1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Reise

Sommer in Südschweden

Konstantin Arnold
7. September 2019

Wer in dieses Nichts reist, kann alles erwarten und wer nichts erwartet, wird hier nicht enttäuscht. Die Orte heißen Skavenäsasjön oder Hjortsberga, bestehen aus Seen, Stegen und noch mehr Seen.

https://p.dw.com/p/3P4C2
Schweden See in Smaland
Bild: picture-alliance/imagebroker/K. Wothe

Freiheit ist, nackt im Regen auf einen See zu paddeln und Trinklieder in die schwedische Stille zu brüllen, glühend heiß vom Schnaps und von der Sauna, bis einer ins Wasser fällt und alle lachen. Am Ufer gucken schon die Schafe. Eins ist dafür extra auf den Steg gekommen.

In der Ferne brennen nur noch die Lichter eines kleinen Dorfes. Ansonsten viel Wald, viel Regen, viel Schweden. Mittsommer am "Asa Herrgård" eben, ein kleiner Gutshof, dessen deutschen Bauherrn keiner kennt, dessen Tochter aber weltberühmt war: Clärenore Stinnes. Sie umrundete von 1927 bis 1929 als erster Mensch in einem Automobil die ganze Welt, erklärt Emma Ekaremåls. Im Gepäck habe sie drei Revolver und 128 hartgekochte Eier gehabt. Emma leitet die Pension, auf dem Schild an der Tür steht in handgeschriebenem Schwedisch: "heiße Schokolade mit Kognak".

Südschweden als Sommerreiseziel
Ausblick von Terrasse der Pension Asa Herrgård auf den SeeBild: Konstantin Arnold

Meistens organisiert Emma Hochzeiten. Manchmal kämen aber auch Großstadt-Chinesen mit Gucci-Täschchen in Stöckelschuhen hierher, denen sie dann den Wald zeigt. Manche hätten noch nie so viele Bäume gesehen, würden im Moos und im Matsch versinken.

Auf der Fahrt mit dem Quad über die Felder verteilt Emma leuchtend bunte Regenjacken und sagt, das mache es im Wald auch für die Jäger einfacher. Sie lacht.

Den blauen Himmel nicht vermissen

Es sind Orte, in denen Urlauber nicht auf andere Urlauber treffen. Orte, die keiner kennt, der nicht schon da war. Wer für immer bleibt, darf den blauen Himmel nicht vermissen, wurde hier geboren oder hat sich irgendwo in der Welt in eine Bilderbuch-Schwedin verliebt. Wo auch immer die Liebe hinfällt, Hauptsache unter den Polarkreis! Trotzdem, leugnen lässt sich diese gemütliche Melancholie nicht, denn die Schweden arrangieren sich und verbreiten gute Stimmung, die keine Sonne mehr braucht, um gelebt zu werden. Nur ein bisschen "Snaps".

Milchkannen
Die Verfilmung von Astrid Lindgrens Kinderbüchern wie "Wir Kinder aus Bullerbü" hat das Bild von Småland geprägtBild: picture alliance/akg-images /S. Gabriel

Heute gibt es keinen blauen Himmel, nicht gleich übermütig werden, aber es hat zumindest nicht durchgeregnet. Was auf Schwedisch bedeutet: Es ist ein herrlicher Sommertag in Småland, der Region Südschwedens rund um das Städtchen Växjö, die leider nur für Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga bekannt geworden ist, weniger für ihren Schnaps und die Saunas.

Man sitzt im Regencape im Wald unter Girlanden und kann Krebsfest feiern. Trotz der Jagdsaison und den Schüssen gehen einige Pfifferlinge sammeln, die anderen präparieren die Flusskrebse mit Dill und Salzwasser. Nicht eilig, aber skandinavisch effizient. Wer weiß, wie lange es feucht bleibt? Sammeln geht man für die traditionellen Krebsfeste der Sommermonate im Wald, auf den Wiesen und im See, nur der Branntwein wächst leider nicht an Bäumen, der muss noch im "Systembolaget", der staatlich lizensierten Supermarkt-Kette für Hochprozentiges, gekauft werden und kostet ein Vermögen.

Südschweden als Sommerreiseziel
Mit Beginn der Krebsfangsaison im August wird das traditionelle Krebsfest gefeiertBild: Konstantin Arnold

"Ein Krebs, ein Schnaps, ein Lied", hört man es von den Booten hallen, bis wieder einer reinfällt. Um 1800 war fast jeder Schwede branntweinsüchtig, der reinste Kollektivsuff. Das harte skandinavische Klima und das Fehlen eines seichten Volksgetränks wie Bier oder Wein soll daran schuld gewesen sein. Die Folgen: Abstinenzbewegung, Importzentralisierung, Steuern. Steuern, die mit dem Alkoholgehalt steigen und am Ende teurer sind, als der Schnaps selbst. Am teuersten ist er in Norwegen, am billigsten in Dänemark. Die Folge: Die Norweger trinken in Schweden und die Schweden in Dänemark.

