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Verdichtetes Glück

Oliver Samson26. Dezember 2002

Das Fernsehen wird 50. Und über Jubilare sagt man nichts schlechtes. Daher lautet die Ausstellung des Berliner Filmmuseums auch "Fernsehen macht glücklich“. Eine Ausstellung, die glücklich macht.

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Wie die Zeit vergeht. Das Tagesschau-Logo vor 50 Jahren ...Bild: NDR

Der Jubilar ist beileibe kein Lieblingskind der Kulturkritik. Nicht gerade selten wird das Fernsehen zur Zielscheibe des gesammelten Pessimismus' der Zunft. Allgemeine Verblödungstendenzen und der Verfall der Familie werden auf übermäßiges Glotzen zurückgeführt, es gilt als Kommunikations- und sogar Liebestöter. Besonders verderblich ist Fernsehen natürlich für Kinder und Jugendliche, wie einschlägige Wissenschaftler nicht müde werden festzustellen. Und speziell für über 30-Jährige sind die Zusammenhänge zwischen "Vera am Mittag" zur Pisa-Studie ohnehin sonnenklar. Der aufgeklärte Mensch unserer Zeit hat zu wissen: Fernsehen ist schädlich. Und bei vielen mag einzig die These, wonach Fernsehen Dumme dümmer, Kluge aber Klüger macht, das schlechte Gewissen beim Griff nach der Fernbedienung verhindern.

Keine Didaktik, keine Pädagogik, keine Denunziation

Tagesschau Logo heute
... und das Tagesschau-Logo heuteBild: NDR

Natürlich wissen die Ausstellungsmacher des Berliner Filmmuseums das alles. Und natürlich wissen sie auch, dass eine Ausstellung mit dem Titel "Fernsehen macht glücklich" fast schon als Provokation verstanden werden kann – zumal sie scheinbar völlig auf den Zeigefinger verzichtet. Keine Didaktik, keine Medienpädagogik und "Denunziation schon gar nicht", wollte Kurator Peter Paul Kubitz vom Filmmuseum Berlin. Kubitz lässt also das Fernsehen für sich sprechen. Keine Schautafel klärt über Hintergründe auf. Es gibt keine Analysen oder Deutungen und folgerichtig auch keinen Ausstellungskatalog.

Die Ausstellung verfolgt das Glücksversprechen des Mediums durch alle Genres und Zeiten, im Osten wie im Westen, von gestern bis in die Zukunft. Schon der erste Raum vermittelt nachdrücklich ein entscheidendes Merkmal des Fernsehens: Es frisst Zeit. 19 Monitore zeigen Schnipsel von Glück in 19 Genres. Glückliche Gewinner, glückliche Käufer, erschütternde Liebesszenen, jubelnde Sportler. Die Besucher freuen sich sie wiederzusehen - mitunter lauthals. Fernsehen macht glücklich – in dieser Verdichtung von Höhepunkten jedenfalls.

Das kollektive Gedächtnis

Der Raum "Sternstunden" bewirkt Ähnliches. Höhepunkte aus fünfzig Jahren Fernsehen kann man sich, nach Dekaden sortiert, stilecht in gemütlichen Sofa-Ecken anschauen. Sogar Fernbedienungen gibt es, man kann zappen und abschalten, und es wird sicher im Laufe der Ausstellung auch Streit geben, wenn dies im falschen Moment geschieht. Die Mondlandung und Öffnung der Mauer sind zu sehen, Raumpatrouille Orion und Wetten dass..? ebenso wie das 1:0 des anderen Deutschlands gegen die Bundesrepublik bei der WM 1974. Es sind die Klassiker der Fernsehgeschichte, die sich ebenso tief in die persönliche Erinnerung wie in das kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Und das in Ost und West. Zwar ist für die manchen West-Deutschen "Schnatterinchen" kein Begriff, und auch das Sandmännchen mit dem Walter Ulbricht-Bart mag fremd wirken, doch über 85 Prozent der DDR-Bürger schauten auch regelmäßig West-Programme. Kaum auszudenken, wie schlecht sich Ossis und Wessis verstehen würde, wenn die deutsche Teilung im Äther nicht längst vor 1989 beseitigt worden wäre.

Auch die anderen Räume halten das Glücksversprechen: Die Pausenfüller von damals verbunden mit den stillen Nachtbildern des heutigen Fernsehens ergeben eine Installation voll subversiver Poesie und im Raum für Kinderfernsehen drohen höchstens Sentimentalität und Zeitmangel. Bei manch einem werden dabei vielleicht die vom Kurator erhofften "Subtexte im Kopf" geschrieben. Zum Nachdenken regt die Ausstellung auf jeden Fall an. Vielleicht darüber, was Fernsehen bedeutet. Ganz sicher darüber, was Glück ist. Und Glück ist ganz sicher eines: Zeit für diese Ausstellung zu haben.