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Politik

"Das Militär will dieses Land nicht regieren"

Eva Usi
1. Februar 2019

Der Soziologe Heinz Dieterich gilt als einer der geistigen Väter des sozialistischen Modells in Venezuela. Im DW-Interview spricht er über das Erbe von Hugo Chávez, Nicolás Maduros Fehler und den Einfluss der USA.

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Venezuela Präsident Nicolas Maduro während der Militärparade in Caracas
Bild: Getty Images/AFP/J. Barreto

Deutsche Welle: Was war der größte Fehler des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro? War es, sich an die Macht zu klammern?

Heinz Dieterich: Ohne Zweifel war das ein großer Fehler. Aber der vielleicht noch größere Fehler war, das sozialistische Wirtschaftsmodell von Hugo Chávez nicht verändert zu haben. Maduro musste dieses Modell umstrukturieren, und das tat er nicht. Das hatte bereits 2010 ausgedient, als die Ölpreise gefallen sind. Die Folgen waren die Abwertung der nationalen Währung und die Verschlechterung des Lebensstandards der Bevölkerung. Sozialprogramme konnten nicht mehr finanziert werden.

Hat er sich der Realität verschlossen?

Absolut, das war Maduros erster großer Fehler. Er hat das Entwicklungsmodell nicht verändert und hat auch nicht auf die wachsenden sozialen Unruhen reagiert. Und auch der politische Diskurs änderte sich nicht.

"Das Militär hat längst mit Maduro gebrochen"

Als dann bei den Parlamentswahlen 2015 alles zusammenfiel und die Opposition die Mehrheit gewann, begann er, sich auf die Polizeikräfte zu stützen, anstatt einen Neuanfang zu versuchen. Es ist eine Abwärtsspirale, die 2011 ihren Anfang nahm und jetzt zum Ende kommt.

Welche Rolle spielt Kuba in dieser Entwicklung?

Ich denke, es gab zwei große Fehler, die Kuba in diesem Prozess begangen hat. Als Hugo Chávez erkrankte und absehbar wurde, dass er jemanden brauchen würde, der sein historisches Projekt fortsetzt, gab es zwei Vorschläge. Brasiliens damaliger Präsident Luiz Inácio Lula da Silva meinte, dass die venezolanische Regierung so schwach sei, dass sie mit dem Bürgertum eine Allianz schließen müsse. Nur so könne sie das Land weiterentwickeln und wirtschaftlichen Erfolg haben, um dann tiefere Reformen und einen gesellschaftlichen Umbau durchzuführen.

Heinz Dieterich
Soziologe Heinz Dieterich: "Die Abwärtsspirale nahm 2011 ihren Anfang"Bild: DW

Kubas Staatschef Fidel Castro hingegen sagte, dass Maduro die Revolution radikalisieren müsse und keinerlei Kompromisse mit der Bourgeoisie eingehen dürfe, weil sie ihn schließlich verraten würde. Maduro beschloss, auf Fidel Castro zu hören.

Der zweite große Fehler betrifft die Tatsache, dass Maduro sich ausschließlich auf die Stärke des Militärs verließ. Und auf das venezolanische Militär haben die kubanischen Geheimdienste großen Einfluss. (Zum Beispiel durch Schulung und Indoktrination, Anm. d. Red.)

Erwarten Sie, dass ein Teil des Militärs mit Maduro bricht?

Dieser Bruch ist längst da. Washington hat ein Angebot formuliert. Das wurde über den Befehlshaber des US Southern Command, Admiral Craig S. Faller (verantwortlich für militärische Operationen der USA in Lateinamerika, Anm. d Red.), an den venezolanischen Oppositionsführer Juan Guaidó weitergereicht, der es dann dem Militär unterbreitete.

"Natürlich war das ein Staatsstreich"

Demnach sollen die venezolanischen Streitkräfte dafür sorgen, dass sich Maduro friedlich in ein Exil zurückzieht. Dann könnte eine Übergangsregierung freie Wahlen ohne Blutvergießen ausrufen.

Wäre nicht auch eine Militärdiktatur möglich?

Es fehlen die Voraussetzungen für eine Militärdiktatur. Nicht einmal das Militär will ein Land regieren, das so zerstört ist. Für den Wiederaufbau des Landes wäre sowas wie ein Marshallplan mit bis zu 60 Milliarden US-Dollar nötig. Die Bevölkerung müsste weitere Opfer bringen, und darauf haben die Militärs keine Lust. Außerdem sind sie gerade in der Bevölkerung diskreditiert. Und Washington will auch nicht, dass die Militärs das Land regieren.

Handelt es sich hier um einen Putsch, der von den USA inszeniert wird?

Venezuela Präsident Nicolas Maduro in Valencia
"Keine Voraussetzungen für eine Militärdiktatur" - Venezuelas Präsident Nicolás Maduro während einer MilitärübungBild: Reuters/Miraflores Palace

Natürlich ist das ein von den USA eingefädelter Staatsstreich.  Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin hat öffentlich bekräftigt, dass es sich in Venezuela um eine Wiederholung der Vorgänge in der Ukraine handelt, die zum Sturz von Viktor Janukowitsch führten.

Die Vereinigten Staaten investierten nach Aussagen einer Staatssekretärin fünf Milliarden US-Dollar, um die Bedingungen für einen Regierungswechsel zu schaffen. Die Nachrichtenagentur Associated Press machte öffentlich, das Guaidó eine geheime Reise in die Vereinigten Staaten, Brasilien und Kolumbien unternahm, wo er sich mit Regierungsvertretern auf den Plan für diesen Staatsstreich einigte.

Wie wird diese Krise in Venezuela ausgehen?

Ich sehe die Gefahr, dass die Regierung in die Hände einer unfähigen, neoliberalen Gruppe im Dienste Washingtons unter der Leitung von Guaidó fällt. Aber weder Guaidó noch Maduro bieten eine Lösung, die das Land braucht. Entscheidend für die Zukunft Venezuelas sind die Bedingungen, unter denen ein Übergang nach dem Abtreten Maduros stattfinden kann.

"Weder Guaidó noch Maduro bieten eine Lösung"

Wer organisiert die nächsten Wahlen? Das Nationale Wahlinstitut ist Maduro treu ergeben. Wer sind die Kandidaten, die in einem fairen und demokratischen Wettstreit zwischen den Parteien antreten? Wird Guaidó für ein, zwei Jahre oder zwei, drei Monate Übergangspräsident sein?

Und dann gibt es noch die Interessenkonflikte auf internationaler Ebene.

Auf der einen Seite steht Washington mit seinen regionalen Verbündeten. Auf der anderen Seite sind China, das rund 60 Milliarden US-Dollar in Venezuela investiert hat, sowie Russland, das ebenfalls Milliarden investiert hat. Auch das spielt eine Rolle bei der Gestaltung eines Übergangs. Ideal wäre die Vermittlung einer Staatengruppe, in der die Interessen ausgewogen vertreten sind. Aber es bleibt abzuwarten, ob die gegenwärtigen Kraftverhältnisse dies zulassen oder ob Washington einseitig versucht, seine Interessen durchzusetzen.

Das Gespräch führte Eva Usi.

Der deutsche Soziologe Heinz Dieterich ist Professor an der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM) in Mexiko-Stadt. Er ist Autor des Buches "Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts" (1996), das unter lateinamerikanischen Linken eine große Verbreitung fand. Dieterich war Berater des früheren venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez.

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