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Verfassungsrichter rüffelt die Parteien

5. Juni 2012

Das Bundesverfassungsgericht muss sich beeilen: Sein Urteil zum deutschen Wahlrecht soll rechtzeitig vor der Bundestagswahl 2013 fallen. Am Pranger stehen die Parteien, die sich in drei Jahren nicht einigen konnten.

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, in der Mitte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle (Foto: rtr)
Bild: Reuters

Bei der mündlichen Verhandlung über das neue Wahlrecht kamen von der Richterbank in Karlsruhe scharfe Worte. Das Wahlrecht sei zu spät und nicht einvernehmlich umgesetzt worden, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle: "Zum großen Bedauern des Gerichts ist es den Parteien nicht gelungen, innerhalb der drei Jahre einen gemeinsamen Vorschlag für eine Änderung des Bundeswahlgesetzes auf den Weg zu bringen." Nun will der Zweite Senat möglichst rasch entscheiden, ob das neue Wahlrecht verfassungsgemäß ist oder geändert werden muss.

Wie demokratisch ist unsere Demokratie?

Das höchste Gericht will Rechtssicherheit schaffen, bevor die Vorbereitungen zur Bundestagswahl im Herbst 2013 anlaufen. Einen Termin für die Urteilsverkündung gibt es aber noch nicht. Ein verfassungsgemäßes Wahlrecht sei das unverzichtbare Fundament einer funktionierenden Demokratie, sagte Voßkuhle weiter.

Vertreter von SPD, Grünen und Bürgerinitiativen warnten in der mündlichen Verhandlung davor, dass Überhangmandate und andere Regelungen des derzeitigen Wahlrechts zu groben Verzerrungen führten. Am Ende hätten einzelne Parteien mehr Mandatsträger im Parlament, als es ihrem Stimmanteil entspreche. Damit seien die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten worden. Das Gericht hatte 2008 das Wahlrecht teilweise für verfassungswidrig erklärt und Korrekturen verlangt. Die umstrittene Neuregelung war 2011 allein von der schwarz-gelben Regierungsmehrheit verabschiedet worden. Dagegen klagten 214 Abgeordnete von SPD und Grünen sowie 3064 Bürger.

Gericht prüft deutsches Wahlrecht

"Ein perfektes Wahlsystem gibt es nicht"

Das Grundgesetz schreibt kein bestimmtes Wahlsystem vor. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, mit der Erststimme Elemente der Direkt- oder Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl über die Zweitstimme zu verknüpfen. Es sollen also alle direkt gewählten Wahlkreisabgeordneten in den Bundestag einrücken, gleichzeitig soll aber die Zusammensetzung des Bundestages insgesamt dem Kräfteverhältnis der Parteien nach den Zweitstimmen entsprechen. Und schließlich soll dies noch so geschehen, dass die Bundesländer jeweils nach ihrer Wählerzahl im Parlament vertreten sind.

Es waren die als Sachverständige geladenen Mathematikprofessoren Christian Hesse und Joachim Behnke, die das Problem in Karlsruhe auf den Punkt brachten: Ein Wahlsystem, das alle drei Ziele perfekt erfüllt, gibt es nicht. Jedes Ziel "relativiert die anderen".

Stellschraube Länderproporz

Am Zwei-Stimmen-Wahlrecht wollen die Parteien grundsätzlich nicht rütteln. Tatsächlich macht es den typischen Kern unseres Wahlsystems aus. So bleibt als Stellschraube noch der Länderproporz. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 2008 erklärt, dass dem "föderalen Element" schon durch den Bundesrat gut Rechnung getragen wird. Deshalb sei dies beim Bundestag als "Vertretungsorgan des Bundesvolks" zumindest verfassungsrechtlich weniger wichtig. Würde nicht nach Landes-, sondern nach einer einheitlichen Bundesliste gewählt, wäre das Risiko von Überhangmandaten äußerst gering.

Wie sich das Bundesverfassungsgericht in dem Streit positionieren wird, ist offen. Die Karlsruher Richter fragten in alle Richtungen und haben sich offensichtlich noch nicht auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Zeitlich sind sie dabei allerdings unter starkem Druck.

rb/kle (afp, dapd, dpa)