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Utopie oder Vision?

Adrian Kriesch12. August 2016

Entwicklungsminister Gerd Müller hat den Senegal, Niger und Ruanda besucht. Dabei forderte er einen "Marshallplan" für Afrika. Ist das realistisch - und braucht der Kontinent einen solchen Plan überhaupt?

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Senegal Entwicklungsminister Gerd Müller in Cayar
Bild: DW/A. Kriesch

Gerd Müller stapft über das trockene Feld in Cayar, einer Kleinstadt im Senegal. Nach ein paar Metern erreicht er ein satt grünes Stück - gut bewässert dank einer Solarpumpe, die mit deutscher Entwicklungshilfe angeschafft werden konnte. Der Bauer freut sich, seine Erträge haben sich verbessert. Das freut auch den Minister, der sich spontan einen Schlauch nimmt und Wasser aufs Feld spritzt. Schöne Bilder für die mitreisenden Journalisten. "Wir wollen konkret sehen, wohin die Gelder gehen", sagt Müller. "Kein Euro soll in korrupte Kanäle gehen, wir wollen Entwicklungssprünge sehen."

Projekte wie die Solarpumpe gibt es zu Tausenden in Afrika. 2014 überwies Deutschland mehr als zwei Milliarden Euro Entwicklungshilfe dorthin. Entsprechend gern schaut sich der Minister bei seinen Besuchen, wie jetzt im Senegal, im Niger und in Ruanda, die Projekte an.

„Weg von den Kleinprojekten“

Doch Müller will mehr. "Wir müssen wegkommen von den ganzen Kleinprojekten, von der Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte, hin zu einem neuen Ansatz", sagt er zwei Tage nach dem Termin auf dem Feld. Was das sein soll, hatte er bereits vor seiner Afrika-Reise der größten deutschen Boulevardzeitung "Bild" gesagt. Der Minister will einen Marshallplan für Afrika.

Vor 69 Jahren entwickelte der ehemalige US-Außenminister George Marshall einen Plan zum Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Marshallplan hatte nicht nur humanitäre Ziele - er sollte Europa auch in einen Absatzmarkt für amerikanische Firmen verwandeln. Unternehmen erhielten Kredite in Höhe von zwölf Milliarden US-Dollar. Heute entspräche das einer Summe von mehr als 120 Milliarden. Das Projekt war erfolgreich - aber würde es auch für Afrika passen?

Ein Entwicklungshelfer kniet auf einem Feld und erklärt Anbaumethoden.
Statt vieler kleiner Projekte fordern manche Experten den "big push"Bild: Copyright: Imago/imagebroker

Big push für Afrika?

Entwicklungsökonomen streiten sich seit Jahren darüber. Vor allem über die Idee, sich stärker auf Wirtschaftsförderung und weniger auf klassische Entwicklungshilfe zu konzentrieren. Die habe zu wenig gebracht, meinen Kritiker. Namhafte Ökonomen wie Paul Collier plädieren für einen "big push". Die Idee: Arme Länder brauchen einen großen Anschub, um aus der Armutsfalle zu kommen.

Aber: Die Idee des Marshallplans birgt auch Risiken, meint Fatouma Sy Guèye, Programmbeauftragte der Konrad-Adenauer-Stiftung im Senegal. Sie ist für den Dialog zwischen Staat und Privatwirtschaft zuständig. "Man kann nicht einfach so Ideen importieren und anpassen", sagt Guèye. "Das ist bis jetzt manchmal auch ein Problem bei der Entwicklungshilfe: Hilfe kommt, aber wie sie kommt, das passt den Afrikanern nicht immer." Sie fordert eine engere Debatte zwischen Geber- und Nehmerländern über mögliche Änderungen der Entwicklungspolitik.

"Das brauchen wir", sagt dagegen Senegals Präsident Macky Sall über einen möglichen Marshallplan. "Wir brauchen einen Anfangsimpuls in Form von Investitionen, damit unsere Wirtschaft sich weiter entwickeln kann." Keine Woche vorher hatte er noch vor einer Wirtschaftsdelegation gesagt, dass sein Land nicht mehr lange von externer Hilfe abhängig sein wolle. "Das war mit der Absicht, dass ich zur Arbeit aufrufen wollte, damit wir aus unseren eigenen Kräften heraus mehr tun", rechtfertigt sich Sall gegenüber der DW nach seinem Treffen mit dem deutschen Entwicklungsminister. "Aber natürlich brauchen wir dazu noch eine gewisse Zeit. Das steht nicht im Widerspruch zu der Notwendigkeit, Investitionen zu stärken."

"Neue Dimension der Entwicklungszusammenarbeit"

Müller nickt zufrieden, während er Salls Worte hört. "Die internationale Entwicklungszusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent muss in einer ganz neuen Dimension konzipiert werden", sagt er später. Dazu brauche man drei Komponenten: Eine Wirtschaftsoffensive unter dem Motto "fairer Handel", damit auf dem Kontinent eigene Wertschöpfungsketten entstünden, massive Investitionen aus dem Ausland und eine Weiterentwicklung der Entwicklungspolitik.

Sie habe laut gelacht, als sie von der Idee gehört habe, sagt eine afrikanische Wirtschaftsexpertin am Rande des Müller-Besuches. Die Idee sei unrealistisch. Es sei auch keine Überraschung, dass die afrikanischen Eliten dafür seien - denn sie würden von den zusätzlichen Geldern ja profitieren. Ihren Namen möchte sie nicht in der Presse lesen.

Senegals Präsident Macky Sall vor einem DW-Mikrofon.
Senegals Präsident Macky Sall unterstützt einen Marshallplan für AfrikaBild: DW/A. Kriesch

Klar ist für sie auch: Die Flüchtlingskrise in Europa ist für das Entwicklungsministerium eine Chance, mehr Ressourcen zu bekommen. Kommt daher die plakative Wortwahl? "Afrika ist hundert Mal so groß wie Deutschland. Um diese Dimension zu verstehen, benutze ich auch den Begriff des Marshallplans", sagt Minister Müller. Das war schon in der Vergangenheit so: Er forderte mehrfach Marshallpläne für den Wiederaufbau des Iraks, Syriens, für den Nahen Osten und für Afrika.

Im Herbst wird sich zeigen, ob Müller es mit seiner Forderung nach einer neuen Entwicklungspolitik für Afrika ernst meint. Dann will er ein Konzept vorlegen.