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Politik

"Verbreitung des völkischen Nationalismus"

Marina Martinovic
26. September 2016

In einem umstrittenen Referendum hat die "Republika Srpska" ihren Nationalfeiertag bestätigt. Die Europäische Union sollte nun klare Kante gegen den Nationalismus zeigen, fordert Balkan-Experte Tobias Flessenkemper.

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Referendum in Republika Srpska
Bild: DW/D. Maksimovic

DW: Die Bürger der Republika Srpska haben zu fast 100 Prozent dafür gestimmt, auch weiterhin den Nationalfeiertag dieses Teilstaates Bosnien-Herzegowinas zu feiern. Dabei hatte das Verfassungsgericht das Referendum und den Nationalfeiertag verboten. Was bedeutet dieses Votum für Bosnien?

Tobias Flessenkemper: Es ist ganz klar, dass es nicht die Absicht der Leute ist, die das Referendum abgehalten haben - also des Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, und seiner politischen Partei - den Zusammenhalt in Bosnien-Herzegowina zu stärken. Die Absicht dieses Referendums ist, die Zusammenarbeit innerhalb des Staatswesens Bosnien-Herzegowinas zu unterminieren. Das ist schlecht. Und, meiner Ansicht nach, auch ein Zeichen dafür, dass Dodik und seine Verbündeten Bosnien-Herzegowina kaputtschlagen.

Der offizielle Grund für das Referendum war der Nationalfeiertag der Republika Srpska. Doch was sind die Hintergründe? 

Der Tag der Republika Srpska ist ein hoch problematischer Tag. Als Radovan Karadžić (Anm. d. Red.: der später wegen Kriegsverbrechen in Bosnien-Herzegowina verurteilt wurde) damals als erster Präsident der Republika Srpska am 9. Januar 1992 die Unabhängigkeit der Republika Srpska ausrief, ging das Hand in Hand mit einem Plan, der seit 1991 vorbereitet worden ist zur Vertreibung der nichtserbischen Bevölkerung auf dem Staatsgebiet, das die Republika Srpska für sich in Anspruch genommen hatte. Das heißt, dieser Tag ist belastet. Und das weiß jeder in Bosnien-Herzegowina, aber auch in der Internationalen Gemeinschaft und auch jeder, der ein Referendum zu diesem Tag abhalten möchte.

Es geht also nicht um die rechtliche Frage, ob man einen Tag der Republika Srpska feiern möchte oder nicht, sondern es geht darum, wie man sich das Zusammenleben in der Zukunft vorstellt und wie man auch über die Vergangenheit redet, und Bosnien-Herzegowina zu einem gemeinsamen Projekt macht.

Tobias Flessenkemper, Balkan-Experte, Politologe (Foto: Tamino Petelinšek/STA)
​​Tobias Flessenkemper: Der Nationalismus in Bosnien ist kein Ausnahmefall in Europa​Bild: Tamino Petelinšek/STA

Wird durch solche Abstimmungen und ähnliche Schritte, die von Politikern unternommen werden, der Nationalismus in Bosnien-Herzegowina verschärft?

Ja. Ganz eindeutig. Es geht um den völkischen Nationalismus, der sich in Europa verbreitet. Da ist Bosnien-Herzegowina kein Ausnahmefall. Viktor Orban, der Ministerpräsident Ungarns, ruft auch gerade ein Referendum aus über den Beschluss der EU über die Verteilung von Flüchtlingen. Diese Art von Referenden, die versucht, Menschen gegeneinander aufzuwiegeln, werden immer populärer.

Die Frage, wie das mit einem europäischen Projekt zusammen gehen soll, wird immer unklarer. Und hier kommt auch die Rolle der EU ins Spiel. Denn die EU scheint nicht in der Lage zu sein, auf solche Herausforderungen, Provokationen und geradezu schon Unterminierungen ihrer eigenen Werte adäquat zu reagieren.

Bosnien-Herzegowina befindet sich nun auf dem Weg in die EU - und es gibt immer mehr Stimmen, die fordern, dass Brüssel und auch die Internationale Gemeinschaft auf Dodik und seine Provokationen reagieren sollte. Wie schätzen Sie das ein?

Diese Forderung gab es bereits 2006. Als Milorad Dodik Premierminister der Republika Srpska war, wollte er schon das erste Referendum ausrufen. Da ging es um die Unabhängigkeit der Republika Srpska. Danach gab es verschiedene andere Versuche, weitere Referenden anzukündigen. Jetzt kam es zum Referendum über den Nationalfeiertag. Doch das wird keine Konsequenzen haben - generell möchte die EU das, was da gerade in der Republika Srpska passiert ist, am liebsten ignorieren.

Hier gibt es allerdings auch ein weiteres Problem. Diese Aktionen zur Unterminierung der Rolle der EU auf dem westlichen Balkan werden auch zum Teil von Russland sehr stark unterstützt. Russland spielt spätestens seit der Annexion der Krim 2014 wieder eine verstärkte Rolle auf dem Balkan und wirkt durch seine Politik eskalierend.

Jetzt ist Russland auch einen Schritt weitergegangen - es unterstützt ganz offensichtlich Milorad Dodik in seiner nicht auf Europa ausgerichteten Politik. Der EU-Annäherungsprozess, so wie er gerade gestaltet ist, ist nicht in der Lage, einen wirklich wichtigen politischen Impuls nach Bosnien-Herzegowina zu geben. Diese ganze Entwicklung zeigt eher einen Autoritätsverlust und Verlust der Gestaltungsmacht der EU auf dem Westbalkan.

Was wäre dann eine gute Lösung für Bosnien-Herzegowina?

Eine Lösung in dem Sinne gibt es nicht. Verschiedene Dinge sind aber zu tun: Die EU muss eine Stimme finden zu dem, was da passiert. Sie kann die Entwicklung nicht ignorieren. Valentin Inzko (der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina) hat gesagt, dass Dodik ein Referendum zur Unabhängigkeit für 2018 plane. Deshalb geht es jetzt darum, hier klar Kante zu zeigen.

Ich bin der Meinung, dass man durchaus die Schritte hin zur europäischen Integration weiterhin beschleunigen sollte. Gleichzeitig muss man eine Möglichkeit finden, um seine Autorität wieder sichtbar zu machen. Zum Beispiel, indem man über restriktive Maßnahmen gegen Leute nachdenkt, die das Zusammenleben in Bosnien-Herzegowina untergraben. Es muss politisch reagiert werden, man muss konfliktentschärfend wirken und das Zusammenleben in Bosnien-Herzegowina verbessern.

Tobias Flessenkemper ist Balkan-Projektdirektor des "Centre Internationale de Formation Européenne" (CIFE) in Nizza und lehrt an der Universität zu Köln Europäische Politik. Er ist Mitglied des Präsidiums der Südosteuropa-Gesellschaft.