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Die Ökonomie der Flut

Alexander Drechsel12. Juni 2013

Manche Anwohner wollen es nicht wahr haben. Doch die Elbflut hat auch in Norddeutschland wirtschaftliche Folgen. Landwirte klagen über Ernteverluste. Einige Ortschaften hingegen verdienen sogar an der Katastrophe.

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Helfer der Feuerwehr erhöhen mit Sandsäcken im Amt Neuhaus von einem Schiff aus den Deich (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Von Brandenburg aus führt eine malerische Landstraße die Elbe entlang Richtung Norden. Doch die Strecke mit ihren Alleen, Wäldern, Wiesen und kleinen Orten ist dieser Tage gesperrt: Die Bundesstraße 195 soll unbedingt frei bleiben für die Hilfskräfte gegen das Elbe-Hochwasser. Immer wieder verläuft die Straße direkt am Elbdeich - es fehlt nur etwa ein halber Meter und der Fluss hätte den Damm auch hier überspült.

"Die Wanne ist ganz schön voll"

Im letzten brandenburgischen Dorf vor der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern werden Straße und Deich eins und die drohende Katastrophe wird unübersehbar. In Gaarz beträgt der Abstand zwischen Elbe und Wohnhäusern keine 50 Meter mehr. "Die Wanne ist ganz schön voll", meint ein älterer Mann und nippt an seinem Bier. Er sitzt mit zwei anderen Männern in der Abendsonne auf dem Deich auf einer Bank und blickt auf den Fluss, der unmittelbar vor ihren Füßen geräuschlos nach Norden fließt. So viel Hochwasser hat die Elbe noch nie gehabt, sind sich die drei sicher. Immerhin steige das Wasser nicht mehr.

Im brandenburgischen Dorf Gaarz trennt nur noch die Deichkrone die Häuser von der Elbflut (Foto: DW/A. Drechsel)
Nur noch wenige Meter ist das Hochwasser von den Häusern in Gaarz entferntBild: DW/A.Drechsel

Doch der Pegelstand wird in den kommenden Tagen auch nicht fallen. Noch mehrere Tage werden die Wassermassen gegen die Deiche drücken und diese langsam aufweichen. Doch Angst haben die Menschen in Gaarz nicht. "Die Häuser stehen hier schon so lange", gibt sich Heike Mertens optimistisch. Das letzte Mal sei in der Gegend vor fast 130 Jahren ein Elbdeich gebrochen. Welch ein Schaden entstünde, sollte der Deich nicht halten, will sich die Frau lieber nicht ausmalen.

Auch 40 Kilometer weiter flussaufwärts, in Neuhaus, ist das Hochwasser Hauptgesprächsthema. Sei es an der Supermarktkasse, in der Kneipe oder im Imbiss. Rund 2500 Menschen leben in dem Ort im äußersten Nordosten Niedersachsens. Neuhaus gleicht einem Heerlager aus Bundeswehr, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk. Mehr als 2500 ortsfremde Helfer wurden rund um den Ort zusammengezogen, um Deiche mit Sandsäcken zu verstärken und im Notfall bereitzustehen. Auf Parkplätzen und Wiesen stehen Einsatzfahrzeuge, Zelte, Feldküchen und Toilettencontainer. Autokonvois mit Blaulicht fahren im Fünfminutentakt die Hauptstraße entlang.

Ortsfremde Helfer in Neuhaus (Foto: DW)
Ortsfremde Helfer: Neuhaus gleicht einem FeldlagerBild: DW/A.Drechsel

Zwischen Dankbarkeit und Geldverdienen

Die Bürger von Neuhaus haben auf die flutbedingt drastisch gestiegene Einwohnerzahl reagiert: Die Tankstelle schließt nicht mehr um 20 Uhr, sondern verkauft nun im 24-Stunden-Betrieb Kraftstoff. Gegenüber dem Supermarkt hängt an einem Imbiss ein Transparent: "Danke all den Einsatzkräften und Helfern." Darunter steht eine Mobilnummer mit dem Hinweis, dass Versorgung rund um die Uhr angeboten werde.

"Die Idee ist einfach aus dem Bauch heraus entstanden. Wir haben gesagt, entweder gehen wir Sandsäcke schaufeln oder wir versuchen, die Versorgung rund um die Uhr sicherzustellen", erzählt Imbissbetreiber Frank Graf. Und so verkauft er an Bundeswehr-Soldaten, Lkw-Fahrer und andere Helfer Kaffee, Cola, Bier, Bockwurst und Pommes-Frites. "Dabei berichten sie vom Tag. Schimpfen über manche Sachen, die schlecht organisiert waren - das Problem, das wir immer haben, wenn zu viele Leute auf dem Haufen sind."

Imbiss in Neuhaus (Foto: DW)
Imbiss von Frank Graf: Jetzt mit 24-Stunden-ServiceBild: DW/A.Drechsel

Ernteverlust für Landwirte

Über schlechte Organisation ganz anderer Art kann Klaus Seebürger schimpfen. Er betreibt wenige Kilometer außerhalb von Neuhaus einen Biohof und fühlt sich vom Staat im Stich gelassen. Mit 25 Mitarbeitern und auf 1500 Hektar züchtet Seebürger Rinder, Schafe und baut Futterpflanzen an. Aber sein Hof liegt inmitten sogenannter Polder. Das sind Gebiete, die bei Hochwasser gezielt überflutet werden können. Erste Äcker mit Futterpflanzen für Seebürgers Tiere stehen bereits unter Wasser. Weitere drohen ebenfalls zu versinken, andere Felder hat er viel zu früh abgeerntet, um wenigsten einen Totalverlust zu vermeiden.

"Es ist jetzt das fünfte Hochwasser in elf Jahren, das wir erleben", sagt der Landwirt. Aber nur zwei Mal habe er vom Staat finanzielle Unterstützung bekommen. "Wir hören immer nur saloppe Sprüche wie: 'Sie wissen doch, wo Sie wohnen und deshalb ist es Ihr eigenes Problem.' Das ist nicht unser eigenes Problem." Immerhin, so fährt Seebürger fort, werde sein Land mit Wasser geflutet, das dann an anderer Stelle keinen Schaden mehr verursachen könne. Wenn sein Verlust andere vor Schaden schütze, dann müssten diese auch Sorge dafür tragen, dass sein Verlust bezahlt werde, fordert der Biobauer. Noch kann Seebürger den Schaden des Ernteverlusts für seinen Hof nicht exakt beziffern, er geht aber von einem sechsstelligen Betrag aus.

Biolandwirt Klaus Seebürger (Foto: DW)
Seebürger: Verluste im sechsstellligen BereichBild: DW/A.Drechsel