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Politik

"Politische Niederlage für Myanmar"

10. Dezember 2019

Selbst wenn der Völkermordvorwurf gegen Myanmar in Den Haag nicht bewiesen werden sollte - das Verfahren begann an diesem Dienstag -, sehen Experten für Myanmar einen dauerhaften politischen Schaden durch den Prozess.

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Bangladesch Rohingya Kutupalong Lager
Bild: AFP/M. Uz Zaman

Gambia hat die politische und militärische Führung Myanmars vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords angeklagt. An diesem Dienstag (10.12.19) begann der Prozess. Regierungschefin Aung San Suu Kyi wird persönlich die Verteidigung übernehmen, offiziell in ihrer zweiten Funktion als Außenministerin. Experten rechnen mit einem mehrjährigen Verfahren. Die DW hat mit dem Myanmar-Experten Michal Lubina über die Bedeutung des Verfahrens für Myanmars Innen- und Außenpolitik gesprochen.

Deutsche Welle: Was bedeutet es für Myanmar, dass es sich vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords verantworten muss?

Michal Lubina: Das ist eine weitere Beschädigung von Myanmars Ansehen in der Welt. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit sich das birmanische Volk der Tatsache bewusst ist, dass die Rohingya-Krise das Image des Landes stark beschädigt hat. Ich glaube, die meisten sind sich dessen nicht bewusst oder ignorieren das. Insbesondere beim Militär ist das Gefühl weit verbreitet, dass sie schon damit durchkommen werden. Die Sicherheitskräfte glauben, dass sie wie bei den vielen Verbrechen zuvor nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Aber die Tatsache, dass es internationale Untersuchungen gibt, bedeutet, dass es nicht so einfach sein wird. Aber natürlich wissen wir nicht, wie weit das gehen wird, da Völkermord juristisch ziemlich schwer zu beweisen ist. Aber wie auch immer das Ergebnis der Prozesse lautet, politisch wird Myanmar verlieren. Das ist sicher.

Polen Michal Lubina
Michal Lubina ist Assistenzprofessor an der Jagiellonian Universität in PolenBild: Privat

Warum hat Aung San Suu Kyi Ihrer Meinung nach dennoch beschlossen, persönlich nach Den Haag zu reisen und Myanmar zu verteidigen?

Zuerst war ich von ihrer Entscheidung überrascht. Aber dann wurde mir klar, dass dies ein brillanter politischer Schachzug ist, der ihren politischen Interessen dient.

Ich war überrascht, denn in den letzten Jahren war sie nicht sehr aktiv auf der internationalen Bühne. Die Anzahl ihrer Auslandsreisen war begrenzt. Und auf einmal wollte sie nach Den Haag? Das steht im Zusammenhang mit den Wahlen. Sie sucht vor den Wahlen 2020 die Unterstützung der Bevölkerung. Und ich denke, dass die Reise nach Den Haag dafür bestens geeignet ist. Sie vereint die Menschen hinter der Flagge, sie betont das nationalistische Gefühl: "Schaut her, ich verteidige das Land. Ich verteidige unser Land gegen diese Angriffe von außen." Sie will die Wahlen gewinnen.

Es könnte einen weiteren, eher versteckten Grund geben. Die Beziehungen von Aung San Suu Kyis Regierung zum Militär sind angespannt. Aber jetzt stellt sie sich auf der internationalen Bühne vor das Militär. Das kann ihr womöglich helfen, um die Beziehungen zu verbessern. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Militär sie jeden Tag stürzen kann. Sie weiß das und muss sich dazu positionieren.

Als Oppositionsführerin hat sich Aung San Suu Kyi für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit eingesetzt. Jetzt muss sie ihr Land in Den Haag verteidigen. Wie ist das zu bewerten?

Das ist schon ironisch. Während ihrer Oppositionskarriere hatte sie die internationale Gemeinschaft aufgefordert, sich stärker in Burma zu engagieren und um internationale Normen einzuklagen. Und jetzt als Führerin des Landes muss sie sich selbst diesen Standards stellen.