Växjö - Universitätsstadt in Südschweden

Wer nach Südschweden will, fliegt nach Kopenhagen. Dann weiter mit dem Zug übers Meer, ein Buch in der Hand, der Blick nach draußen über den stürmischen Öresund gewandt, jene Meerenge, die Ostsee und Kattegat miteinander verbindet. An Malmö vorbei bis hoch nach Osby, durch viele dunkle Wälder, unterbrochen von Seen, weiter, immer weiter bis nach Växjö. Schon lange versucht Südschweden auf Växjö aufmerksam zu machen, will neue Brücken zu neuen Ufern bauen, an denen Växjös Schätze lauern. Eine der schönsten Brücken Europas haben sie schon, sie führt dorthin. Aber was noch?

Dänemark Schweden Öresundbrücke
Die 16 Kilometer lange Öresundbrücke verbindet seit dem Jahr 2000 erstmals Schweden auf dem Landweg mit DänemarkBild: picture-alliance/TT NYHETSBYRÅN/J. Nilsson

Växjö ist Universitätsstadt und Zentrum des traditionellen Glasblasens. Im August feiert man ein Fest zum Gedenken der Auswanderer, die von 1868 bis 1914 zu Hunderttausenden nach Amerika übersiedelt sind, unter ihnen vor allem Bauern. Es gibt dann eine große Parade und mobile Imbissbuden, an denen der Döner acht Euro kostet.

Edle Weine im Tresor

Den Mittelpunkt der Stadt bildet das "PM & Vänner", ein nach außen unscheinbares Hotel, das sich im Innersten aus all dem zusammensetzt, was diese Region ausmacht. Bescheidenheit, die aus einem Sternerestaurant und dem edelsten Weinkeller Skandinaviens besteht. Über 20.000 Flaschen lagern hier in einem ehemaligen Bankarchiv direkt neben der Tiefgarage, aufwendig klimatisiert. Im Treppenhaus hängt alles voll mit Auszeichnungen. Stolz zeigt Hoteldirektor Martin Rognefall seine teuersten Schätze. Bis zu 15.000 Euro zahlen die Gäste.

Südschweden als Sommerreiseziel
Rustikal verschlossen: Die teuersten Weinflaschen im PM & VännerBild: Konstantin Arnold

Martin erzählt den Witz vom Sommelier, dem man zwei unetikettierte Weine vorsetzte. Einer für drei Euro vom Discounter, der andere für tausend Euro vom Händler. Leider lobte der Sommelier den billigen Wein in höchsten Tönen. Martin grinst professionell in sich rein. In seinem Haus komme sowas nicht vor, sagt er. Seine Sommeliers verbringen ihre Lehrjahre auf den Weingütern Europas, damit sie dann an seinen Tischen stehen und den Gästen, in ehrlicher Poesie, etwas vom Wein erzählen.

Das Restaurant hält einen Michelin-Stern, darauf ist Martin stolz. Hier werden Kreationen serviert, von denen man beim Kauen nicht sagen kann, ob es sich um Fisch, Fleisch oder Gemüse handelt. Fragen? Traut man sich nicht. Nach dem sechsten Gang, dem letzten der kürzeren Menüvariation, ist man von Weingläsern umzingelt und hat sich einmal durch Europa getrunken.

Nachhaltigkeit und regionale Zutaten

Südschweden als Sommerreiseziel
Küchenchef Morgan Giraud begutachtet seine Tomaten Bild: Konstantin Arnold

Das Besondere an der Küche des Hauses: seine Herkunft. Die meisten Zutaten bezieht Küchenchef Morgan Giraud aus den Wäldern, Wiesen und Seen der Region oder erntet sie im Hotelgarten. Das sensibilisiert und inspiriert ihn zu saisonalen Kreationen: glücklicher koreanischer Knoblauch, Erdmandeln. Der Spargel darf in Morgans Garten sogar Beeren bekommen. In ganz Schweden ist derzeit eine starke  Sensibilisierung für das Klima zu spüren. Kurze Transportwege, Nachhaltigkeit, Urban & Organic Gardening - dieses Bewusstsein ist fest in Morgans kulinarischer Philosophie verankert. Seine Köche sollen so eine Beziehung zu dem aufbauen, was sie da kochen. Das lässt sich am besten abends im "PM & Vänner" genießen, nach einem langen Tag am See, wenn die Stimme von all den Trinkliedern im Nichts versunken ist.