zielt darauf ab, Geld in ärmere Regionen im gesamten Land zu pumpen. Der Kniff: Investoren bekommen Steuererleichterungen, wenn sie in Geschäfte investieren, die sich in den betroffenen "Zones" befinden.

"Geld ist doch genügend vorhanden", sagt Winbush: "Die Frage ist nur, wie man jemanden mit Geld dazu bewegen kann, sein oder ihr Geld in neue, innovative Ideen zu investieren. Wenn Leute mit Geld nicht in diese Firmen investieren, erreicht man nie etwas." Dabei fällt ihr Blick auf das Buch "Die Kunst des Krieges" von Sungzi auf dem Fensterbrett ihres improvisierten Radiostudios. Das weit über 2.500 Jahre alte Buch, das bis heute Manager und Militärstrategen auf der ganzen Welt fesselt, beschreibt, das man alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen und stets flexibel genug sein muss, um seine Ziele zu erreichen. "So funktioniert das Spiel eben, es kommt vor allem auf deine Strategie an", sagt sie lachend. Nur um einen Moment später mit ernstem Blick hinzuzufügen: "Ich glaube fest daran, dass man einen Plan haben sollte. Planung ist das halbe Leben."

Hat Youngstown denn einen Plan? "Nö", gluckst Winbush: "Noch nicht. Aber die Stadt arbeitet daran."