Was die Rechtsstaatlichkeit betrifft, sind meiner Meinung nach die politischen Ideen von Aung San Suu Kyi sehr zusammengesucht. Darin kommt auch Rechtsstaatlichkeit vor, aber sie ist von untergeordneter Bedeutung. Das Überwiegende ist der birmanisch-buddhistische Ansatz, der auf moralischer Überlegenheit basiert. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit usw. sind nur äußerlich relevant. Im Kern geht es ihr um birmanisch-buddhistische Werte. Zuerst fordert sie eine moralische Transformation der Gesellschaft und dann Rechtsstaatlichkeit.

Aung San Suu Kyi Regierungschefin von Myanmar
Regierungschefin Aung San Suu KyiBild: picture-alliance/dpa/B. Marquez

Wie bewerten Sie Suu Kyis Position aus moralischer Sicht?

Das ist eine zweite Ironie: Ihre Vorstellungen von Politik sind in erster Linie moralisch. Und doch ist es aus moralischer Sicht sehr schwierig, die Position von Aung San Suu Kyi zu verteidigen. Schließlich sind die Rohingya Menschen. Und es spielt erstmal keine Rolle, ob sie Staatsbürger sind oder nicht. Sie wurden unmenschlich behandelt. Aung San Suu Kyi hätte mehr tun können, um die Vertreibung der Rohingya zu verhindern oder einzuschränken.

Einige Birmanen versuchen, Aung San Suu Kyi moralisch zu verteidigen, indem sie die Tatsache hervorheben, dass ein traditioneller buddhistischer Führer nicht gegen den Willen des Volkes handeln sollte. Tatsächlich ist das eine der traditionellen zehn Pflichten des Königs. Aber dieses Argument ist nicht überzeugend, da ein buddhistischer Führer auch keinen Schaden anrichten und keine Gewalt einsetzen sollte. Meine Meinung ist: Suu Kyi's Position ist aus moralischer Sicht nicht zu verteidigen, aber ihr Handeln lässt sich gut aus einem realpolitischen Blickwinkel verstehen.

Bangladesch Demonstration Rohingya im Flüchtlingslager Kutupalong
Rohingya-Flüchtlinge im benachbarten BangladeschBild: Reuters/R. Rahman

Glauben Sie, dass die Regierung Myanmars die politischen Auswirkungen des Verfahrens versteht?

Das Verständnis der internationalen Beziehungen oder bzw. der Außenwelt insgesamt ist in Myanmar recht begrenzt. Möglicherweise ist Suu Kyi eine der wenigen Personen, die die Auswirkungen des Verfahrens versteht. Die Generäle verstehen das nicht. Sie denken, dass China und andere asiatische Länder sie immer verteidigen werden. Und das ist natürlich auch ihre Erfahrung der letzten Jahrzehnte: Sie können mit allem durchkommen. Sie glauben, dass die Welt kritisch sein wird, dass es eine gewisse Form der Verurteilung geben wird, aber am Ende wird alles wieder "business as usual".

Aber die Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof und vor dem Internationalen Strafgerichtshof sind von anderer Qualität. Die Verfahren werden die internationale Wahrnehmung der Rohingya-Krise von der medialen Logik - intensiv, aber kurzfristig - in eine dauerhaftere Logik bringen. Myanmar wird mit dem Völkermord dauerhaft in Verbindung gebracht werden, wie Ruanda, Kambodscha oder Serbien. Selbst dann, wenn es nicht möglich ist, diesen juristisch zu beweisen. Die Verbindung von Völkermord und Myanmar wird haften bleiben.

Das Interview führte Rodion Ebbighausen.

Michal Lubina ist Assistenzprofessor an der Jagiellonian Universität in Polen, Institut für den Mittleren und Fernen Osten. Sein jüngstes Buch ist "The Moral Democracy. The political thought of Aung San Suu Kyi".

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia